Todesmärsche im April 1945 aus den »Wüste«-Lagern und dem KZ Spaichingen durch Oberschwaben und das Allgäu bis in die bayrischen Alpen
Hrsg. vom Gedenkstättenkuratorium NS Dokumentation Oberschwaben 2022. 272 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Großformatige Broschur. ISBN 978-3-00-072083-3 (das Buch kann gegen eine Schutzgebühr von 5,– € zzgl. Versandkosten bezogen werden über info@dsk-nsdoku-oberschwaben.de)
Hastig wurden in den letzten Kriegstagen Ende April 1945 auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin die KZ Lager Spaichingen und alle Lager der »Wüste«, die am Nordrand der Schwäbischen Alb der Gewinnung von Treibstoffen aus Ölschiefer dienten, geräumt. Alle Spuren der schikanösen und unmenschlichen Behandlung der Lagerinsassen sollten beseitigt werden und die dortigen Häftlinge als Zeugen der nazistischen Vernichtungspolitik den vordringenden alliierten Truppen nicht lebend in die Hände fallen. Ziel der Räumungskolonnen war zunächst das große Sammelkonzentrationslager in Dachau. Als dies nicht mehr erreicht werden konnte, schwenkten sie um in Richtung »Alpenfestung«. Geführt, bewacht und vorwärtsgetrieben wurden diese Gruppen von bewaffneten NS-Wachmännern und deren Hunden. Wer von den sowieso schon erschöpften und ausgemergelten Häftlingen nicht mehr mithalten konnte, wurde durch Genickschuss getötet, dann nur notdürftig verscharrt oder blieb namenlos am Straßenrand liegen. Nur noch wenige Spuren erinnern heute an diese »Todesmärsche«, die im Gebiet Garmisch/Mittenwald/Trauchgau endeten: anonyme Einzelgräber an Straßen, Sammelgräber oder Erinnerungstafeln für unbekannte Kriegsopfer auf Friedhöfen.
Seit Jahren engagieren sich Gertrud Graf und Eugen Michelberger bei der Erinnerungsarbeit zur Geschichte der »Wüste«- Lager, initiieren angemessenes Gedenken und recherchieren zu den Vorgängen. Beharrlich forschten sie in Pfarr-, Gemeinde-, Zeitungsarchiven und machten Zeitzeugen ausfindig. Über das Internet fanden sie Zugang zu französischen und luxemburgischen Quellen und Arbeiten zum Thema sowie zu den Digitalisaten der Archive in Arolsen und Yad Vashem.
In diesem Buch legen sie nun die Ergebnisse ihrer Recherchen zu den »Todesmärschen« vor. Deutlich machen sie den Streckenverlauf sowie die Ereignisse im Einzelnen, etwa wie Kolonnen immer wieder ihre Richtung änderten, wie bei Ostrach Wachmannschaften flohen und dadurch auch einzelnen Häftlingen zum Teil mit Hilfe Ortsansässiger die Flucht ermöglichten, von denen wiederum einige nach Kriegsende am Ort ihrer Befreiung geblieben sind und Familien gegründet haben. Besonders verdienstvoll ist es, dass die beiden Autoren »namenlose, nur auf ihre KZ-Nummer reduzierte Häftlinge wieder als Menschen sichtbar machen«, gar Lebensbilder einzelner Häftlinge erstellen konnten. Beispielsweise konnten sie über Häftlingsnummern die Identität ermordeter Häftlinge identifizieren, die in Bad Waldsee, Haisterkirch und Sulzburg als »unbekannte Tote« geführt wurden. Kein leicht zu lesendes Buch, aber ein wichtiges.
Wilfried Setzler
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