(Sonderveröffentlichungen des Landesarchivs Baden–Württemberg). W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2020. 384 Seiten mit einer Karte. Kartoniert € 35,–. ISBN 978-3-17-038182-7
Basis dieses handfesten Bands ist eine Ausstellung, die vom 26. März bis 31. Juli 2020 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu sehen war. Wie viele andere Unternehmungen auch, stand sie unter dem unglücklichen Stern des Coronavirus SARS-CoV-2, weshalb den Besuchern strenge Verhaltensregeln aufgegeben wurden. Begleitend führte Kurator Dr. Wolfgang Mährle in einem vierteiligen Film virtuell durch seine Ausstellung. Im vorliegenden Katalog nun lässt sich das Thema auch schwarz auf weiß, ja, sogar teilweise in Farbe, getrost und vom Virus unberührt, zuhause studieren. Der illustre Katalog bietet Geschichtsunterricht, der dem »Siebziger Krieg« vorgreift und auch seine Folgen betrachtet. Die viergliedrige Ausstellung mit vielen Exponaten (I. Vor dem Sturm: Württemberg am Vorabend der Reichsgründung, II. Unsichere Kantonisten? Die württembergische Armee im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, III. Stimmungswandel: Württemberg auf dem Weg ins Deutsche Reich, IV. Politische Identitätsbildung: Erinnerung an Krieg und Reichsgründung in Württemberg) wird durch zwölf Aufsätze namhafter Autoren angereichert, die sich sowohl dem Krieg widmen, als auch seiner Fortsetzung mit politischen Mitteln. Hierbei ist besonders Michael Kotullas Beitrag zur Entstehung der Reichsverfassung zu nennen.
Albrecht Ernst reportiert Prinz Wilhelms, des späteren Königs Wilhelm II., Erfahrungen in diesem Krieg unter dem Thema »Der Krieg ist furchtbar, aber schön ist die Begeisterung«. Wolfgang Mährle stellt die von Württemberg für den Krieg gegen Frankreich aufgebotene Felddivision vor, die zu Kriegsbeginn der III. deutschen Armee unterstellt wurde. Irritierend ist die Zahl der von ihm genannten württembergischen Soldaten. Die 18.000 Mann in seinem Aufsatz korrespondieren nicht mit den 823 Offizieren und 29.410 Mann, die er auf dem beiliegenden DIN A2-Poster aufführt. Als Erklärung bleibt, dass außer der genannten Felddivision noch zusätzliche württembergische Verbände und Einheiten auf anderen Schauplätzen agierten. Diese militärische Karte indes, auf der auch nichtkriegerische Ereignisse, Daten und Orte gelistet sind, bietet einen guten Überblick über die Operationen der deutschen Armeen und über die französischen Truppenbewegungen.
Friedemann Schmoll inventarisiert unter dem Titel »Gleichschritt, Eigenständigkeit, Doppelloyalitäten? Krieg, Sieg, Reich und Nation im württembergischen Denkmalkult nach 1870/71« die württembergische Denkmalslandschaft und bilanziert, die vielen »Sedan-Plätze« und »Sedan-Straßen« in deutschen Städten unerwähnt lassend, die Inventur zeige, »zunächst in den Kriegerdenkmalen und dann in den Gedächtniszeichen für Kaiser Wilhelm I. die tiefe Verankerung des Reichsnationalismus«.
Auch wenn das Königreich Württemberg gegen politische Zentralisierungsbestrebungen auf föderative Vielfalt und kulturelle Eigenständigkeit setzte, wie Schmoll weiter konstatiert, sah es sich doch im einsetzenden Siegesrausch mit der ganzen Nation vereint. Diese fand sich schließlich, auf Initiative Bismarcks, in einem »Deutschen Reich« wieder, dem sich das Königreich Württemberg 1871 als Bundesstaat anschloss. Noch während des Kriegs hatte Württemberg im Vertrag vom 25. November 1870 die Zusage erhalten, dass es im Bundesrat vier von 52 Stimmen führen sollte.
