(Landesamt für Denkmalpflege Stuttgart, Arbeitsheft 42) Jan Thorbecke Verlag Ostfildern 2021. 480 Seiten mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen. Kartoniert 34 €. ISBN 978-3-7995-1518-4
Nach mehrjährigen bau- und kunsthistorischen Untersuchungen, einer sorgfältigen Bau- und Bestandsaufnahme, denen sich eine umfangreiche Restaurierung des Bauwerks, seiner Ausmalung und seiner Inneneinrichtung anschloss, konnte im Frühjahr 2013 die Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen wieder eingeweiht werden. In dem hier vorliegenden umfangreichen Buch werden die Ergebnisse der damaligen Untersuchungen und die daraus abgeleiteten Einzelmaßnahmen vorgestellt, ausführlich beschrieben und sehr anschaulich illustriert.
Das Gotteshaus sei eine »Kapelle der Superlative«, meint die Herausgeberin; es sei eine der »schönsten Landkirchen« Württembergs mit einem »der größten Schmuckstücke mittelalterlicher Kirchenausstattung«, heißt es an einer anderen Stelle – Aussagen, denen man nur zustimmen kann. Die Veitskapelle ist, was ihre Gründung, ihre Geschichte, ihre Kunstwerke anbelangt, tatsächlich etwas ganz Besonderes. Auch wenn sie von außen recht unscheinbar aussieht, präsentiert sie sich im Innern mit ihrer Bauplastik, der Ausstattung und vor allem mit einer kompletten Wandbemalung als ein wahres Kleinod.
Gestiftet wurde sie 1380 vom damaligen Ortsherrn Reinhart von Mühlhausen als eine Stätte des Gedenkens an seine Familie. Unmittelbarer Anlass dürfte der Tod seines Bruders Eberhard gewesen sein. Derartige Stiftungen zum Seelenheil, zum Stiftergedächtnis und der Totenfürbitte waren damals in der adligen Welt weit verbreitet. Dennoch ist der hiesige Vorgang überraschend und ungewöhnlich, denn die adligen Brüder lebten schon seit langen Jahren in Prag, hatten dort als Finanzberater Kaiser Karl IV. Karriere gemacht und waren zu großem Vermögen gekommen. So musste alles von weit weg her organisiert werden. Schnell schritt der Bau voran: eine dendrochronologische Untersuchung des Dachstuhls datierte diesen auf 1382/83, belegt ist die Weihe des – den böhmischen Nationalheiligen Wenzel, Veit und Sigismund gewidmeten – Hauptaltars der Kirche zum Jahr 1385, dem sogenannten Prager Altar, der sich heute in der Stuttgarter Staatsgalerie befindet. Keine Kosten scheuend, beauftragte Reinhart von Mühlhausen Baumeister, Bauleute, kunstfertige Handwerker, Künstler. Während sich die Architektur mit wenigen Ausnahmen eher einem abendländisch-gotischen Standard verhaftet zeigt, gehören vor allem die Wandmalereien, aber auch die Bauplastik und verschiedene Altäre mit zum Besten, was im späten 14. und 15. Jahrhundert geschaffen wurde. Nicht eindeutig geklärt war bisher, inwieweit sie einem böhmischen Import unterlagen, ob sie vor allem böhmischen oder doch auch schwäbischen Vorbildern verpflichtet sind.
Eigentümlich ist der Kapelle außerdem, dass dies alles, sieht man von Verwitterungsschäden und Altersabnutzung ab, fast unbeschadet die Zeiten überdauert hat. Verschont blieb sie vom Bildersturm, von der protestantischen Abneigung gegenüber Heiligenbildern: Die Ausmalungen blieben unangetastet, wurden nie zugetüncht. Wie ein Wunder entkam sie dem Bombardement der Alliierten 1943, dem die daneben liegende alte Pfarrkirche völlig zum Opfer fiel, sodass die Veitskapelle seither an deren Stelle von der evangelischen Kirchengemeinde als Hauptkirche benutzt wird. Der ungewöhnlich gute Erhaltenszustand bot den Restauratoren somit »eine einzigartige Möglichkeit, den Künstlern und ihren Handfertigkeiten auf die Spur zu kommen«.
Manch Neues ist bei den Untersuchungen und der Restaurierung zu Tage gekommen. So gelangten beispielsweise Ute Fessmann und Inga Falkenberg zu einer kunsthistorischen und stilkritischen Neubewertung der Wand- und Gewölbemalereien. Plausibel machen sie neue Datierungen: Die ältesten Wandgemälde – die Propheten und Apostelzyklen – dürften gegen Ende des ersten Jahrzehnts im 15. Jahrhundert entstanden sein, die Chorausmalung, wie eine dortige Inschrift behauptet, tatsächlich 1428. Einleuchtend sind die Belege, die sie für eine wechselseitige Beziehung zwischen Ulm, Nürnberg, Prag und eben Mühlhausen bringen. Mit guten Beispielen kommen sie zudem zu einer neuen Sicht auf die sich gegenseitig befruchtende Beziehung von Künstlern, die an den vier Orten tätig waren. Nicht minder interessant sind die Aufsätze zur Maltechnik, aber auch zur Ausstattung der Veitskapelle mit Altären, Totenschilden, Grabmalen und Epitaphien oder zur Architektur. Alles in allem: Das lange Warten auf diesen Bericht, auf dieses gewichtige Buch hat sich gelohnt.
Sibylle Wrobbel
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