Titelbild eines Buches

Bastian Kaiser: Bin im Wald!

Mit einem Forstexperten durchs grüne Dickicht

Hirzel-Verlag Stuttgart 2022. 300 Seiten mit 24 farbigen Abbildungen. Hardcover 22,00 €. ISBN 978-3-7776-3040-3

Titelbild eines Buches

Der Buchtitel weckt Hoffnungen; man erwartet, dass der Autor, Professor und Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, den Leser auf Waldspaziergänge mitnimmt und dies und jenes am Wegesrand erklärt, was man als Laie nicht sieht und nicht weiß. Doch nichts dergleichen – überhaupt nicht geht’s in den Wald, es geht vielmehr um »Forst-Wirtschaft«. Das »grüne Dickicht« des Buchtitels ist nicht der Wald, sondern sind die Forstverwaltung und die Holzwirtschaft! Man könnte meinen, der Autor habe Kameralistik studiert. Er erklärt das so: »Der Weg in die forstwirtschaftliche Praxis blieb mir leider verwehrt […] aber ich habe dennoch forstliches Fachwissen sammeln und eine wertvolle Distanz bewahren können, die mir einen anderen Blick in die Wälder und auf die Forstwirtschaft erlaubt.«

Der rote Faden des Buches ist etwas verwirrend: Abwechselnd wird kapitelweise Sachinformation geboten und – in etwas anderem Schriftbild – der persönliche Lebens- und Berufsweg des Autors geschildert, wobei man nicht immer die Parallelen der Kapitel nachvollziehen kann. Beides ist ineinander verwoben und durchaus interessant zu lesen. Wer es seither nicht wusste, der liest es hier: Forstwirtschaft und Waldpflege sind zweierlei; die Wirtschaft bestimmt, was im Wald gemacht wird, ökologische Gesichtspunkte sind nachrangig. Seine beruflichen Erfahrungen hat der Autor hauptsächlich in Südamerika und Osteuropa gesammelt und so stolpert der aufmerksame Leser darüber, dass gelegentlich ein Problem der deutschen Forstleute mit südamerikanischen Lösungen beantwortet wird, was durchaus plausibel sein könnte, wenn der Autor nicht im selben Absatz schreiben würde, dass man so bei uns nicht verfahren könne. Ähnliche Widersprüche ziehen sich durch das ganze Buch: Die über Jahrzehnte herangezüchteten Kulturwälder werden als überholt angesehen und so getan, als sei dies eine alte Weisheit, dass aber die Förster bis vor kurzem Fichtenmonokulturen bevorzugt haben und dies aus wirtschaftlichen Gründen, wird tunlichst verschwiegen. Dass Artenschutz wichtig sei, erwähnt der Autor, aber er lässt andererseits deutlich erkennen, dass Naturschutz seine wirtschaftlichen Überlegungen nur stört. Vieles in dem Buch liest sich höchst interessant, wenige Seiten später allerdings stößt man dann auf Gegenteiliges. Manches wird nur angerissen, ohne dass man wirklich etwas erfährt; so steht beispielsweise in dem über sechs Seiten langen Kapitel »Willkommen, Wolf!«, aber nur im allerletzten Satz ist etwas über den Wolf zu lesen, nämlich dass Herdentierhalterinnen ein ernstes Problem haben und manche Jagende die Räuber als Konkurrenz empfinden.

Wer im vorhergehenden Satz über die Worte »Herdentierhalterinnen« und »Jagende« gestolpert ist, erlebt in diesem Buch Seite für Seite Überraschungen: Wo sich Herr Bastian nicht mit geschlechtsneutralen Begriffen behelfen konnte, wählt er eine neue Form der deutschen Sprache: »Der Autor hat sich«, so erläutert der Verlag im Impressum, »gegen die Verwendung des Gendersternchens (*) entschieden. Stattdessen verwendet er in zufälliger Verteilung die weibliche und die männliche Form und hofft, mit dieser Variante auf die überfällige Gleichstellung der Geschlechter hinzuweisen.« So entstehen viele zum Schmunzeln reizende Sätze, einer sei zitiert (S. 141): »Auf der anderen Seite haben die Naturschützer, die vor allem den Schutz von Tier-und Pflanzenarten in lichten Wäldern verfolgen, andere Forderungen an die Waldbewirtschaftung als die Naturschützerinnen, die eine möglichst natürlich ablaufende Sukzession für die beste Form des Waldnaturschutzes halten und deshalb dichte, dunkle Wälder anstreben.« Kurioses Beispiel für die Sinnentstellung deutscher Sprache, gleichzeitig aber auch für das in diesem Buch übliche Gegenüberstellen zweier Meinungen, ohne dass sich der Autor festlegt, welcher er ist.

Man kann dieses Buch Lesern empfehlen, die sich ein Bild von den vielfältigen Ansprüchen an den Wald im Lauf der Zeiten machen wollen, die den Einfluss ökonomischer Interessen auf unseren Wald und auf diejenigen, die zu dessen Bewirtschaftung und Pflege berufen sind, erfahren wollen. Wer sich aber von einem Forstexperten einen schönen Wald zeigen und erklären lassen will, wendet sich vielleicht doch eher an einen Praktiker – der Autor, der ja nach eigenen Worten eine gewisse Distanz zur Praxis einnimmt, verfolgt eine rein ökonomische Betrachtungsweise. Ästhetik, Emotionen o.ä. schildert er nur eingangs aus Jugendtagen auf der Schwäbischen Alb – auf seine heutigen Waldspaziergänge nimmt er keine Leser mit.

Reinhard Wolf

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