»Ich bin aus Überzeugung ein Vereinsmeier«
Andreas Felchle, geboren 1962 und studierter Diplom-Verwaltungswirt, war von 1992 bis 2023 Bürgermeister von Maulbronn. Er ist Vorsitzender des SHB-Arbeitskreises Ländlicher Raum, Schatzmeister der SHB-Regionalgruppe Stromberg-Mittlere Enz, Präsident des Württembergischen Landessportbundes, Vizepräsident des Landessportverbandes Baden-Württemberg, Vorsitzender des Kinderzentrums Maulbronn und Präsident des Chorverbandes Nordschwarzwald.
Herr Felchle, Sie sind im Juni zum neuen Vorsitzenden des Schwäbischen Heimatbundes gewählt worden. Was verbindet Sie mit dem Verein und was hat Sie an diesem Amt gereizt?
Grundsätzlich sprechen mich die Zielsetzungen des Schwäbischen Heimatbundes an, und es ist nichts Neues für mich, mich mit einem neuen Begriff von Heimat zu befassen, mit Kulturlandschaft, mit Naturschutz und Denkmalpflege. Es gibt fast nichts, was mich nicht interessiert, ich fühle mich als Generalist durch und durch.
Dass ich Bürgermeister von Maulbronn wurde, führte dazu, in Gremien des Schwäbischen Heimatbundes mitzuarbeiten. Angefangen hat es mit der Idee, aus dem Arbeitskreis Ländlicher Raum heraus »Kulturlandschaften des Jahres« auszuloben, und die erste, die in den Fokus gerückt ist, war Stromberg-Heuchelberg-Zabergäu.
Als Vorsitzender des Naturparks Stromberg-Heuchelberg habe ich an vorbereitenden Workshops teilgenommen und da halt nicht bloß zugehört … Schon fragte man mich, ob ich nicht im Arbeitskreis Ländlicher Raum mitarbeiten wolle, das ist jetzt 15 Jahre her. Kaum dessen Vorsitzender geworden, kam jemand im Vorstand auf die Idee, mich zu fragen, ob ich der Nachfolger von Josef Kreuzberger als Vorsitzender des Gesamtvereins werden will.
Aus dieser Kulturlandschaft Stromberg-Heuchelberg-Zabergäu ist übrigens die Idee erwachsen, eine Regionalgruppe Stromberg-Mittlere Enz zu gründen. Dafür habe ich mich eingesetzt und wurde der Gründungsvorsitzende. Inzwischen bin ich nur noch deren Schatzmeister.
Die Orts- und Regionalgruppen des Schwäbischen Heimatbundes kennen wohl alle Mitglieder, aber was macht der Arbeitskreis Ländlicher Raum?
Der Arbeitskreis ist eine der wenigen wirklich aktiven Fachgruppen im Schwäbischen Heimatbund, leider momentan ein zu kleiner Kreis, weil einige Mitglieder altershalber ausgeschieden sind. Wir setzen uns mit den zentralen Schwerpunkten des SHB auseinander, der Kulturlandschaft und dem Naturschutz, also mit Fragen wie Flächenfraß, Themen wie Stadt- und Dorfentwicklung, Innen- und Außenentwicklung. Zusammen mit Spezialisten erarbeiten wir die Themen, fassen sie in politischen Aussagen zusammen und speisen sie in den Vorstand ein. In diesem wird dann entschieden, ob und auf welche Weise man aktiv werden will. Es ist im SHB immer wieder die Frage, wie weit man »in die Bütt’ geht« – so heterogen, wie unser Verein ist. Paradebeispiel: »Stuttgart 21«, da gab und gibt es in unseren Reihen alles: vom absoluten Befürworter (falls Sie’s interessiert: mich zum Beispiel) bis zum konsequenten Gegner.
Wir werden in Zukunft aber einen schärferen Kurs fahren müssen, der hin und wieder provoziert, auch das Risiko eingehen, dass es innerhalb des Vereins Gegenströmungen und Opposition gibt. Das wird nicht zu verhindern sein, weil wir sonst auf Dauer aus der Zeit fallen, immer weniger neue Mitglieder generieren können. Für mich gehört das auch zur Demokratie. Immer nur Mainstream wird uns nicht voranbringen.
