Titelbild eines Buches

Ulrike Seeger: Schloss Ludwigsburg

Schloss Ludwigsburg und die Formierung eines reichsfürstlichen Gestaltungsanspruchs

Böhlau Verlag Köln 2020. 496 Seiten mit 397 Abbildungen. Fest gebunden 100,00 €. ISBN 978-3-412-51827-1

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Das vor den Toren Stuttgarts gelegene Residenzschloss Ludwigsburg ist eine der größten Schlossanlagen des Barock. Sie hat die letzten beiden Weltkriege unzerstört überlebt und ist doch noch immer nicht ausreichend erforscht. Dies verwundert angesichts des Umstandes, dass die Wissenschaft eine ausgezeichnete, weil umfangreiche Quellenlage zur Geschichte des Komplexes in den Archiven vorfinden kann. So bietet insbesondere das Schaffen der beiden für die Gesamterscheinung der Anlage prägendsten Architekten Johann Friedrich Nette und Donato Giuseppe Frisoni noch ein reiches Betätigungsfeld.

Mit dem vorliegenden Band erschließt Ulrike Seeger erstmals die zwischen 1706 und 1715 von Johann Friedrich Nette konzipierte Dreiflügelanlage in ihrer Gesamtheit einschließlich der bauzeitlichen Innenausstattung, wobei sie auch das bewegliche Inventar einbezieht. In einem zweiten Schritt weitet sie auf der Grundlage dieser bau- und ausstattungsgeschichtlichen Analyse den Blick und untersucht die Rezeptionsstrategien, die in Ludwigsburg wirksam waren – also auf welche Weise man sich hier über vergleichbare Bauprojekte anderer Höfe informierte und was aus dem in Erfahrung gebrachten Repräsentationsniveau im eigenen Projekt verarbeitet wurde. Es waren insbesondere gedruckte Ansichten- und Vorlagenwerke, aus denen sich die Protagonisten des Ludwigsburger Schlossbaus, allen voran der Bauherr Herzog Eberhard Ludwig, dessen Oberhofmarschall Georg Friedrich von Forstner sowie der Hofarchitekt Nette, über diese vorbildhaften Standards informierten.

Die auf Württemberg zentrierte Perspektive wird damit gewinnbringend auf eine internationale Ebene gehoben. Ulrike Seeger kann hierbei auf die Erträge ihrer langjährigen Forschungsprojekte über barocke Ornament- und Architekturstichwerke zurückgreifen. Auch die weiteren wissenschaftlichen Spezialisierungen der Autorin, die sich intensiv mit dem Wiener Palastbau des 18. Jahrhunderts beschäftigt hat und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Corpus der barocken Deckenmalerei ist, kommen dem Band zugute. Sie spiegeln sich in den Schwerpunktsetzungen der Buchkapitel, deren Texte damit methodisch an Vielfalt gewinnen.

Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang, dass sich die Autorin der bewunderungswürdigen Mühe unterzog, die in dreistelliger Anzahl überlieferten Briefe des Hofmarschalls von Forstner trotz dessen kaum lesbarer Handschrift zu transkribieren. Durch das akribische Studium der archivalischen Quellen können Datierungen verifiziert und zahllose offene Fragen der Bau- und Ausstattungsgeschichte der Nette-Zeit geklärt werden. Man hätte sich aufgrund der höchst aufschlussreichen baugeschichtlichen Informationen der Forstner-Briefe gewünscht, die eine oder andere Transkription als wichtige Quelle im Anhang abgedruckt zu finden.

Obwohl die vergleichende kompositorisch-dekorationsgeschichtliche Analyse der Innenräume der Dreiflügelanlage nur exemplarisch durchgeführt wird, gelingt es der Arbeit, umfangreiche Bildprogramme zu entschlüsseln, die zu neuen Erkenntnissen beitragen. Eine Überraschung ist zum Beispiel die Zuweisung der Erdgeschoss-Appartements des Ordensbaus an die Geschwister Grävenitz – wobei die größere Wohnung interessanterweise an Wilhelmina von Grävenitz, die Mätresse des Herzogs, ging.

Äußerst spannend sind darüber hinaus die in einem der Klebebände der Württembergischen Landesbibliothek – die Seeger als von Forstner stammend identifizieren konnte – enthaltenen Vorlageblätter von Jakob Wilhelm Heckenauer. Einige der Kupferstiche Heckenauers mit Darstellungen von Kron- und Wandleuchtern von 1712/13 tragen nämlich Randnotizen des Oberhofmarschalls. So notierte er etwa auf einem Exemplar, dass im Falle einer Ausführung des Kronleuchters der darin enthaltene Jupiter durch die Jagdgöttin Diana ersetzt werden müsse. Zwei der üblicherweise sechs Blätter fehlen darüberhinaus im Klebeband, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass sie entnommen wurden, um als direkte Vorlage für Ludwigsburger Leuchter zu dienen. In grundlegender Weise lässt sich an diesem seltenen Beispiel studieren, wie die Ornamentstiche der Serie unmittelbar in den Ausführungsprozess der Leuchterproduktion für die Schlossanlage eingeflossen sind.

Allein schon wegen solch eher »beiläufiger« kunsthistorischer Erkenntnisse lohnt sich das Vertiefen in Seegers umfangreiches Werk, das exzellent mit Bildern ausgestattet ist. Aufgrund seiner aufschlussreichen Analyse der Rezeptionsprozesse dürfte es nicht allein der Geschichtsschreibung zur barocken Kunst in Württemberg, sondern insgesamt der Forschung zur Residenzkultur in Europa neue Impulse verleihen.

Martin Pozsgai

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