Soweit das Ende einer Geschichte, an deren Anfang die schicksalhafte »Emser Depesche« gestanden hatte, in der die französische Regierung vom Preußenkönig eine Garantieerklärung gefordert hatte, auch in Zukunft die Anwartschaft der Hohenzollern auf die spanische Krone nicht zu autorisieren. Vorausgegangen war der Rücktritt Leopolds von Hohenzollern von der spanischen Thronkandidatur am 12. Juli 1870 auf Druck Frankreichs. Die Forderung erreichte den preußischen König am 12. Juli 1870 auf der Kurpromenade von Bad Ems. Überbracht vom französischen Botschafter Graf Benedetti und verkürzt vom preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck an die deutsche Presse weitergegeben, entfaltete sie eine gewaltige diplomatische Sprengkraft. Die französische Regierung sah sich bloßgestellt, mobilisierte ihr Berufsheer und erklärte Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg. In der Folge stellte Frankreich überrascht fest, dass die süddeutschen Staaten sich ausnahmslos auf die Seite Preußens schlugen.
König Karl, der (ebenso wie der Bayernkönig Ludwig II.) bei der Kaiserproklamation in Versailles fehlte, hatte bis zuletzt seine zögerliche bis abweisende Haltung den Preußen gegenüber nicht wesentlich geändert. Doch konnte er sich der Einsicht nicht entziehen, dass sich seine Bevölkerung nach den militärischen Erfolgen der deutschen Armeen zunehmend für einen (kleindeutschen) Nationalstaat unter der Führung des Hauses Hohenzollern begeisterte. Die Soldaten seiner Felddivision, die unter dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm am Feldzug teilgenommen hatten, wurden Ende Juni, Anfang Juli 1871 bei ihrer Rückkehr in die Heimat begeistert empfangen.
Das Fazit im Aufsatz von Wolfgang Mährle: »Sieht man von den Gefechten an der Marnemündung ab, spielte die württembergische Felddivision im Deutsch-Französischen Krieg lediglich eine Nebenrolle. Dies galt auch für die Schlacht bei Wörth und insbesondere für die Schlacht bei Sedan, wo bekanntlich der französische Kaiser samt seiner Armee kapitulierte«.
Dass Mährle zwar die Verluste aus den jeweiligen Bataillen benennt, aber keine Gesamtbilanz an württembergischen Toten, Verwundeten und Vermissten im gesamten Krieg zieht, ist ein Manko. Ebenso, dass Schauplätze, an denen Württemberger keine Rolle spielten, im Katalog nur en passant genannt werden. So bleiben auch die Kämpfe bei Saint-Privat/Gravelotte ausgespart, allenfalls findet sich ein dürrer Eintrag auf der schon genannten Lagekarte. Am 18. August 1870 hatte dort Friedrich August Eberhard Prinz von Württemberg, »königlich preußischer Generaloberst von der Cavallerie« und ein Neffe des württembergischen Königs Wilhelm I., das preußische Gardekorps so taktisch rücksichtslos, gegen Maschinengewehre der Franzosen anreiten lassen, dass die Verluste der Reiterei verheerend waren. Den blutigen Sieg fasste der kirchliche Oberhofprediger und Prälat Karl Gerok in Stuttgart in seinen »Palmblättern« im vaterländischen Gedicht »die Rosse von Gravelotte« zusammen. Diese religiöse Erbauungsschrift wurde seinerzeit viel gelesen. Und in Frankreich hat sich in Erinnerung an diese Schlacht bis heute eine Redensart gehalten: Ça tombe comme à Gravelotte (»Das kommt runter, wie in Gravelotte«) beziehungsweise Ça pleut comme à Gravelotte (»Es regnet wie in Gravelotte.«). Die Redensarten beziehen sich auf den schweren und dichten Beschuss, dem sich beide Parteien gegenseitig ausgesetzt sahen. Ein noch fast junges Museum erinnert dort an dieses Ereignis, es wäre auch im Katalog einer Erwähnung wert gewesen.
Reinhold Fülle
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