Zeichnung einer Gruppe von Personen: Männer umringen eine Frau

Der Hexenprozess gegen Katharina Kepler – ein Theater-Projekt

Titelbild: Katharina Kepler zeigt sich von Folterwerkzeugen unbeeindruckt, die ihr der Scharfrichter zeigt (Grafik von E. Benassit und E. Yon; in Louis Figuier: Vies des savants illustres du dix-septieme siècle, 1869, gemeinfrei, Link)

Anlässlich des 400-jährigen Jubiläums des Hexenprozesses gegen Katharina Kepler in Güglingen (Zabergäu) und zum 450-jährigen Geburtstag ihres berühmten Sohnes Johannes Kepler planen wir ein großes Theater-Event. Aufführungsort ist nicht ein Theater, sondern der berühmte Ort selbst. Der Theaterabend wird im Herzen von Güglingen als Theater-Parcours stattfinden.

Portrait eines bärtigen Mannes
Portrait Johannes Keplers (1571-1630) von 1610: Naturphilosoph, Mathematiker, Astronom, Astrologe, Optiker und evangelischer Theologe. (Unbekannter Künstler, gemeinfrei, Link)

Hauptfiguren des spannenden und abwechslungsreichen Spektakels sind Katharina Kepler und ihr Sohn Johannes. Dabei spielen sowohl der historische Hintergrund als auch gegenwärtige Diskurse eine Rolle. Wir fragen, wie die Menschen in der damaligen Zeit gelebt haben, was für Sorgen und Ängste sie begleiteten und welche Herausforderungen sie meistern mussten. Von dort spannen wir den Bogen ins Heute: Wie steht es um unsere gegenwärtigen, persönlichen Freiheitsrechte, um deren Beschränkungen und um die Wehrhaftigkeit gegen repressive Machtstrukturen in totalitären Zusammenhängen? Und wie können wir, im aufklärerischen, d.h. im Keplerschen Sinne, der zunehmenden Tendenz gegensteuern, komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen?

Mit dem Projekt verfolgen wir die Idee, durch theaterpraktische Heimatkunde den Menschen vor Ort die historische Perspektive auf ihren Heimatort zu eröffnen und die Gemeinschaftskultur in Güglingen zu stärken. Die Theaterperformance zeigt Johannes Kepler als Stellvertreter einer aufgeschlossenen und forschenden Haltung. Es sind sieben Aufführungen an fünf Orten im Herzen von Güglingen geplant.

Folgende Themen planen wir in Form des Theaterparcours zu behandeln: Die Ausgrenzung von Randgruppen | Keplers neues, umstrittenes Weltbild | Keplers aufklärerische Haltung anhand des Gerichtsprozesses seiner Mutter | das Verhältnis zwischen Katharina Kepler und ihrem Sohn (fiktiv)

Wann – Wo – Wie?

Das Stück und die Performance insgesamt werden gemeinsam erarbeitet von der Theater AG der Realschule Güglingen, gecasteten Theater-Amateurinnen und Amateuren aus dem Ort, dem Madrigalchor Vollmer Güglingen (angefragt), einem professionellen vierköpfigen Schauspielerinnen- und Schauspieler-Team, einer Tänzerin und einer Figurenspielerin um die erfahrene Regisseurin Betty Hensel.

Die Aufführungen sind für die Zeit zwischen 16. September (Uraufführung) und 1. Oktober geplant. Die Corona-Pandemie könnte den Plan allerdings verhindern oder zumindest dazu führen, dass die Stücke ohne Publikum aufgeführt werden. In diesem Fall wären sie aber auf jeden Fall live im Internet zu verfolgen und würden auch aufgezeichnet. Weitere Informationen sind ab Juni an dieser Stelle zu finden.

Der geschichtliche Hintergrund

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts zogen Unwetter über den Süden Deutschlands und zerstörten die Ernten. Mit obskuren Methoden versuchten sich die Menschen zu schützen. Sie vergruben mumifizierte Körperteile von Tieren unter Türschwellen, trugen diese am Körper oder versuchten den bösen Zauber mit verschiedenen Pflanzen und Kräutern abzuwehren. Die Menschen wussten nicht, dass sie am Rande einer kleinen Eiszeit lebten. Die einzige Erklärung, die ihnen einleuchtete, war die schwarze Magie. Frauen, die der Unterschicht angehörten und oftmals mit Heilkräutern experimentierten, wurden besonders schnell zu Schuldigen gemacht. Mehr als 9.000 Menschen verloren in diesem Zusammenhang allein in Süddeutschland ihr Leben.

