Hrsg. von der Stadt Filderstadt 2020 (Filderstädter Schriftenreihe, Band 25). 776 Seiten mit 700 meist farbigen Abbildungen. Gebunden 25,– €. ISBN 978-3-934760-24-0
Gewichtig liegt sie in der Hand des geneigten Lesers – praktischer vor ihm auf dem Schoß oder Tisch: 21 x 22 cm groß, fast zweieinhalb Kilo schwer und 776 Seiten dick, ein starkes Stück, in Gestalt und Inhalt: die jüngst erschienene Ortsgeschichte von Bonlanden, einem der fünf Teilorte von Filderstadt, koordiniert und herausgegeben vom Filderstädter Stadtarchivar Nikolaus Back. Der Band beschreibt nicht weniger als 7500 Jahre Geschichte auf den Fildern, von den ersten sesshaften Bauern Europas, den sogenannten Bandkeramikern ab etwa 5500 vor Chr. bis zur Gegenwart. Auch aus den der Steinzeit folgenden Metallzeiten (ab ca. 2200 v. Chr.) sind auf der Gemarkung Funde bekannt, ebenso aus römischen Gutshöfen, erstaunlicherweise aber (noch?) nicht aus alamannischer Zeit (nach ca. 300 n. Chr.).
Mit der Vor- und Frühgeschichte von Christoph Morrissey setzt die Beschreibung der Ortsgeschichte ein, danach wird in Bonlanden fast tausend Jahre historisches Dunkel herrschen. Das nächste Zeugnis ist erst wieder die Erstnennung des Orts 1269 im Namen des Ritters »Wol[vlin] de Bonlanden«, der eine Burg in der heutigen Ortsmitte besaß. Christoph Florian führt dem Leser den Ort des Mittelalters bis etwa 1500 vor Augen: die Orts- und Gerichtsherrschaft der Herren von Bernhausen und von Stöffeln. Er beschreibt, wie die Gemarkung entstand, ebenso die Lehen- und Pachtverhältnisse, die Landwirtschaft und die vielfältigen Abgaben, die Besitz- und kirchlichen Verhältnisse. Irgendwann in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erwarben dann die Grafen von Württemberg den Ort. Das genaue Datum ist nicht überliefert, und in der Ortsgeschichte geht dieser doch wichtige Besitzerwechsel ein wenig unter.
Im Wesentlichen um die gleichen Themen wie im Mittelalter geht es im folgenden Beitrag von Nikolaus Back über die Entwicklung des Orts in der bis 1806 dauernden »Frühen Neuzeit«. Freilich fließen nun die Informationen weitaus reicher, dementsprechend dichter wird die Beschreibung. Nikolaus Back lässt – wie in allen seinen Beiträgen im Band – auffallend ausführlich die Quellen zu Wort kommen, meist sprachlich und orthographisch ein zu eins aus den Vorlagen übernommen. Das vermittelt Lokal- und Zeitkolorit; der Leser fühlt sich atmosphärisch in die Vergangenheit mitgenommen, so etwa mit den erschütternden Totenbucheintragungen des Dreißigjährigen Kriegs oder ausführlicheren Passagen aus Auswandererbriefen aus den USA im 19. Jahrhundert – und mit Dutzenden, ja Hunderten weiterer direkter Zitate. Die Texte werden so bunt und anrührend, und tragen damit ganz entscheidend zum nachhaltigen Verständnis und – das ist wichtig – zum Lesevergnügen bei. Die Verhältnisse und das spezielle Geschehen in Bonlanden wird gerade von Nikolaus Back zudem oft geschickt eingebettet in die Schilderung der allgemein in Württemberg herrschenden historischen Voraussetzungen und Entwicklungen, oft über den Rahmen einer Ortsgeschichte hinausgehend. Der Leserkreis dürfte sich damit bis weit über die Reihen der Fachleute hinaus erweitern.
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, an dieser Stelle alle in dem Buch berührten Themen auch nur stichwortartig zu erwähnen. Nicht weniger als 37 Autoren waren beteiligt, in der schriftlichen Darstellung nicht selten in Zusammenarbeit mit dem Herausgeber. So fanden höchst interessante Spezialthemen Eingang, etwa die Beschreibung des historischen Hausbestands durch den Tübinger Bauforscher Tilman Marstaller, der zu einer sehr schmerzhaften Beurteilung des Umgangs mit bäuerlichen Kulturdenkmalen nicht nur in Bonlanden gelangt, oder die Darstellung des – auch historischen – Obstbaus mit bis zu 150-jährigen Streuobstbäumen auf der Gemarkung. Freilich hätte man vielleicht außer den Namen noch etwas mehr über die Autoren erfahren.
Auf mehr als 450 Seiten wird der »Frühen Neuzeit« folgend die Geschichte des Orts von etwa 1800 bis 1945 dargestellt, wieder leserfreundlich aufgeteilt in eine große Anzahl von Themen und Unterkapiteln. Die napoleonische Ära, das Ende des alten Reiches 1806 und die Erhebung Württembergs zum Königreich finden aber erstaunlicherweise keine Erwähnung. Sehr ausführlich und angemessen detailreich hingegen finden sich »Wirtschaft, Kultur und Infrastruktur im 19. und 20. Jahrhundert« wieder: Handwerk und Handel, verschiedene Sparten der Landwirtschaft, der Wald, die Kirchen, die Schulen und viele andere Themen mehr.
Erfreulich breiter Raum ist der Darstellung der NS-Zeit eingeräumt. Bonlanden war eine bäuerliche Gemeinde mit einem großen – auswärts beschäftigten – Arbeiteranteil; das Dorf galt als »rot«. Erst in den 1960er-Jahren setzte in Bonlanden eine nennenswerte Industrialisierung ein, an der die rund 800 Vertriebenen, die in Bonlanden eine neue Heimat fanden, wesentlich Anteil hatten. Der Ort wuchs und veränderte sich rasant. Dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel seit 1945 nebst den Bonlandener Vereinen seit dem 19. Jahrhundert – nicht zu vergessen der berühmte Tenor Alfons Fügel – sind die letzten Kapitel der Ortsgeschichte gewidmet. Auf einen exquisiten Schatz sei besonders hingewiesen: Die rund 700 (!) Abbildungen, die meisten Fotos aus der Sammlung des Stadtarchivs und vorzüglich reproduziert, wären allein schon den Erwerb des Buches wert.
Raimund Waibel
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