Architektur, Ausstattung und Nutzung traditioneller Kulturdenkmale
Mit einem Beitrag von Lutz-Dietrich Herbst und Fotografien von Iris Geiger-Messner. Thorbecke Verlag, Ostfildern 2022. 181 Seiten mit zahlr. Abb. und 5 Karten. Hardcover 34 €. ISBN 9783799515207

»Längst sind die Zeiten vorbei, in denen jedes Dorf seinen eigenen Gasthof besaß«, schreibt Claus Wolf, der Präsident des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, im Grußwort zu diesem Buch. Bereits 2010 hatte jede achte kleinere Gemeinde in Baden-Württemberg kein eigenes Wirtshaus mehr – viele stehen seit langem leer, wurden längst umgenutzt oder abgerissen und sind durch profitablere Neubauten ersetzt worden.
Und dem Verschwinden und Sterben der Landgasthöfe zumindest auf der Ebene der »praxisorientierten Vertiefung und Vermittlung des Denkmalwissens« etwas entgegenzusetzen, hat sich das Landesamt für Denkmalpflege 2014 mit dem Teilprojekt »Ländliche Gasthöfe in Oberschwaben« vorgenommen und die Ergebnisse in diesem Band dokumentiert. Von den etwa 300 als Kulturdenkmal bekannten historischen Gasthöfen in dieser Region wurden hier ca. 150 denkmalgeschützte Bauten vergleichend in den Blick genommen – von diesen war in den Jahren dieser Untersuchung (2014–2021) nur noch die Hälfte bewirtschaftet, inzwischen dürften es noch weniger sein.
Ein einführender allgemeiner Teil (S. 17–98) widmet sich den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in Geschichte, Funktion, Architektur und Nutzungen dieser Gasthöfe, die einst neben der Kirche gesellschaftlicher Mittelpunkt des dörflichen Lebens, aber auch – etwa als Poststationen an historischen Verkehrswegen – von überregionaler Bedeutung waren.
In einem zweiten Katalogteil werden zehn besonders gut überlieferte Gasthöfe in Einzeldossiers mittels eines auf alle Bauten angewandten Rasters näher beschrieben: Überlieferung – Geschichte – Lage und Außenbau – Struktur und Ausstattung (Kellergeschoss, Erdgeschoss, Obergeschoss, Dachgeschoss, Nebengebäude), Funktionen und Einordnung sowie Quellen und Literatur.
Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet der Gasthof »Adler« in Isny-Großholzleute (erbaut ca. 1577). Mit der Einrichtung einer Thurn- und Taxi’schen Posthalterei und einer Trauchburgischen Salzfaktorei entwickelte sich der »Adler« zu einem wichtigen Umschlagplatz. Aus- und Anbauten waren stets eine Folge solcher Veränderungen. Mit der Verlegung der Posthalterei nach Isny und der Aufhebung der Salzfaktorei begann der Niedergang, dem Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Sommerfrische- und Wandertourismus, vor allem aber mit dem beginnenden Winter- und Skitourismus eine neue Blüte folgte. 1907 gründete der Schwäbische Schneeschuhbund seine Bundesschule im »Adler«, der Ort entwickelte sich zum Standquartier der schwäbischen Skiläufer, 1924 wurde er sogar Austragungsort der deutschen Skimeisterschaften. Nach dem Krieg, 1958, kam im »Adler« die »Gruppe 47« zu ihrer 20. Tagung zusammen, Günter Grass las hier aus seinem noch unfertigen Manuskript der Blechtrommel. Gerne hätte man gewusst, warum nach dieser Blütezeit der erneute Niedergang einsetzte und der »Adler« lange leer stand, bevor er erst vor einigen Jahren erneut geöffnet werden konnte.
Vier von den hier vorgestellten zehn Objekten sind heute nicht mehr bewirtschaftet, und wo sie es noch sind, mussten sie sich vereinzelt den Bedürfnissen des nahen städtischen Publikums anpassen, um zu überleben: Einer der Gasthöfe wirbt heute als »Wirtshaus & Disco« für sich, ein anderer preist seine Vorzüge als »Genuss-Ensemble und Event-Location«, ein dritter muss den Betrieb aus Personalgründen auf das Wochenende beschränken.
Man legt diese wichtige Arbeit nachdenklich aus der Hand, denn sie zeigt auch, dass die Probleme vieler Landgasthöfe und deren Verschwinden die Folge eines ungebremsten Strukturwandels im ländlichen Raum sind, auf welche der Denkmalschutz einen nur sehr begrenzten Einfluss hat.
Werner Trapp
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