Volker Angres, Claus-Peter Hutter: Das Verstummen der Natur

Das unheimliche Verschwinden der Insekten, Vögel, Pflanzen – und wie wir es noch aufhalten können.

Ludwig Verlag München 2018. 336 Seiten. Gebunden € 20,–. ISBN 978-3-453-28109-7

In der Tagespresse liest man fast nur noch etwas über Naturschutz, wenn es um kuriose oder ärgerliche Themen geht. So zum Beispiel über die riesigen Schotterhaufen auf der Feuerbacher Heide beim Killesberg in Stuttgart, die seit einiger Zeit das Spazierengehen und Schlittenfahren dort unmöglich machen. Zur Erfüllung von EU-Recht war das zur Schaffung von Ersatzlebensräumen für 360 beim Bahnbau Stuttgart 21 störende Mauereidechsen unumgänglich. Der Zeitungsleser wundert sich und schimpft, schert fortan alle Naturschützer über einen Kamm: Spinner! Was in Jahrzehnten seit dem Europäischen Naturschutzjahr 1970 an Renommee aufgebaut worden ist, geht in Rauch auf.

Gottseidank gibt es Fachleute, die einem so einen Fall erläutern können. Die Autoren, beides erfahrene Fachleute — Volker Angres, Leiter der ZDF-Umweltredaktion, und Claus-Peter Hutter, Leiter der Baden-Württembergischen Umweltakademie — gehen auf den Stuttgarter Eidechsen-Fall ausführlich ein (S. 227 ff.), kommen aber schließlich auch zum Schluss, dass das mit den Schotterhaufen Unfug sei. Die Naturschutzbehörden seien Gefangene ihres eigenen Paragrafendschungels geworden, müssten, um den Bau des Bahnprojekts S 21 zu ermöglichen, zwangsläufig Aktionismus betreiben, wohl wissend, dass das mühsam aufgebaute gute Image des Naturschutzes dabei verspielt wird. So wird auch die Überschrift des diesbezüglichen Kapitels (Wer rettet die Retter?) verständlich.

Dies ist freilich nur eine Episode aus dem hervorragend geschriebenen Buch, bei dem es um weit Gewichtigeres als um kuriose Einzelfälle geht. Die Autoren analysieren schonungslos den Umgang der Menschheit mit der Natur. Macht Euch die Erde untertan werde weltweit falsch verstanden und führe, wenn sich nichts ändert, zum Verstummen der Natur, das heißt, zu einem Kollaps der Ökosysteme. Dass etliche Kapitel apokalyptische Züge tragen, etwa wenn es um den Rückgang von Tier- und Pflanzenarten geht, kann nicht ausbleiben, aber die beiden Autoren wechseln dann rechtzeitig, bevor man vom Lamento genug hat, zu konstruktiven Kapiteln, in denen sehr anschaulich geschildert wird, was der Einzelne, aber auch die Politik und Wirtschaft tun kann, um den drohenden Exodus zu verhindern. Ob diese Vorschläge nun weltrettend sind, mag dahingestellt bleiben, aber immerhin bekommt man gesagt, was man selber tun kann und sollte, um das Artensterben zu stoppen. Und dabei wird jeder Leser so und so viele Punkte finden, die ihm zeigen, dass es nicht damit getan ist, auf andere zu zeigen oder allein die Politiker verantwortlich zu machen, sondern dass es höchste Zeit ist, sein eigenes Kaufverhalten und seinen eigenen Umgang mit der Natur zu ändern. Was schön ist an diesem Buch: Dies alles wird keineswegs oberlehrerhaft und schuldzuweisend dargestellt, sondern so, dass man durchaus bereit ist, sein eigenes Verhalten zu überdenken und dies und jenes zu ändern.

Den Politikern, gleich ob EU oder Land, stellen die Autoren ganz schlechte Zeugnisse aus, werfen ihnen Ignoranz, skandalöse Verschleppungstaktiken und krasse Fehlentscheidungen vor. Statt endlich dem Artensterben wirksam zu begegnen, würden weiter Forschungsaufträge zum Nachweis der Harmlosigkeit von Pestiziden vergeben und manch anderes unternommen, um sich vor unbequemen und doch unausweichlichen Entscheidungen zu drücken. Unter den Verursachern und Verantwortlichen des Artensterbens nehmen die Autoren besonders die industrialisierte Landwirtschaft mit ihrem unfasslichen Einsatz von Pestiziden und den endlosen Monokulturen aufs Korn. Da wird nicht um den heißen Brei herumgeredet, da wird klar, was auf dem Spiel steht: Bauern, Boden, Bienen – wie ein uraltes System aus den Fugen gerät heißt eine Überschrift, unter der man Hochinteressantes über die Wirkmechanismen zwischen Politik, Industrie, Verbänden, Landwirten und Konsumenten liest. Und die Autoren machen deutlich, was endlich getan werden muss, wie genau das aussehen kann und welche positiven Beispiele es für die Rettung der biologischen Vielfalt gibt.

Was ist nun die Bilanz des Buches? Eines wird ganz klar: Rasches Handeln auf allen Ebenen ist notwendig, um die Artenvielfalt zu erhalten, um die Luft in Städten zu verbessern, um die Plastikvermüllung der Meere zu stoppen, um das unheimliche Verstummen der Natur zu verhindern. Das Buch zeigt Wege auf, ob die Menschheit sie einschlägt, stellen die Autoren aber selbst in Zweifel, denn die Erfahrung auf der ganzen Welt ist die: Einzig die Kraft der Katastrophen bringt die Menschheit zum Handeln. (S. 300) Entscheidend ist schließlich die Schlussfrage: Wie viel Natur sind wir uns selbst wert? Da kann dann auch jeder Leser drüber nachdenken …

Auch wenn die Autoren eine erschütternde Bilanz im Umgang des Menschen mit der Natur ziehen, keimen in vielen Kapiteln Körnchen Hoffnung auf. Deshalb gehört das Buch all denen als Lesebuch auf den Nachttisch, die in irgendeiner Weise Verantwortung für Natur und Landschaft haben – und wer hat das nicht?

Reinhard Wolf

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