Titelbild eines Buches

Martin Ehlers (Hrsg.): Alltagsmagie. Riten, Schutzzauber und Bauopfer.

Verlag am Klosterhof Maulbronn 2020. 108 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Kartoniert 14,50. ISBN 978-3-926414-36-6

Titelbild eines Buches

Das Böse ist immer und überall! In dem schmalen Büchlein, das die Ausstellung im Dorfmuseum von Schmie, einem Stadtteil von Maulbronn, als Katalog begleitet, kommen – auch in vielen Abbildungen – alle möglichen Formen des Übernatürlichen auf den Tisch.

Ihre Deutung und Erklärung wird inzwischen auf dem Feld der Parapsychologie beackert. Professor Hans Bender hat an der Universität Freiburg i. Br. schon früh damit begonnen, »bisher unzureichend verstandene Phänomene und Anomalien an den Grenzen unseres Wissens« zu erforschen. Spuk, Gespenster und Klopfgeister sind jetzt im Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) gut aufgehoben. Der aufgeklärte Mensch von heute aber widmet sich an ihrer Stelle lieber Außerirdischen, Ufos, Reptilienmenschen und Illuminaten. Verschwörungstheorien sind die neue Form des Aberglaubens. Und das Internet bietet die Plattform dafür.

Dabei war vieles von dem, was im Buch unter Alltagsmagie läuft, hierzulande, zumindest auf dem Dorf, noch lange alltäglich. Die Verfasser der Ausstellung und des Ausstellungskatalogs schreiben: »Die ländlich-bäuerliche Gesellschaft hielt an ihrer traditionellen Lebensweise noch weitgehend bis ins 20. Jahrhundert fest. Ihre Weltsicht war sowohl durch christlich-religiöse als auch magisch-okkulte Elemente geprägt. In diesem Weltbild war der Glaube an Geister, Hexen, Dämonen und Teufel fest verankert.«

Reichhaltig sind dafür die im Buch zusammengetragenen Belege. Gefunden in alten Häusern, als »geschnitzte Neidköpfe« am Fachwerkgiebel, die den bösen Blick des Neiders abwenden sollten, als Nachgeburtstopf aus einem Keller, als Ziegel mit Schutzsymbolen auf dem Dach. Seien es Höckerziegel, Sonnenziegel oder Feierabendziegel mit eingeritzten Symbolen. Eingemauerte Opfergaben wie Lammknochen und Ziegenfüße in einer Lehmdecke. Tonkrüge in einer Giebelwand, in denen böse Geister gebannt waren. Die mumifizierte Katze in einem Remisengebäude des Klosters Maulbronn, die (lebend?) als Bauopfer eingemauert worden ist. Das Skelett einer jungen Frau gar, unter einer Steinplatte im Wendeltreppenturm desselben Klosters!

Die Hexenverfolgung im Reformationszeitalter ist ein weiteres weites Feld, ebenso wie Engelserscheinungen und Geisterspuk. Zahlreich sind die Beispiele, in denen sich christliche Symbole sozusagen als Versicherung gegen Krankheit und Unglück im Aberglauben verbinden: Amulette und »Breverl« (gefaltete Segenszettel), Wachsmadonnen und Kreuze in allen Varianten zählen dazu. Auch die medizinische Abteilung mit einer kleinen Hausapotheke und Kräuterbüchern ist Teil davon. Von den Kräutern selbst werden Hauswurz, Mistel und Alraune beschrieben. Im Kreis von Tollkirsche und Weißdorn fehlt aber der Holunder. Er wäre in dieser Gesellschaft auch gut aufgehoben gewesen.

