Was wir jetzt tun müssen
Hirzel-Verlag Stuttgart 2022. 208 Seiten. Hardcover 22,00 €. ISBN 978-3-7776-3020-5
Fünf Jahrzehnte ist es her, dass der Club of Rome mit der Schrift Die Grenzen des Wachstums einen weltweiten Weckruf an alle unbegrenzt Fortschrittsgläubigen losgeschickt hat. Ihre Kernaussage war, dass die Zunahme der Weltbevölkerung, die fortschreitende Industrialisierung und der Ressourcenverbrauch keinesfalls unendlich sein können, sondern ohne Änderung der Wirtschaftssysteme in hundert Jahren kein menschenwürdiges Leben mehr auf dem Planeten zulassen. Nun ist also sozusagen »Halbzeit« und es erscheinen auf dem Buchmarkt eine ganze Reihe von Büchern, die Bilanz ziehen und neue Prognosen wagen.
Der Buchtitel lässt den Schluss zu, dass die Grenzen des Wachstums nach Erkenntnis von Franz Alt, der über 9/10 des Buches verfasst hat, schon zur Halbzeit der prognostizierten hundert Jahre mehr oder weniger erreicht sind. Die Menschheit habe auf die Mahnungen des Club of Rome nicht ansatzweise im notwenigen Maß reagiert und nicht verstanden, dass nur umfassende Verhaltens- und Politikänderungen absehbare (Klima-) Katastrophen verhindern können. »Die beiden Bestseller-Autoren«, so betont der Verlag, »machen Mut und zeigen an zahlreichen Beispielen, wie eine ökoplanetare Zukunftsvision aussehen kann.« (Zitat Buchrückseite). Wer zwischen Verhaltensänderungen und Zukunftsvisionen einen gewissen Widerspruch sieht, liegt richtig: Auf 200 Seiten werden dem Leser im einen Kapitel Wahrheiten an den Kopf geworfen, dass einem Hören und Sehen vergeht, im nächsten Kapitel aber vorgegaukelt, mit der Nutzung von Sonne und Wind – und dem Vertrauen auf Gott, das wird immer wieder mal eingeflochten – lasse sich alles wieder einrenken und man könne im seitherigen Wohlstandsdasein weiterleben wie bisher. Konkrete visionäre Handlungsmaximen sind mager gestreut.
»Solare Zukunft statt fossiler Vergangenheit« ist das Credo des Buches. Windausnutzung steht nachrangig an zweiter Stelle. Alle im Buch zu lesenden Modellrechnungen sprechen für die Nutzung von Sonnenenergie; Atomenergie wird u.a. abgetan mit der Rechnung, dass die Menschheit nicht in der Lage sei, einen Pförtner zu bezahlen, der eine Million Jahre lang Atommüll bewachen muss. Dass diese Rechnung total misslungen ist, sei nur nebenbei vermerkt, aber derart plakativ wird in dem Buch des Öfteren argumentiert. Wissenschaftler könnten eigentlich ohne solche wenig überzeugenden Phrasen zur gleichen Erkenntnis kommen! Als kritischer Leser bekommt man manchmal etwas Zweifel an der Verherrlichung der Solarenergie: Dass zur Nutzung der Sonnenenergie zum Beispiel mehr Lithium und andere seltene Erden benötigt werden als vorhanden, wird erwähnt, aber als nebensächlich abgetan: Dafür werden sich dann schon Lösungen finden… Und ob jemals sonnenenergiebetriebene Flugzeuge Menschen von Kontinent zu Kontinent befördern können und ob es elektrisch angetriebene Überseeschiffe geben wird, weiß heute noch niemand; auch solche Themen umschifft Franz Alt geflissentlich.
So sehr man dem Autor bzgl. der Forderung nach besserer Nutzung der Sonnenenergie zustimmen mag, so sauer stößt einem zwischendurch immer wieder das eine oder andere auf: Energie sparen, auf dieses und jenes verzichten, wird randlich angesprochen, aber keineswegs als wesentlicher Teil der Lösung der Probleme propagiert. »Verzicht ist immer unpopulär und vertrackt«, liest man da und ist verwundert über die nächsten Sätze: »Aber darum geht es gar nicht. Es geht um mehr Gewinn für alle.« Weniger mineralische Düngemittel seien ebenso ein Gewinn wie weniger Autos. Damit ist das Thema Verzicht und Sparen abgehandelt; die Politik müsse diese Mehrung des Gemeinwohls vermitteln. Das ist aber nun doch ein bisschen eine simple Forderung. Hat Alt noch nicht beobachtet, dass der Mensch nur bereit ist, auf Schokolade zu verzichten, wenn die Galle zwickt? Anders gesagt: Dass der Mensch sein Verhalten nur ändert, wenn ihn Leidensdruck dazu zwingt? Glaubt Franz Alt wirklich, durch gebetsmühlenartig vorgetragene Forderungen nach mehr Solarenergie die Ressourcenverschwendung eindämmen zu können? Und daran wird ja letztlich kein Weg vorbeiführen.
So sehr man auch gewillt sein mag, Franz Alt bei seinem Credo, schnell von Öl, Kohle und Atom auf Solarenergie umzuschwenken, zu folgen, so fehlen einem beim Lesen doch oft konkrete Hinweise, wer wie wann was ändern muss, um zum Ziel zu gelangen. Konkrete Rezepte sind freilich schwierig, aber ansatzweise muss man den Weg in eine solare Zukunft schon beschreiben, um ein gutes Buch zu verfassen. Das tut leider auch Ernst Ulrich von Weizsäcker nicht, der auf den letzten Seiten etwas zur Geschichte des Club of Rome schreibt, was aber zur Thematik eigentlich nichts beiträgt. So ist das Buch eben letztlich doch eher eine Apokalypse als ein Hoffnungsschimmer. Lesenswert ist es allemal: aufgerüttelt zu werden und sein eigenes Verhalten zu prüfen und zu ändern, ist ein Gebot der Zeit!
Reinhard Wolf
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