Der Schwäbische Heimatbund kommt ja im Grunde aus dem generalistischen Denken des Bildungsbürgertums des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und hat davon bis in die 1960er-, vielleicht 1970er-Jahre gezehrt. Dann sind Naturschutzverbände, Denkmaleinrichtungen und andere Spezialisierungen auf den Plan getreten, und das hat dem Heimatbund zugesetzt, vor allem im Bereich Naturschutz. Hat es eine Zukunft, Querschnittsthemen zu besetzen, oder liegt die Qualität darin, gezielt Themen aufzugreifen?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es eine Institution wie den Schwäbischen Heimatbund auch in Zukunft braucht und dass er eine Zukunft hat. Dazu braucht es Bodenhaftung, das Bekenntnis zu seinen Wurzeln. Der SHB muss ganz generell an der Schnittstelle bleiben, einerseits sich um Gemeinde-, Stadt- und Landesentwicklung kümmern, andererseits um Denkmalschutz und Naturschutz. Wir dürfen nicht anfangen, nur noch von Projekt zu Projekt zu hüpfen, das würde auch das Flaggschiff, die Schwäbische Heimat nicht überleben. Sie muss eine Zeitschrift sein, die sich ganz generell mit bildungsbürgerlichen Fragen befasst, und dies wie jetzt schon publikumswirksamer und ansprechender als vor Jahren.
Ich finde es unheimlich wichtig, dass wir uns ein Stück weit öffentlich und medial definieren über die Preise, die wir ausloben. Es wäre unvorstellbar für mich, auf den Denkmalschutzpreis oder den Kulturlandschaftspreis zu verzichten. Oder auch weiterhin auf die institutionelle Beteiligung am und die intensive Mitarbeit im Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf im Pfrunger-Burgweiler Ried, das der SHB vor genau 30 Jahren aus eigenen Mitteln und denen seiner Mitglieder ins Leben gerufen hat.
Aber um im 21. Jahrhundert lebendig zu bleiben oder lebendiger zu werden, auch unter dem Aspekt der Mitgliedergewinnung und des Interesses bei jüngeren Leuten, wobei wir anders als bei den Sportvereinen beim SHB nicht 5- oder 25-Jährige meinen, sondern die Generation Ü40 oder Ü45. Wenn wir die ansprechen wollen, müssen wir ein Stück weit projektbezogener werden und Probleme angreifen, den Finger in Wunden legen, uns mit regionalen oder örtlichen Themen befassen und weiterhin auch mit landespolitischen.
Besonders wichtig hierfür sind unsere Orts- und Regionalgruppen. Leider bilden sie in der Entwicklung von Mitgliederzahlen und -alter den Gesamt-SHB ab.
Eine Frage zu Ihrer Karriere: Sie waren 31 Jahre Bürgermeister an einem Ort: Maulbronn – da müssen Sie doch einiges richtig gemacht haben?
Die Frage wurde mir schon oft gestellt und ich habe sie nie beantwortet – heute versuche ich das mal. Ich bin mit 30 Jahren Bürgermeister geworden, als relativ junger Kerl, aber ich war schon mit 15 Jahren eine öffentliche Person: Mir hat es nie etwas ausgemacht, mit Menschen umzugehen, und ich hatte immer Spaß daran, auch vor 400, 500 Leuten zu reden. Ein richtig guter Bürgermeister – ich sage übrigens lieber »Schultes« – ohne ein bisschen Narziss zu sein, geht nicht, man muss gern im Mittelpunkt stehen, sonst hält man den Job nicht aus. Mir haben immer wieder Leute gesagt, ich sei eine Rampensau. Ich bin dankbar, eine ordentliche Rhetorik zu besitzen, ohne es gelernt zu haben, und keine Angst davor zu haben, mit Menschen zu reden. Ganz wichtig fürs Richtigmachen: Als Chef muss einem klar sein, dass man allein nichts ist, das Team alles – im Gemeinderat wie im Rathaus. Ich war, glaube ich, nie ein typischer Boss, sondern ein kollegialer, ja kameradschaftlicher »Primus inter pares«.