Interessant sind die Fallbeispiele für Geister- und Hexenglauben, für Exorzismus und Bekehrung. Von Wiedergängern, von Klopf- und Poltergeistern wird da berichtet. Und wir erinnern uns bei dieser Gelegenheit an Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die sich hierzulande mit Geistern und ihrer Beschwörung gut auskannten: ob Blumhardt in Möttlingen oder Justinus Kerner in Prevorst. Letzterem wurde in einer Urkunde zur Erneuerung seines Doktordiploms nach 50 Jahren von der Universität Tübingen attestiert, er sei »ein Trost der Kranken, als Dichter eine Wonne der Musen, als Erneuerer der Magie aber eine Geißel der Dämonen gewesen«. Dem theologischen Wunderheiler Johann Christoph Blumhardt (gest. 1880) wird nur im Zusammenhang mit einer Geistererscheinung im Dürrmenzer Pfarrhaus Platz eingeräumt. Als »Exorzist« in Möttlingen wird er gar nicht erwähnt, obwohl doch gerade dieser Fall zu den frappierenden seiner Art hierzulande zählt, der auch von der Amtskirche nicht in Abrede gestellt wird.

In den Themenbereich von Hexen- und Aberglauben fügt sich natürlich, gewissermaßen als »Local Hero«, die Figur des geheimnisvollen Magiers und Alchemisten Doktor Faustus ein. Wie man überhaupt das ganze Projekt als »Alltagsmagische Fundgrube mit Regionalbezug« deuten kann, denn die nicht wenigen Beispiele stammen aus dem Maulbronner Umkreis.

Äußerst interessant liest sich das Kapitel »Alltagsmagie der Gegenwart«, in dem wir mit Ritualen konfrontiert werden, denen wir heute in unterschiedlichen Situationen noch mit großer Selbstverständlichkeit nachgehen. Warum sind das vierblättrige Kleeblatt und ein Marienkäfer Glücksbringer? Warum drückt man jemandem den Daumen und warum ist die Spinne am Abend erquickend und labend? Warum spuckt man auf Geld, damit es sich vermehre? Warum ist es verboten, zu früh zu gratulieren? Wie verhält es sich mit dem Bösen Blick? Warum bringt es Pech, mit dem linken Fuß zuerst aufzustehen? Warum klopft man auf Holz und ruft »toi, toi, toi!«? – Sicher, die Antworten darauf lassen sich im Wörterbuch der deutschen Volkskunde oder im Lexikon des deutschen Aberglaubens nachlesen. Dort jedoch sind sie nicht so schön illustriert und auch nicht anhand von Fallbeispielen erklärt. Und auf das Auf-Holz-Klopfen werden wir noch zu sprechen kommen.

Kurz und gut: Dieser Ausstellungskatalog ist eine Erinnerung daran, dass sich unter der Tünche unserer fragilen Zivilisation Dämonisches und Dunkles verbirgt. Dem Rezensenten, der einige Jahre in dem westafrikanischen Staat Ghana verbrachte, das bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahr 1957 Goldküste hieß, kommt dabei eine Geschichte in den Sinn, die er dort von dem Engländer James H. Neal gehört hat. Als Polizei-Ermittler diente dieser der Regierung und schrieb 1966 seine Begegnungen mit der Zauberei, die dort Ju Ju genannt wird, auf. In seinem Buch mit dem Titel Ju Ju in my Life sind Geschichten der unheimlichen Art versammelt. Die folgende bezieht sich genau auf die im Buch Alltagsmagie genannten guten Geister, die in Bäumen wohnen. Im Kapitel »Unglücksverhüter« wird erklärt, woher der heute noch gängige Brauch kommt, dreimal auf Holz zu klopfen. Da heißt es: Drei Mal auf Holz klopfen, gehört zu einer ganzen Klopfsprache, die mit den Geistern und Dämonen kommuniziert. Der Lärm vertreibt dabei die, die laute Geräusche nicht mögen. Aber es muss auf jeden Fall Holz sein, dem eine ganz besondere Kraft zugesprochen wird. In den Bäumen sollen nämlich die guten Geister wohnen: Folglich überträgt sich deren Kraft aufs Holz.

Reinhold Fülle

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