J. S. Klotz Verlag Neulingen 2022. 64 Seiten. Hardcover 17,90 €. ISBN: 978-3-949763-03-8
Anlässlich des 500. Todestags 2022 legte die freie Autorin und gelernte Innenarchitektin Dagmar H. Scholz einen schmalen Band zur Biografie des Pforzheimer Humanisten Johannes Reuchlin vor. Dabei möchte sie nicht, wie sie betont, »Ansprüche einer wissenschaftlichen Arbeit« erheben, sondern »das Portrait des Gelehrten als Erzählung« nachzeichnen (S. 7). Darunter muss man sich keine romanhafte Darstellung vorstellen, sondern eher einen sachlichen Text, der die Lebensbeschreibung Reuchlins mit einer gewissen Lebendigkeit präsentiert. Damit einher geht offensichtlich der Versuch, das Leben eines seit einem halben Jahrtausend wirkenden Gelehrten heutigen Menschen nahezubringen, die weder ein tieferes Verständnis des 15. und 16. Jahrhunderts noch der (damaligen) Gelehrtenkultur besitzen. Scholz verwendet kurze und einfach gebaute Sätze, die dem Lesefluss guttun und sicher für manche Leserschaft hilfreich ist.
In ihrem grundsätzlich chronologisch aufgebauten Büchlein folgt Scholz den entscheidenden Lebensstationen: Nach Reuchlins Aufwachsen und Studium in Freiburg, Paris, Basel, Orléans, Poitiers und Tübingen (S. 13–20) wird auf seine Zeit an der Seite des württembergischen Grafen und späteren Herzogs Eberhard im Barte eingegangen, den er unter anderem zweimal nach Italien begleitete (S. 20–30). Als Privatgelehrter in Heidelberg und Richter des Schwäbischen Bundes konnte er sein Renommé erheblich ausbauen (S. 30–35). Verhältnismäßig viel Raum nimmt anschließend die Darstellung des »Judenbücherstreits« ein (S. 35–53), und mit Reuchlins letzter Station in Tübingen (S. 53) beendet das Büchlein seinen biografischen Überblick. Das ist auf der Faktenebene schon gut gelungen, aber man vermisst bei allen kursorischen Erklärungen einzelner Sachverhalte eine weitergehende Kontextualisierung, die über ein klischeehaftes Bild eines verdunkelten und beschwerlichen Mittelalters hinausgeht. Wie ist Reuchlin in der sich wandelnden Frömmigkeit des endenden 15. Jahrhunderts einzuordnen, welche Resonanz fanden bei ihm die reformatorischen Bestrebungen ab 1517? Schnell wird deutlich, dass das Motto: »Besuchen wir den Gelehrten in zugigen Kammern, setzen wir uns zu ihm an sein Schreibpult. Wandeln wir mit ihm durch die nächtlichen, unbeleuchteten Gassen oder reiten wir an seiner Seite auf holprigen Straßen durch unwegsames Gelände …« (S. 53), nicht mehr ist als eine dekorative Staffage.
Zudem formuliert die Autorin immer wieder unnötig salopp: »Reuchlins Werdegang nahm zunehmend Fahrt auf. Gerade eben war er frisch immatrikuliert, und schon – im selben Jahr noch – heimste er den akademischen Grad Baccalarius artium ein.« (S. 17, zum Studienbeginn 1474 in Basel). Des Weiteren besitzt Scholz immer wieder einen Hang zu einer aufbauschenden Dramatik, die schon der Untertitel andeutet: »Gelehrter im Strudel des Umbruchs«. Das zeigt sich an einem zuweilen dramatisierenden Ton, der manches Adjektiv zuviel enthält: Reuchlin quasi als Gelehrten- Popstar des 15./16. Jahrhunderts, als »quecksilbrige[r] Studiosus« (S. 18). Häufig hat Scholz’ Darstellung etwas von einer Heldengeschichte mit Reuchlin in der Hauptrolle.
»Wahrlich würde man sich gerne in eine Zeitmaschine setzen, um Zeuge zu sein […]«, was Reuchlin alles erlebte (S. 28). Aber historisches Arbeiten heißt nicht, selbst bei einer schlechten Quellenlage ahnungslos bleiben zu müssen. Das Erschließen der Umstände, eine Übertragung von Erkenntnissen, das Ziehen von Rückschlüssen – auch so kann sich ein historisches Bild ergeben. Scholz bleibt hier beim Träumen.
Problematisch ist Scholz‘ Quellenauswahl. Diese werden zum einen bibliografisch schlampig präsentiert, zum anderen verweist sie immer wieder auf Vorträge, Rundfunkbeiträge und Internetquellen mit wohl nur kurzer Halbwertszeit. Das ist – bei allem Verständnis einer an heutige nicht-akademische Leser angepasste Darstellungsweise – schlicht unprofessionell. Auch ein abschließendes gründliches Lektorat (z. B. »Das Buch wird geschlossen Reuchlins letzte Jahre« – Überschrift ohne notwendige Satzzeichen, S. 53) hätte dem Bändchen gutgetan.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine informative, lebendig bis teilweise salopp geschriebene knappe Biografie über Johannes Reuchlin, die aber kaum in die Tiefe zu gehen vermag und der ein wenig mehr geschichtswissenschaftliche Perspektive gutgetan hätte.
Carsten Kottmann
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