Zum Ort: Mir ist etwas Tolles passiert, als ich im Februar 1992 das erste Mal nach Maulbronn kam, um einen Studienkumpel, den damaligen Hauptamtsleiter zu besuchen. Da habe ich zum ersten Mal das Kloster gesehen, das ich zwar als Hobbyhistoriker kannte, war aber nie dort gewesen. Als ich eines Dienstagsabends um halber zehn erstmals in den Klosterhof gefahren bin, damals noch Parkplatz, war das – es hört sich kitschig an – Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste sofort: Das ist ein Sensationsort, und wir haben einfach toll zusammengepasst. Geschichte war schon in der Schule mein Lieblingsfach, Kultur, insbesondere Musik und Literatur, interessiert mich schon immer, inzwischen auch noch Architektur.
In den dreißig Jahren meiner Amtszeit haben wir bei der Hardware wenig falsch und keine Schulden gemacht, haben relativ wenig neu gebaut, sondern viel mehr saniert und in Schuss gehalten. Ich wollte mir keine Neubau- Denkmale schaffen, wie viele Bürgermeister, sondern habe mich immer zu weichen Standortfaktoren wie Kultur, Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit oder Vereinsförderung bekannt. Als Bürgermeister, im Kreistag oder der Regionalverbandsversammlung und im Ehrenamt habe ich immer stärker realisiert, dass die Menschen, die in Vereinen aktiv sind oder in Kirchengemeinden, die klassischen Bürger einer Gemeinde sind, mit denen man den Laden umtreibt.
Am Anfang hat man vermutet, der Jungspund mit CDU-Parteibuch benutze den Maulbronner BM-Posten als Sprungbrett – aber ich denke, das ist eindeutig widerlegt. Ich habe versprochen, dass ich, wenn ich gewählt werde, in acht Jahren zur Wiederwahl stehe. Ich habe dann auch ganz schnell Fuß gefasst in Maulbronn. Vorher war ich zwar ein 100-prozentiger (Esslingen-)Berkheimer und bin vom Slang her noch immer Neckarschwabe, aber ich bin jemand, der bewusst irgendwo nicht bloß wohnt, sondern lebt und hingehören will. In Maulbronn, dem 6.500-Einwohner-Dorf mit Stadtrecht, wie ich das gerne mal liebevoll sage, bin ich heimisch geworden, das ist meine Heimat! Inzwischen habe ich mir sogar die Betonung von Maulbronn auf der auf der ersten Silbe antrainiert.
Maulbronn ist zwar eine Kleinst-Stadt, aber mit Weltkulturerbe-Status …
Nicht Maulbronn, sondern das Kloster und seine wunderbare Umgebung drumherum – aber ohne die ehemalige Zisterzienserabtei, ohne große Geistesgeschichte, die Architektur, das Seminar und seine »Maulbronner auf Zeit«, das ehemalige Oberamt, wäre Maulbronn nicht und nichts!
Der Prozess hin zur Aufnahme auf die UNESCO-Liste war in den 1980er- und 90er-Jahren zeitlich überschaubar. Dass Maulbronn eine Denkmalstätte ist, zu den Topanlangen über das Bundesland hinaus zählt, das war jenseits des Romantisierenden und Touristischen schon lange klar. Als 1972 das Übereinkommen getroffen worden war und noch bevor Aachen 1978 das erste deutsche Weltkulturerbe wurde, gab es eine informelle Liste möglicher deutscher Kandidaten, und da stand Maulbronn schon darauf.
In Baden-Württemberg hielt man sich aber ziemlich lange zurück, es war ja auch das letzte Land, das Naturparks eingerichtet hat. 1988 ging es dann schnell los, es gab eine Bewerbungsmappe, vielleicht ein Viertel von dem, was heute vorgelegt werden muss, trotzdem brauchte es Nacharbeiten, weil es aus Paris hieß, es sei eine gute Bewerbung, aber es gebe schon eine ganze Reihe von großen zisterziensischen Klosteranlagen. Das führte dazu, dass man das Wasser, die Seen, Teiche, das Wassergrabensystem betonte. Im Dezember 1993 fiel die Entscheidung, und die Urkunde wurde uns, Erwin Teufel und mir, dann im April 1994 übergeben.
