(Warmbronner Schriften, 31) Christian- Wagner-Gesellschaft Leonberg 2021. 201 Seiten mit 20 Abbildungen. Paperback 15,– €. ISBN 978-3-9819137-2-9
Die erste Biographie des Warmbronner Dichters heißt es über diesen Band, was man kaum glauben mag angesichts der Fülle an Publikationen, die seit der Gründung der Christian-Wagner-Gesellschaft 1972 erschienen sind, und seiner relativen Bekanntheit, nicht nur in Warmbronn. Doch diese Biographie von Axel Kuhn ist nicht nur die erste, die das Leben des Dichters anhand archivalischer Quellen darstellt – den im Deutschen Literaturarchiv seit 1909 verwahrten Manuskripten, den zahlreichen Materialien, die in den letzten Jahrzehnten im Christian-Wagner Archiv landeten, und denen im Leonberger Stadtarchiv –, sie stellt ihren Protagonisten in einer etwas anderen als der gewohnten Rolle des bäuerlichen Sonderlings und verkannten Genies dar.
Schon das Porträt auf dem Umschlag zeigt einen anderen Wagner als den meist abgebildeten etwas kauzig wirkenden alten Mann mit dem gütigen, von wildem weißem Haar und Bart umrahmten Gesicht: Hier blickt uns hingegen ein knapp 50-Jähriger überaus selbstbewusst entgegen. Wagner hat sich 1884 in einem Stuttgarter Fotostudio porträtieren lassen, gut gekleidet und (auf der unbeschnittenen Carte de Visite) in der Hand ein Manuskript, Hinweis möglicherweise darauf, dass das Porträt seinem ersten Buch Märchenerzähler, Bramine und Seher beigegeben werden sollte. Einige Jahre später gab Christian Wagner eine Ansichtskarte mit dem Ortsbild von Warmbronn und seinem Konterfei in Auftrag, und aus Rechnungen geht hervor, dass er 1913 und 1914 jeweils um die tausend solcher Künstlerpostkarten verteilt haben muss; das nennt Axel Kuhn zu Recht eine kluge Vermarktungsstrategie. Zu dieser gehörten zudem ein großes Spektrum mit Texten belieferter Medien und Lesereisen, eingeladen von Persönlichkeiten aus seinem intensiv gepflegten Freundeskreis.
Wer die von Axel Kuhn, dem Ersten Vorsitzenden der CWG, konzipierte neue Ausstellung im Christian-Wagner-Haus gesehen hat (vgl. SH 2 /2021), wird sich an vieles erinnern: das Bildungsprogramm des 1835 geborenen, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Schreinersohnes, der eigentlich Lehrer werden sollte, aber von den Eltern in die Landwirtschaft zurückgerufen wurde, die Anfänge seines literarischen Schreibens, die erste Ehe mit Anna Maria Glatzle (ihre vier Kinder starben jeweils kurz nach der Geburt) und die zweite mit seiner Cousine Christiane Kienle; deren vier Kinder wurden erwachsen, hatten und haben zahlreiche Nachkommen. Ursprünglich, schreibt Axel Kuhn in seinem Nachwort, habe er lediglich eine kleine Broschüre verfassen wollen – mag man das einem emeritierten Geschichtsprofessor glauben? Entstanden ist eine sehr lesbare, detailreiche Lebens- und vor allem auch Werkbeschreibung, deren 19 Kapitel einschließlich Vor- und Nachwort jeweils von einem sinnfälligen Wagner- Zitat begleitet werden. Zu bemängeln ist nichts, an einigen Stellen vermisste die Leserin etwas anschaulichere Schilderungen des normalen Lebens, des bäuerlichen Alltags mit Landwirtschaft und Tierzucht, des Buchmarkts und der Reisen.
Wichtig war dem Biografen – und das ist ihm zweifellos gelungen – die Darstellung des sozialen Aufstiegs durch den Dichterberuf und Christian Wagners Aktualität mit seiner Maxime von der Schonung alles Lebendigen und der Mahnung, mit den Ressourcen der Erde sorgsam umzugehen.
Irene Ferchl
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