Titelbild: Splügen (Graubünden, Schweiz) mit dem ortsbildprägenden Hotel Alte Herberge Weiss Kreuz (Foto: Adrian Michael – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)
Die Schweiz als Beispiel?
Denkt man an Regionen Europas, die für Tradition und Heimat stehen, kommt einem der alpine Raum in den Sinn. Ihn bringen wir in Verbindung mit Harmonie zwischen Landschaft, Architektur und den Menschen oder mit dem geschichtsbewussten Bewahren, Bewirtschaften und Weiterentwickeln der Kulturlandschaften. Stehen uns nicht gerade Schweizer Ortsbilder zwischen Thurgau, dem Wallis und Graubünden als Paradebeispiele vor Augen für den denkmal- und landschaftsbewussten Zweiklang von traditioneller Bauweise und moderner Architektur? Wir meinen, dort einen landesweiten Konsens in der breiten Bevölkerung zu erkennen, diese Werte zu wahren und in Wert zu setzen.
Doch bei der Lektüre einer der jüngsten Ausgaben der lesenswerten Zeitschrift unseres Schwestervereins »Schweizer Heimatschutz / Patrimoine Suisse« ist unser Blick auf den Nachbarn gehörig ins Wanken geraten. Der 1905 gegründete Schweizer Heimatschutz (SHS) ist die größte Schweizer Non-Profit-Organisation im Bereich Baukultur und umfasst heute rund 27.000 Mitglieder in 25 Kantonalsektionen. Er setzt sich dafür ein, dass Baudenkmäler der Schweiz vor dem Abbruch bewahrt werden und weiterleben, und vergibt landesweite Preise. Auf verschiedenem Wege gestaltet er politische Prozesse aktiv mit. Unter der Überschrift Heimatmüdes Bundesbern berichtet er nun, die Regierung beabsichtige, das seit 1966 bestehende Natur- und Heimatschutzgesetz einer Revision zu unterziehen. Damit sei der – man höre! – ohnehin schwache und fragile Schutz der bedeutendsten historischen Bauten und Naturdenkmäler in Gefahr. Das weitgehende Bauverbot im Außenbereich sei ohnehin schon aufgeweicht, und wertvolle, landschaftsprägende Kleinbauten würden für große und störende Neubauten geopfert. Auch das 1970 installierte nationale Inventar schützenswerter Ortsbilder werde heute vielfach in Frage gestellt.
Schon heute – man kommt aus dem Staunen nicht heraus – sind in der Schweiz Objekte von nationaler (!) Bedeutung offenbar nur unzureichend geschützt, selbst dann, wenn sie in einem Inventar gelistet sind. Wem das alles zu abstrakt vorkommt: 2020 sollen im Kanton Bern rund 14.000 Inventarobjekte aus dem Schutz entlassen werden. Im Kanton Glarus ist geplant, dass künftig in jeder Gemeinde nur noch ein einziges einer bestimmten Kategorie geschützt sein darf. In Baden-Württemberg hieße dies, dass 10–15% der Kulturdenkmale aus den Listen genommen würden bzw. dass man sich entscheiden müsste, welches der zahllosen Fachwerkgebäude etwa in Esslingen als einziges geschützt werden sollte. Über Gesamtanlagen oder Ensembles brauchte man dann auch nicht mehr zu diskutieren. Der Kommentator der Schweizer Zeitschrift bezeichnet solche Tendenzen ganz folgerichtig als «Heimatvernichtung». Zwischenzeitlich gibt es zwar Entwarnung, weil wenigstens die Hälfte der Kantone die Bestrebung ablehnten, das Natur- und Heimatschutzgesetz zu schwächen. Aber ist nicht zu befürchten, dass die Lawine damit nur verlangsamt worden ist?
Warum betrifft uns das?
Solcherlei Strömungen werden in absehbarer Zeit in unserem Land wohl nicht Einzug halten. Aber ein paar generelle Schlüsse darf man doch daraus ziehen, denn Denkmal- und Naturschutz in ihrer bisherigen Form haben ja auch bei uns nicht nur Befürworter. Mancher sieht sich in seinen Plänen behindert und hält den Schutz unseres kulturellen Erbes für folkloristisches Beiwerk einer Fortschrittsgesellschaft, das allenfalls dort seinen Zweck erfüllt, wo es ökonomisch eingesetzt werden kann. Wer erinnert sich nicht an die Diskussionen vor einigen Jahren, die vermeintlich zweckfreien Geisteswissenschaften an manchen Universitäten zurückzubauen?
Wofür wir also ohne faule Kompromisse einstehen wollen – und dies Hand in Hand mit allen unseren europäischen Nachbarn, denn sonst wäre das Europäische Kulturerbejahr 2018 sinnlos gewesen: Denkmalschutz und Naturschutz, ja das gesamte kulturelle Erbe, sind nicht verhandelbar! Kulturerbe darf keine Spielwiese oder Verfügungsmasse für ökonomische Interessen sein oder gegen diese ausgespielt werden! Kulturerbe ist nicht messbar und nicht eindeutigen Kategorien zuzuordnen, denn Kulturelles Erbe ist mehr als die Summe aus Denkmalen, Kulturlandschaften, Museen, Geschichtsforschung, Volksliedern, Kunst und Glaube, Trachten und Mundarten. Eine Gesellschaft, die meint, sich aussuchen zu dürfen, welches kulturelle Erbe zu ihr passt und welches nicht, läuft Gefahr, keine Kultur mehr zu besitzen.
Um dem entgegen zu wirken, müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass das Wissen um das, was kulturelles Erbe ausmacht und was es für unsere Gesellschaften bedeutet, immer weiter wächst. Das erfordert politischen Willen und kostet Geld, aber Schutzgründe jeglicher Art werden umso geringer geschätzt, je geringer die Kenntnis über das Schutzgut ist. Wie wollen wir etwas schützen und an künftige Generationen weitergeben, wenn wir es noch gar nicht kennen? Eine Heimatmüdigkeit jedenfalls, wie sie sich in der Schweiz ankündigt, wäre der erste Schritt zur Kulturvergessenheit.
(Der Beitrag erschien in der Schwäbischen Heimat 2019, Heft 1, als “Zur Sache”, Autor: Bernd Langner)
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