Zur Bedeutung des Weltkulturerbe-Titels kann man sagen: Er ist sensationell bedeutend und natürlich eine Herausforderung bei Bauvorhaben. Eine Zeitlang haben die Denkmalschutz-Behörden gemeint, im Umgebungsschutzbereich benötige jeder Bauantrag bis hin zur Hundehütte eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung – unvorstellbar nicht zuletzt, weil der Umgebungsschutz über Sichtachsen definiert wird: Umgebungsschutzbereich ist überall dort, von wo man auch bloß einen Zipfel des Dachreiters sieht! Wir konnten dann aber mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Landratsamt Enzkreis eine Vereinbarung schließen, wonach solche Bauvorhaben, die entweder durch einen Bebauungsplan oder das Einfügegebot des § 34 Baugesetzbuch abgedeckt sind, kein denkmalrechtliches Verfahren benötigen.
Weltkulturerbe verpflichtet die Eigentümer; es gibt von der UN keinen Cent Unterstützung. Aber es ist eine herausfordernd-schöne Verantwortung, Erbe für die Menschheit zu sichern. Ohne den UNESCO-Status hätte der Landtag von Baden-Württemberg im Laufe der zurückliegenden drei Jahrzehnte nie im Leben zig Millionen Euro für Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen intra und extra muros zur Verfügung gestellt.
Aber auch der Stadt und dem Kreis hätte nichts Besseres passieren können als die Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste, Maulbronn war übrigens die 13. Destination in Deutschland, jetzt sind die Herrnhuter Nummer 53 einer ziemlich inflationären Liste.
Natürlich ist die touristische Bedeutung erheblich, aber das Welterbe-Siegel ist kein Fremdenverkehrs-Label, es geht um Bewahren, um Vermittlung, um Bildung. Wir haben sehr bewusst verhindert, dass das Kloster Maulbronn zu einem zweiten Heidelberg oder Rothenburg ob der Tauber wurde. Es geht um ein Kloster. Man sollte, so finde ich, beim Besuch keinen Dauer-Rummelplatz vorfinden, sondern in die Abgeschiedenheit einer Zisterzienseranlage eintauchen können.
Zu erwähnen ist daneben noch eine andere Besonderheit in Maulbronn, das Kinderzentrum …
Das Kinderzentrum Maulbronn ist eine Spezialklinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie mit einem ambulanten Sozialpädiatrischen Zentrum, eine Einrichtung, die bis zu 8000 Kinder und Jugendliche jährlich betreut; in Deutschland gibt es nur acht solche Einrichtungen, und Maulbronn steht vor München und Hamburg. Mit 250 Beschäftigten ist das Kinderzentrum der größte Arbeitgeber in Maulbronn.
Es wurde 1979 von einem Maulbronner Hausarzt gewissermaßen erfunden, residiert im Bau des alten Kreiskrankenhauses von 1929/30 und wird von einem Verein getragen, dessen Vorsitzender ich bin. Auf diese Aufgabe bin ich beinahe stolz, denn wir stemmen gerade auch ein Bauprogramm von 23 Millionen Euro, ohne Körperschaft öffentlichen Rechts zu sein, hauptsächlich über Spenden finanziert.
Als Bürgermeister im Ruhestand könnten Sie auch angeln gehen – was treibt Sie an, sich ehrenamtlich in Vereinen und Verbänden zu engagieren?
Die Bedeutung der Vereine für unsere Gesellschaft kann man nicht überschätzen! In meinem Leben spielen sie eine große Rolle. Meine Eltern sind einfache Menschen ohne pädagogischen Hintergrund, aber mit viel pragmatischem Feeling. Dazu gehörte, dass wir vier Brüder in Vereine gingen. Zuerst war das 1969 für mich als Siebenjährigen der Sport, die Schwimmabteilung des TSV Berkheim. Später wollte ich ein Instrument lernen, Akkordeon, und die Eltern haben das alles gefördert. Wir Brüder können eigentlich nicht sagen, ob wir von den Eltern oder von den Vereinen erzogen worden sind – das war ein und dasselbe, weil Mutter und Vater Leitungsverantwortung übernahmen im Verein. Mit 14, 15 Jahren wuchs mein Interesse für Geschichte und Gemeinschaftskunde, und ich habe realisiert, dass Vereinsarbeit mit den Werten unserer Verfassung, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu tun hat, und dass wir Leute brauchen, die sich aktiv einbringen. Zum Sport und zur Musik kam evangelische Jugendarbeit.
