Blick über die Wurmlinger Kapelle zur Burg Hohenzollern – verfremdet | Bildhinweis: Von Thomas Hentrich, CC BY 3.0, Link
Dr. Claudius Kienzle aus Marburg bzw. Stuttgart ist in der dritten Vergaberunde der vierte Preisträger des Gustav-Schwab-Preises (bei einem geteilten Preis im ersten Jahr). Mit der 2009 gestifteten Auszeichnung prämiert der Schwäbische Heimatbund Nachwuchsforscher für herausragende wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Geschichte, der Literatur und der Landeskunde des schwäbischen Raumes.
Pfarrer in einer anders gewordenen Welt
Einstimmig hatte sich die von Prof. Dr. Franz Quarthal geführte Jury für Claudius Kienzles Dissertation Mentalitätsprägung im gesellschaftlichen Wandel. Evangelische Pfarrer in einer württembergischen Wachstumsregion der frühen Bundesrepublik ausgesprochen. Quarthal hob hervor, Kienzle schildere darin das Eingebundensein von evangelischen Pfarrern in Württemberg in den gesellschaftlichen Wandel der Wiederaufbauzeit. Seine Arbeit sei eine der wichtigsten Studien der letzten Jahre im Feld der Zeitgeschichte, die einem Stand gewidmet ist, dem auch Gustav Schwab angehörte. Sie behandle somit einen Zentralbereich württembergischen Lebens. Kienzle spiegle ein Stück württembergischer Alltagsgeschichte, das älteren Lesern noch aus Kindertagen vertraut ist, und mache zugleich ein wichtiges Stück schwäbischer Mentalität in einem gesellschaftlichen Umbruch sichtbar.
In seinem Dank betonte der Preisträger, seine Arbeit habe zwar die Pfarrer und wohl auch Kirche zum Gegenstand, sei aber doch auch von landeskundlichem und allgemeinhistorischem Interesse. Vielleicht, so Kienzle, ist sie sogar ein wenig unterhaltende Literatur. Die Analyse geht von der Frage aus, wie sich unterschiedliche Pfarrergenerationen einer zur Mitte des 20. Jahrhunderts anders gewordenen Welt annäherten oder sich von ihr distanzierten. Wer denke, Pfarrer würden sich nur zum Gottesdienstbesuch, zu Fragen der christlichen Kindererziehung oder zum Spendenaufkommen für kirchliche Missionsvereine äußern, der täusche sich. Das Themenfeld war breit, so Kienzle: das Dorf als absterbende Sozialeinheit, die Haarmode weiblicher Jugendlicher, Fußball, Tanz und andere Körperpraktiken, die Katholizität der Migranten, die in der Nachkriegszeit in vormals konfessionell homogene Siedlungsgebiete kamen, und die Fremdartigkeit der Arbeitsmigranten der Boomjahre, der als Krise wahrgenommene Strukturwandel der Landwirtschaft, das Aufkommen der Dienstleistungsgesellschaft und die Frage, was der tut, der nichts tut, nämlich die Frage, wie die in den 1950er- und 1960er-Jahren neu entdeckte Freizeit nicht nur am Sonntag sinnvoll ausgefüllt werden kann.
Kienzle erkennt in seiner Studie drei Generationen: die Kirchenkämpfer, die nach 1945 meinten, den weitgehenden Bedeutungsverlust der Kirche festzustellen, und zur religiösen Erneuerung der Gesellschaft schritten; die 45-er, die sich durch eine vielschichtigere und verständigere Gesellschaftswahrnehmung auszeichneten und beispielsweise auch im Verhältnis zu anderen religiösen Gemeinschaften eher partnerschaftlich als konfrontativ waren; schließlich die Nachkriegsgeneration, die in den 1950er-Jahren aufwuchs, überwiegend dem Linksprotestantismus zugeneigt war und den Pluralismus der Lebensstile als Normalfall ansah. Dieses Konzert der berufenen Weltversteher, so Kienzles Doktorvater Günter Kehrer, war dem Träger des Gustav-Schwab-Preises 2013, Claudius Kienzle, hinreichend vielstimmig, um ein vielschichtiges Buch darüber zu schreiben.
Views: 140