Titelbild eines Buches

Christhard Schrenk (Hrsg.): Jüdisches Leben in Heilbronn. Skizzen einer tausendjährigen Geschichte

(Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn, Band 53) Stadtarchiv Heilbronn 2022. 431 Seiten mit 250 Abbildungen. Fester Einband 28 €. ISBN 978-3-940646-34-7

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Dieser Band versammelt 17 Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Heilbronns, die einst im Königreich Württemberg mit etwa 900 Mitgliedern die zweitgrößte im Land war. Skizzen einer tausendjährigen Geschichte nennt sie der Untertitel. Man habe gar keine umfassende Darstellung präsentieren, sondern nur auf Einzelaspekte eingehen wollen. Dennoch bietet der Band, erfreulicherweise, eben auch Zeiten überspannende Überblicke, die dann in weiteren Beiträgen zu jüdischen Einrichtungen, Institutionen, zu Menschen, deren Leben und Wirken, angeleuchtet, ergänzt, veranschaulicht und »verlebendigt« werden.

Den Reigen eröffnet der Herausgeber Christhard Schrenk selbst mit einem historischen Überblick (Seite 15–44), der nicht nur einen Bogen spannt von den Anfängen jüdischen Lebens in der Stadt um 1050 bis zur Vertreibung der Juden 1469, sondern auch zur danach praktizierten städtischen Judenpolitik bis in die Zeit der Aufklärung gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Danach zeichnet Annette Geisler die Entwicklung der neuen, ab 1831 entstehenden jüdischen Gemeinde nach bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Seite 45–98).

Mehrere Beiträge sind einzelnen Personen oder Familien gewidmet, beispielsweise Max Beermann (1873–1935), von 1915 bis zu seinem Tod Bezirksrabbiner in Heilbronn, und Philipp Rypinski (1884–1943), von 1917 bis 1933 erster Kapellmeister im Heilbronner Theaterhaus. Besonders beeindruckend ist ein Aufsatz von Daniela Gugg (S. 271–298), die von wenigen Familienfotos ausgehend die Lebensgeschichte von Wilhelm Josenhans und seiner Frau geb. Meyer rekonstruiert.

In den Blick genommen werden auch jüdische Einrichtungen und Institutionen, beispielsweise das »Israelitische Landesasyl Wilhelmsruhe«, in dem 32 alten, erwerbsunfähigen Jüdinnen und Juden eine Heimstätte geboten wurde, oder die von einigen separatistischen Familien gebildete »gesetzestreue« neo-orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft Adas Jeschurun, die ab 1910 ebenfalls eine Synagoge und ein Gemeindehaus besaß.

Erkenntnisse, die weit über die Lokalgeschichte hinausreichen, liefert der umfangreiche und gründliche Aufsatz von Gabriele Holthuis über die 1877 eingeweihte und 1938 zerstörte Synagoge in Heilbronn, »eine wirklich neue und erhebende Sehenswürdigkeit«. Detailliert berichtet sie über die Planungen, die Ideen der Gemeinde und des Architekten Christoph Adolf Wolf sowie über die Ausführung. Die Bau- und die Kunstgeschichte bettet sie überzeugend in die europäische Synagogenarchitektur der Zeit ein. Anschaulich beschreibt sie die Fassaden- sowie die Innengestaltung der Synagoge. Deutlich wird, dass die »orientalisch anmutende Architektur« lange Zeit das Stadtbild des neuen Heilbronn mitprägte und einen städtebaulich »attraktiven Akzent« setzte, dass die neue Synagoge zudem »die städteplanerischen Zielvorgaben der Kommunalpolitik erfüllte« und »den hohen gesellschaftlichen Stellenwert, den ein jüdisches Bethaus in der damaligen liberalen Stadtgesellschaft von Heilbronn« hatte, visualisierte. Nicht minder gründlich beleuchtet sie die Brandstiftung der Nazis am 10. November 1938, den folgenden, erzwungenen Abbruch des Gebäudes sowie das 18 Jahre dauernde Restitutionsverfahren nach 1945.

Während die Synagoge, einst die größte im Gebiet des heutigen Baden-Württembergs, 1938 völlig ausgelöscht wurde – nur wenige kleine Glasscherben sowie zwei 2018 auf einer Auktion in den USA gefundene Schrank- oder Türgriffe befinden sich heute im Haus der Stadtgeschichte –, blieb der Israelitische Friedhof im Breitenloch als ein eindrucksvolles Zeugnis jüdischen Lebens in der Stadt erhalten. Ihm nähern sich drei Beiträge: Joachim Hennze beschreibt die dortige Grabkultur (S. 189–218) und Joachim Schlör würdigt ihn als Ort des Gedenkens und der Versöhnung (S. 323– 338). Etwas aus dem Rahmen fällt der dritte, der aus 20 unkommentierten und undatierten Bleistiftszeichnungen von Friedhofsmotiven des in Berlin lebenden Künstlers Matthias Beckmann besteht.

Das rundum empfehlenswerte Buch schließt mit einem interessanten Interview zur neuen jüdischen Gemeinde in Heilbronn mit deren Gründerin und Vorsitzenden Avital Toren, das Kilian Krauth führte.

Wilfried Setzler

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