Mit 61 habe ich als Bürgermeister aufgehört, aber nicht mit Schaffen, das würde ich als asozial empfinden, um nur noch angeln zu gehen oder mit dem Wohnmobil in der Gegend herum zu reisen. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass wir gefälligst zu arbeiten haben und als BM-Pensionär kann ich mich zwar nicht im Handwerk oder Gartenbau engagieren, denn ich habe zwei linke Hände, aber was ich einigermaßen kann, ist managen, mit Menschen umgehen, reden, Ideen entwickeln und ein Stück weit führen – und so kommen dann auch die Ämter auf einen zu …
Vereine und ehrenamtliche Aufgaben, zumal wenn sie schon mit der Erziehung beginnen, sind Ankerpunkte – ist das die Zukunft von Heimat? Haben Sie dazu eine Vision?
Das wird eine der spannenden Geschichten sein, wie eng oder wie pluralistisch wir den Entwurf Heimat fassen. Gerade jetzt, wo sich Rechtspopulisten und -radikale und fast witzigerweise auch die sogenannte Partei namens »BSW« anmaßen, die Definition von Heimat ewiggestrig zu verunstalten, und die NPD sich nicht entblödet, sich in »Die Heimat« umzubenennen, ist es geradezu eine Chance für uns im SHB, dagegenzuhalten mit einem Bekenntnis zu Heimat, wie sie wirklich wichtig für uns ist und wahre Zukunft hat.
Es ist meiner Meinung nach überhaupt keine Heimattümelei, wenn Menschen etwas suchen und machen, das »fürs Herz« ist. Bei aller erforderlichen Aufgeschlossenheit für schier unendlich scheinende Veränderungen, Herausforderungen und Probleme – jeder von uns braucht Zeit für unbekümmerte Geselligkeit, einen Ankerplatz, »â Ruhebänkle«! Augen-Verschließen endet ruck-zuck katastrophal, gute alte Zeiten heraufzubeschwören (die es nie gab), ist naiv – Wunsch nach Harmonie aber allzu menschlich. Von daher mag ich auch echte Volksmusik, einen gutgemachten schwäbischen Schwank, eine gemütliche Dorfhocketse.
Es ist ja bekanntlich nicht automatisch der Geburtsort Heimat, sondern der Platz, wo man angekommen ist und sich wohl fühlt. Das »My home is my castle«, »America first« oder »Unser Land zuerst« ist mir viel zu materiell gedacht – ganz zu schweigen davon, dass ich es für unsozial und egoistisch halte.
Bei der Mitgliederversammlung Ende Juni hatte ich ja schon angedeutet, dass eine Gesellschaft, die gegenwärtig und zukunftsfähig ist, sich eines Gerüstes von Werten und Überzeugungen sicher sein muss. Für mich ist hierbei der Artikel 1 unserer Verfassung von zentraler Bedeutung: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Niemand ist besser als jemand anderer, ein Baden-Württemberger ist nicht besser als ein Mensch aus Mecklenburg- Vorpommern, ein Deutscher nicht besser als ein Türke, ein Europäer nicht besser als ein Afrikaner. Ich habe den größten Teil meines Lebens wirklich geglaubt, der Mensch habe etwas gelernt, die Zeit rassistischer, geschlechtlicher, religiöser Diskriminierung sei – wenigstens in Westeuropa und da wenigstens für die meisten – überwunden. Wie man sich täuschen kann …
Man darf sich abgrenzen, darf »ihr« und »wir« sagen – aber niemals ausgrenzen.
Für mich ist nicht zuletzt das Bekenntnis zu unserem Wertesystem »Heimat pur«, zum freiheitlich-demokratischen Rechts- und Sozialstaat, so wunderbar zusammengefasst in meinem persönlichen »Jubilar des Jahres«, dem 75-jährigen Grundgesetz. – HIER will ich leben und aktiv sein, nicht in Russland oder China!
Die Fragen stellten Irene Ferchl und Bernd Langner.
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