Eine Untersuchung zur politischen Praxis im frühneuzeitlichen Württemberg am Beispiel von Herzog Friedrichs Weberwerk (1598–1608).
(Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Band 81). Jan Thorbecke Verlag Ostfildern 2020. 292 Seiten. Pappband 39,–. ISBN 978-3-7995-5281-3
Nach dem Tod des kinderlosen Ludwigs von Württemberg übernahm 1593 die Mömpelgarder Seitenlinie des fürstlichen Hauses die Macht im Herzogtum Württemberg. Ganz anders als sein Vorgänger bestimmte nun der neue Regent, Herzog Friedrich, die Politik des Landes, nach außen wie nach innen. Er sei ein dynamischer Landesherr und ein Vertreter des Frühabsolutismus gewesen, resümiert das biographische Lexikon zum Haus Württemberg durchaus treffend. Sichtbare Zeugnisse seines, vom Architekten Heinrich Schickhardt umgesetzten Eifers liefern beispielsweise bis heute zahlreiche Bauten im Land: Schlösser, Kirchen, Brücken, Brunnen, Rathäuser. Seinem Willen ist die Gründung Freudenstadts zu verdanken. Bekannt ist auch seine vom Merkantilismus bestimmte Wirtschaftspolitik. Insbesondere mit der Förderung des Bergbaus und der Leinenweberei wollte er eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes erreichen, dessen Infrastruktur ausbauen. Dahinter stand natürlich immer auch die Absicht, die landesherrlichen Einnahmen und Einkünfte zu erhöhen, um Prestigeprojekte zu verwirklichen, den fürstlichen Hof standesgemäß mit glanzvollen Festen und Feiern international zu repräsentieren. Von Anfang an führte dies den nach absoluter Regierung strebenden Fürsten zum Konflikt mit den Landständen, mit der württembergischen Ehrbarkeit, jener im Land führenden bürgerlichen Oberschicht, die seit dem Tübinger Vertrag 1514 ein Mitspracherecht vor allem in innenpolitischen Belangen für sich beanspruchte und besaß.
Die konfliktgeladene Innenpolitik des Herzogs wird nun in der hier vorliegenden, noch von Sönke Lorenz angeregten Tübinger Dissertation im Detail untersucht. Am Beispiel der herzoglichen Neuordnung der Leinenweberei zeigt der Autor, anschaulich und an Quellen orientiert, nicht nur auf, wie und mit welchen Mitteln der Herzog sich um eine Modernisierung und eine landesweite Vereinheitlichung dieses Wirtschaftszweiges bemühte. Ihm gelingt es auch, nicht minder überzeugend, zu vermitteln, welche Strategien die um ihre Autonomie bangende Ehrbarkeit und deren Fürsprecher entfalteten, welches Beharrungsvermögen die Betroffenen bewiesen und welche Formen des Protestes oder Widerstands den «Untertanen» gegen diese Neuerungen möglich waren.
Sehr zustatten kommt dem Leser bzw. seinem Verständnis, dass Friedemann Scheck, bevor er den einzelnen Winkelzügen nachgeht, einen ausführlichen, kenntnisreichen und verständlichen Überblick zu den innenpolitischen Strukturen bietet. Gekonnt beschreibt er, wie im frühneuzeitlichen Württemberg die Regierung funktionierte, wie die Verwaltung des Landes organisiert war und wie die Behörden in den Dörfern, Städten und Ämtern gegliedert waren, wie die lokalen Gremien besetzt wurden und walteten. Doch geht es dem Autor nicht nur um die Strukturen. Sein Augenmerk gilt auch den Akteuren, sei es auf der Regierungsseite oder in der Opposition. Deutlich wird, welche Rolle einzelne bürgerliche Familien im Land spielten und wie sie auf der einen wie der anderen Seite das Geschehen mitbestimmten.
In der Auseinandersetzung zwischen Herzog Friedrich und den Landständen zeigt sich schon bald die Ungleichheit der Machtverhältnisse. Der Herzog machte zwar einige Zugeständnisse, in der Hauptsache aber konnte er sich durchsetzen, er verfügte über die entscheidenden Machtmittel, resümiert der Autor. Mit dem frühen Tod des Herzogs jedoch entstand eine neue Machtkonstellation. Nun bewies sich das Kollektiv der sich stets erneuernden bürgerlichen Eliten stärker als die Prägekraft einer individuellen Fürstenpersönlichkeit. Im besten Einvernehmen mit dem neuen Herzog Johann Friedrich, dem Sohn des Verstorbenen, setzten die Landstände eine Revision der Erneuerung und eine Rückkehr in die alten Verhältnisse durch und erreichten eine Ablösung der den alten Herzog beratenden Funktionselite. Sein einstiger Kanzler Matthäus Enzlin, Tübinger Jura-Professor, wurde gar wegen Amtsmissbrauch nach einem jahrelangen Prozess zum Tode verurteilt.
Alles in allem: Friedemann Schecks Dissertation hellt ein, wenngleich recht kurzes, dafür aber sehr interessantes, ja spannendes Kapitel der württembergischen Geschichte auf. Zudem ergibt seine Analyse der Herrschaft, der administrativen Strukturen, der Kanzleien und Behörden, der Akteure, Amtsleute, Schultheißen etc. ein hervorragendes Bild des Landes. Er eröffnet damit einen Blick auf die Verhältnisse der württembergischen Innenpolitik, die die württembergische Geschichte noch lange bis ins 19. Jahrhundert hinein prägten.
Wilfried Setzler
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