Titelbild eines Buches

Christina Schmid und Aida Nejad: Plitsch Platsch. Stuttgarter Wassergeschichten

Verlag Prima. Publikationen Stuttgart 2023. 308 Seiten. Paperback 32 €. ISBN 978-3-9821198-7-8

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Dieses Buch will unter die Lupe genommen werden. Im wahrsten Sinn des Wortes. Denn Plitsch Platsch ist ein experimentelles Projekt. Christina Schmid und Aida Nejad zeichnen sozusagen als Laborantinnen für die Versuchsanordnung verantwortlich. Erstere als Autorin, die ursprünglich als Grafikerin »nur« Bücher gestaltete und jetzt selbst zur Feder gegriffen hat, Kalligraphin die andere, deren hundert Wasserskizzen in türkiser Tinte das Prädikat »minimalistisch« mehr als verdient haben.

Plitsch Platsch erinnert im Format an das evangelische Kirchengesangbuch. Und: es ist ein Buch, das sprechen kann. Ein »polyphones Buch« sei es, wurde schon von ihm behauptet. Tatsächlich folgt der Leser dem »Dialog« verschiedener Personen, von denen nicht immer klar wird, wer sie sind. Zwar werden alle ihre Namen am Schluss von A bis Z genannt, aber diese Auflistung ist allenfalls für Insider eine Offenbarung. Andererseits erhält das Lesepublikum in den vorhergehenden knapp dreihundert Seiten interessante Informationen zu Schwimmbecken, Mineralbädern, Rinnsalen, Brunnen, Teichen, Seen, Tümpeln, Wasserspielen und Kanälen. Mal berichtend, mal meditierend, oft impressionistisch, aber immer anregend, wird man aufgefordert, hinauszugehen um sozusagen »terra marique« eigene Erlebnisse im, neben, am, mit, auf und »unter Wasser« zu schöpfen. Eine Wassersammelstelle gewissermaßen, in der konkrete Beobachtungen, Visionen, Fata Morganen, Utopien ineinander und untereinander verschwimmen.

Plitsch Platsch ist auch ein »unterirdisches« Buch. Und zwar dann, wenn es Leserinnen und Leser in – anrüchige – Welten führt. Zum Beispiel in den kanalisierten Nesenbach. Von seinem Ursprung in Kaltental bis zur »Mündung« im Hauptklärwerk Mühlhausen trägt er acht (!) verschiedene Namen. Ja, ja, der Nesenbach! Erstaunliches wird berichtet über diesen verdolten Wasserlauf, der maximal noch drei Prozent seines Quellwassers führt, ansonsten aber das gesammelte Abwasser aus Vaihingen, Möhringen, Kaltental, Heslach und der ganzen Innenstadt. Der Einstieg am Neckartor ist zu bestimmten Jahreszeiten am ersten Mittwoch im Monat von 15 bis 17 Uhr möglich. Im Buch wird solch eine Expedition gewagt. Erstaunlich ist die Aufzählung von Gegenständen, die man weder in dieser Größe noch in dieser Art in einem Wasserhauptsammler erwartet hätte. In größeren Mengen: Brillen, Ketten, Ringe, Dosen, Spritzen. Eher selten: Telefone, Autokennzeichen, ein Zigarettenautomat, Fahrräder oder eine sechs Meter lange Windschutzscheibenabdeckung. Schier unglaublich: Ein Hund, der in Heslach vermisst wird, landet einige Kilometer weiter noch lebend an. Die Botschaft dieses Ausflugs lautet: Bitte keine Öle und Fette über die heimischen Abwasserläufe in die Kanalisation. Das Zeug klumpt! Dagegen nehmen sich Reflexionen über Stuttgarter Brunnen, von denen die Autorin fast 250 gezählt hat, heiter aus. Prominent herausgehoben die Wasserchoreographie des Galatea-Brunnens mit seiner Wasserstaffel am Eugensplatz. Poetische Impulse lassen das Nass gelegentlich auch über den Stuttgarter Kesselrand hinaus schwappen. Gedanklich gar bis zur Moldau.

Plitsch Platsch ist ein attraktives Buch im Sinn von Gestaltung, Typografie und Aufmachung. Dafür ist es 2023 als »Deutschlands schönstes Regionalbuch« tituliert (laut Verlag) und auf die Shortlist für die »Schönsten Deutschen Bücher« gesetzt worden. Es hat Würdigungen im Stuttgarter Literaturhaus und eine Präsentation im Stadtarchiv hinter sich. (Siehe Vitrinen-Foto). Aber: Plitsch Platsch ist auch ein schwieriges Buch. Seine Schrift, teils in Perl (5 Punkt) gesetzt, erfordern geschärfte Augen. Nur bedingt ist es da hilfreich, dass die winzigen Schriftgrade teilweise in türkis hervorgehoben sind. Was die Ästhetik betrifft, verhält es sich möglicherweise so, wie mit einem künstlerisch anspruchsvollen Film, der von der Kritik gelobt, vom großen Publikum aber nicht gebührend gewürdigt wird. Fazit: Man kann das Buch samt handgezeichneter Stadtwasserkarte als Companion durchaus liebgewinnen und es etwa bei Ausflügen als zärtliche Begleitung mit sich führen. Man kann die skizzierten Orte aufsuchen, dort Zwiesprache mit ihnen halten. Oder einfach die Dialoge so vieler unterschiedlicher, unbekannter Menschen auf sich wirken lassen, die das Buch »zum Reden bringen«. Unter der Lupe wird das zum reinen Lesevergnügen.

Reinhold Fülle

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