Ein Palast am Übergang vom Klassizismus zum Historismus.
240 Seiten, 164 Farb- und 38 S/W-Abbildungen, Hardcover 22 x 28 cm, Michael Imhof Verlag Petersberg, 2017, 39,95 Euro. ISBN 978-3-7319-0636-0
Zu den meistdiskutierten Gebäuden Stuttgarts nach 1945 gehört das 1854 eingeweihte, 1944 stark zerstörte und 1963 abgebrochene Kronprinzenpalais am Schlossplatz. Seine herausragende städtebauliche Bedeutung am Kopfende der Planie und damit als Pendant zum Wilhelmspalais beim Charlottenplatz verhinderte letztlich nicht, dass es den Nachkriegsplanungen der Stadt Stuttgart zum Opfer fiel und nicht – wie das benachbarte Neue Schloss – wiederaufgebaut wurde. Die weitere Geschichte an diesem Abschnitt der Königstraße ist bekannt: Durchbruch der Planie für den Verkehr, Errichtung des Kleinen Schlossplatzes und schließlich nach langen Diskussionen der Bau des gläsernen Kunstgebäudes.
Trotz einiger früherer Forschungsarbeiten – darunter auch ein ausgezeichneter Beitrag von Grit Herrmann in der Schwäbischen Heimat im Jahr 2000 – schien es lange Zeit so, als würde über das Kronprinzenpalais, seine Planung, seine Architektur und insbesondere seine Ausstattung, nur noch wenig Neues in Erfahrung zu bringen sein. Doch Rolf Bidlingmaier ist es nach Auswertung unzähliger Quellen in Archiven, Museen und Instituten gelungen, eine umfangreiche Monografie vorzulegen, die unsere Kenntnis über die durchaus komplexe Baugeschichte nebst den beteiligten Künstlern und Kunsthandwerkern sowie über die Innenräume wesentlich bereichert.
Obwohl der Aufbau des Buches eher einem wissenschaftlichen Kanon folgt, liest es sich durchaus spannend. Immer wieder gelingt es dem Autor, die Betrachtung des Gebäudes in den jeweiligen zeitgeschichtlichen Zusammenhang einzufügen, was sowohl demjenigen, der sich für die Stuttgarter Stadtgeschichte interessiert, als auch jenem, der ein Faible für die Architektur des 19. Jahrhunderts hat, großes Vergnügen bereitet. Einen breiteren Raum nimmt auch die Geschichte nach 1919 ein, als es keinen Kronprinzen mehr gab und das Gebäude mit seinen großen repräsentativen Räumen Ausstellungs- und Messezwecken, Tagungen und Regierungsangelegenheiten, ja selbst einer Bankfiliale mit Tresorräumen diente.
Bestechend sind die zahllosen Fotografien, Zeichnungen und Grundrisse aus allen Phasen der Planungs- und Baugeschichte bis zum Einzug von Kronprinz Karl und seiner Gemahlin Großfürstin Olga von Russland im Dezember 1854. Nahezu jeder Raum wird einer eingehenden Betrachtung seiner Funktion und Ausstattung unterzogen und bietet manche Preziosen, wie etwa die russische Kapelle, die eigens für Olga eingerichtet wurde.
Es blutet einem aber auch das Herz, wenn man schließlich in aller Breite vor Augen geführt bekommt, unter welchen städtebaulichen und gesellschaftspolitischen Prämissen der Abbruch 1963 herbeigeführt wurde. Auch der Autor selbst lässt keinen Zweifel daran, was er von den unseligen Versuchen der Verwaltung und einiger Architekten hält, Stuttgart bewusst nicht im Geiste des Vergangenen entstehen zu lassen. Stattdessen zerstörten sie mit dem Anspruch, eine ganz neue Stadt entstehen zu lassen, stellenweise mehr Identität als der Krieg selbst.
Insgesamt ist es ein Buch, das neben der monografischen Betrachtung eines einzelnen Gebäudes auch einen intensiven Blick auf den Klassizismus in Württemberg und damit auf König Wilhelm I. wirft, der mit repräsentativen Bauten den Ruf Stuttgarts als würdige Residenz ausbaute.
Bernd Langner
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