Das perfekte Opfer

Die verfolgten Frauen waren oft ledig oder verwitwet, lebten ohne Familie in der Stadt, hatten kein Bürgerrecht, verfügten über keinen Grundbesitz und hatten Berufe mit schlechtem Ruf. So auch die in Leonberg lebende Katharina Kepler, Mutter des berühmten Astrophysiker Johannes Kepler. Ihre Biografie und ihre Lebensumstände machten sie zum perfekten Opfer: Sie war älter als die meisten Personen in ihrer Umgebung und sie war verwitwet. Man hegte Argwohn in der 1.200 Einwohner zählenden Stadt Leonberg, in der sie lebte. Die spätere Anklage beschreibt ihre Gewohnheit, immer wieder Orte, an denen sie nichts zu tun gehabt hätte, aufgesucht zu haben. Auch ihre Eigenheit, dem Gegenüber nicht in die Augen zu sehen, sondern den Blick auf den Boden zu heften, wurde ihr zum Verhängnis. In ihrer Einsamkeit begann Katharina Kepler, sich verstärkt der Krankenpflege zuzuwenden und sich um das kranke Vieh zu kümmern. Nachdem sie sich schon immer für die Zubereitung von Heilmitteln interessierte und vom Leonberger Pomeranzengarten der Herzogin Sibylla von Württemberg inspiriert wurde, gab sie verschiedentlich einige Mittel ungefragt an andere Personen weiter und murmelte dabei oft alte Segenssprüche.

Johannes Kepler rettet seine Mutter

Der Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des Jahrhundert-Genies Johannes Kepler, gehört zu den bekanntesten und am besten dokumentierten Fällen der Hexenverfolgung in Württemberg. Die Vorgänge, die schließlich zu dem nur auf üble Nachrede gestützten Prozess führten, zogen sich über sechs Jahre hin, davon war Katharina Kepler 14 Monate inhaftiert. Insgesamt wurden 49 Geschehnisse zusammengetragen, die den Prozess rechtfertigen sollten. Dass der Prozess letztlich glimpflich für die Angeklagte ausging, hatte sie dem Eingreifen ihres Sohnes Johannes zu verdanken. Lediglich durch seine Initiative gelang es, das Verfahren unter Zuhilfenahme aller juristischen Mittel zu einem guten Ausgang zu bringen. Schauplätze des Prozesses waren die beiden Amtsstädte Leonberg und Güglingen.

Finden Sie dazu auch den Beitrag aus der Schwäbischen Heimat 2021/2 »Der Astronom als Verteidiger. Vor 400 Jahren rettete Johannes Kepler seine Mutter vor dem Scheiterhaufen« von Dorothea Keuler.

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3 Kommentare

  1. “… machten sie zum perfekten Opfer”: ich habe gelesen, daß der Mann der Frau Kepler sich als Söldner anwerben ließ. Zweimal sei er zurückgekehrt und hätte sich von dem Soldgeld ein Haus kaufen können. Das dritte Mal sei er nicht mehr zurückgekommen. Wieso war dann die Witwe so, wie Sie sie beschrieben haben, quasi rechtlos?

    Noch eins zum Schriftbild: Warum ist hier die Schrift grau???? Sie ist einfach schlecht lesbar, da kein Kontrast. Ich weiß, das wird woanders auch öfters so gehalten, ist aber finde ich, ein Unsinn.

    1. Sehr geehrter Herr Thurm, zur Schriftfarbe: 70% schwarz ist für die Mehrzahl der Menschen hervorragend lesbar. Richtig ist, dass es Menschen gibt, die einen stärkeren Kontrast benötigen. Richtig ist aber auch, dass es Menschen gibt, für die ein stärkerer Kontrast (100% schwarz auf weiß oder andere Kombinationen wie gelb auf blau) nicht lesbar sind. Wir haben diese Abstufung gewählt, um möglichst allen gerecht werden zu können. Internet-Nutzerinnen und -Nutzer können übrigens in Ihren Browser-Einstellungen je nach Einschränkungsgrad Kontrast, Schriftgröße, Schriftart und manchmal auch Farbe individuell einstellen, um genau auf diese Probleme, wie Sie sie beschreiben, zu reagieren. Insofern ist das alles andere als Unsinn.

      Zu Katharina Kepler: Der Beitrag über sie in der neuen SH, die in diesen Tagen zu Ihnen kommen wird, zeigt die Umstände nochmals deutlich. Wenn es an der Darstellung Zweifel gibt, laden wir Sie ein, unter Angabe Ihrer Quelle in der SH (Stichwort “Leserforum”) wie auch an dieser Stelle hier darüber zu diskutieren.

    2. Sehr geehrter Herr Thurm, von einem ausgewiesenen Spezialisten ehielten wir auf Ihre Anmerkung hin folgende Reaktion: “In den Fokus der Hexenverfolgung gerieten häufig ältere, verwitwete Frauen, oftmals schon kurz nach dem Tod ihres Ehemannes. Einer der Gründe war, dass man bei ihnen einen Verstoß gegen die Lutherische Ehelehre argwöhnte, in welcher klar geregelt ist, dass die Ehefrau dem Mann untergeordnet, seiner Verfügungsgewalt unterstellt, auf Haus, Küche und Kinder eingegrenzt und im Übrigen von allen anderen Lebensbereichen ausgeschlossen ist. Eine Witwe, die keinem Schutz eines Mannes mehr unterstand, hatte sich daher tunlichst in ihren eigenen vier Wänden aufzuhalten. Katharina Kepler hingegen pflegte – so wird im Prozess berichtet – nicht nur dagegen zu verstoßen, sondern auch ungefragt in anderer Leute Häuser herumzulaufen. In der Anklage heißt es: „Beclagte Kepplerin nun vil Jar hero mit hin vnd widerlauffen an die jenige orth, da sie nichtz zu verrichten gehabt, also verdächtig gemacht, dass sie nahe meniglich für ein Hexen gehaltten.“ Zum Verhängnis wurde ihr unter anderem auch „ihre Eigenheit, dem Gegenüber nicht in die Augen zu sehen, sondern den Blick auf den Boden zu heften“.
      Als Frau, deren Mann zu Lebzeiten nicht nur immer wieder durch Streitigkeiten und unsteten Lebenswandel auffiel, sondern schließlich endgültig davonlief und sie mit ihren Kindern zurückließ, war Katharina Kepler alles andere als eine unauffällige Persönlichkeit in der Leonberger Einwohnerschaft. Auch wusste man, dass sie trotz ihres verblichenen Mannes (er verließ sie im Januar 1589 und starb im August 1590 in der Nähe von Augsburg als Söldnerhauptmann „einen schlimmen Tod“, die Todesnachricht erreicht seine Frau allerdings frühestens im Jahr 1594) durchaus noch vermögend war: Zunächst erwarb die Alleinstehende 1595 das Viertel eines Hauses in Leonberg, im Dezember 1595 daraufhin an selbem Ort ein gesamtes, größeres Haus. Kurz bevor die Reinbolds ihre Schadensersatzklage für die angeblich erlittenen Leiden gegen Katharina stellen, lässt der Leonberger Vogt ihr gesamtes Vermögen ausforschen – und exakt auf die Höhe desselben, 1000 Gulden, belief sich dann auch deren Forderung.
      Insgesamt kann festgestellt werden, dass die einzelnen Schritte des Prozesses und seiner Vorgeschichte durchaus Kalkül hatten: Bereits ein halbes Jahr, nachdem ihr Sohn Heinrich, der dem Vater in Grobheit in nichts nachstand und sie zuvor noch öffentlich als Hexe verleumdet hatte, stirbt, wird Katharina 1615 einem ersten widerrechtlichen Verhör durch den Leonberger Vogt unterzogen. Ins Rollen wird der weitere Verlauf des Prozesses im Wesentlichen erst 1619 gebracht, als man witterte, dass Johannes Kepler nach dem Tod von Kaiser Matthias seine Stellung als kaiserlicher Mathematiker und damit seinen Einfluss verloren hätte.”

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