(Schriftenreihe des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen, Band 14). Unteruhldingen 2018. 308 Seiten mit 670 Abbildungen. Fest gebunden € 29,90. ISBN 978-3-944255-12-5
Die Dörfer Ober- und Unteruhldingen sind für die Geschichtsinteressierten des Landes – und weit darüber hinaus – feste Größen. Und nicht wenige werden den Orten auch schon einen Besuch abgestattet haben. Befindet sich hier doch seit 1922 das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen, das stein- und bronzezeitliche Freilichtmuseum mit anerkannt wissenschaftlichem Anspruch. Die Siedlungsplätze sind also alt, sehr alt. Sie zeugen von rund 6000 Jahren Geschichte. Doch so gut die ersten 3000 Jahre der Siedlungen am See von der Jungsteinzeit bis zur Bronzezeit erforscht sind, so wenig Beachtung fanden bisher die folgenden 3000 Jahre. Eine Ortsgeschichte der seit 1972 mit Mühlhofen vereinigten Orte war ein Desiderat. Aber auch als der Verein für Pfahlbau und Heimatkunde nach ersten Vorarbeiten eines Überlinger Historikers sich um 1990 an die Arbeit machte und zugleich im Unteruhldinger Pfahlbaumuseum ein ortsgeschichtlicher Arbeitskreis entstand, sollte es noch mehr als 25 Jahre dauern, bis der Chronik und Geschichte genannte Band erschien. Das Ergebnis der vor allem von Arbeitskreisen und historischen Laien betriebenen Forschungs- und Sammelarbeit ist ein buntes Kaleidoskop der Geschichte am See, wie man am Bodensee sagt; vorgeschaltet ein – durchaus anspruchsvolles – Kapitel Geologie und Landschaftsgeschichte – alles in einem, und von allem etwas: Ortsgeschichte, Heimatbuch, Lesebuch, Fotoalbum.
Die historische Betrachtung setzt ein mit der Altsteinzeit und erfolgt chronologisch bis fast zur Gegenwart. Die drei ehemals eigenständigen Dörfer sind in der Darstellung jedoch eher selten voneinander geschieden, eher stehen die geschilderten Beispiele aus ihrer Vergangenheit stellvertretend für die historische Entwicklung, wie sie häufig parallel verlief – oder doch hätte verlaufen können. Die Individualität der Orte gerät so freilich ins Hintertreffen. Der Schwerpunkt des Interesses liegt nicht in der Schilderung der Herrschaftsgeschichte, sondern im Mittelpunkt stehen meist die Lebensverhältnisse der Menschen, schlaglichtartig erhoben in Dokumenten und Archivalien, teils auch archäologischen Funden. Dass die Orte überwiegend Klöstern gehörten und die Bauern dorthin lehns- und abgabenpflichtig waren, wird nicht so recht deutlich; ebenso was diese Lehns- und Abgabenpflicht für die Untertanen bedeutete. Welchen Einfluss äußere Faktoren, größere historische Entwicklungen und Ereignisse wie der Bauernkrieg, die Reformation oder der Dreißigjährige Krieg, um nur wenige zu nennen, auf das Leben im Dorf hatten, lässt sich anhand der Quellen selten konkret belegen. Der Historiker ist in diesen Fällen genötigt, die historische Entwicklung gleichsam an seinem Untersuchungsgegenstand vorbei zu schildern.
Mit dem 19. Jahrhundert, als die Orte einer deutschen Mittelmacht, dem Großherzogtum Baden, zugeschlagen wurden, werden die Informationen dichter, auch besser in Archiven fassbar. Doch bleiben die Autoren ihrer Linie treu: Schlaglichter erhellen den Gang der Geschichte. Das erleichtert dem historischen Laien die Lektüre. Mehr Distanz hätte man sich jedoch bei der Behandlung der Jahre der Nazidiktatur gewünscht. Diese erschöpft sich in Wahlergebnissen um 1930/33, einer langatmigen und spröden Schilderung der Ersetzung der alten Ortsvorsteher 1933, gefolgt von der Schilderung von jenen altbekannten Infrastrukturmaßnahmen, die landauf, landab bis heute im öffentlichen Bewusstsein oftmals als bleibende positive Errungenschaften der Naziherrschaft verankert sind und zugleich deren Verbrechen relativieren helfen: Flusskorrektur, Straßenbau, Hafenbetrieb, am Bodensee auch der Aufschwung des Tourismus. Mehr Sensibilität wäre hier angeraten. Ein Hinterfragen der Wahlergebnisse (im März 1933 immerhin bis zu 63 % für die NSDAP), eine Schilderung des Endes der kommunalen Selbstverwaltung 1933 oder gar die Frage nach den Opfern, und auch den Profiteuren, der Diktatur – Mühlhofen war eine Arbeitergemeinde! – unterbleibt.
Der Band ist sehr lesefreundlich verfasst. Besonders deutlich wird dies durch das Einstellen teils mehrseitiger Exkurse zu Einzelthemen, etwa über ein vermutetes Christusbild auf einer in einem alamannischen Grab des 7. Jahrhunderts gefundenen Bronzescheibe, über Wüstungen (abgegangene Orte, hier Oberriedern), die Gründung des Zisterzienserklosters Wald 1212, die Pest am Bodensee, über eine Badstube in Uhldingen (16. Jh.), den Überfall eines Ritters auf Unteruhldingen 1480, über die Bodenseefischerei, die Spek’sche Textilfabrik seit 1858, über die Kinderlandverschickungen der Nazis an den Bodensee oder auch zum Wirken Hermann Levingers (1865-1944), dem Mitgründer des Pfahlbaumuseums, der sich, freilich schon seit Längerem in Wiesbaden lebend, mit seiner Frau 1944 das Leben nahm, um dem Transport in ein Vernichtungslager zu entgehen – und viele andere Exkurse mehr. Hervorzuheben ist die üppige Bebilderung, die sicher auch jene, die den Text nicht in voller Länge lesen wollen, das Buch mit Freude zur Hand nehmen lässt. Wer schon einmal mit der Beschaffung von Abbildungsvorlagen befasst war, weiß, welch Mühe hinter der Recherche und Platzierung von Hunderten von Fotos und Illustrationen steckt. Alles in allem ein schönes heimatkundliches Lesebuch mit einer Fülle von Informationen, die es wert waren und wert sind, festgehalten zu werden – und dazu gehört sogar der Besuch des damaligen Kinderstars Heintje, der 1969 an der Seefelder Aach für Dreharbeiten für einen gnadenlos an Herz und Gemüt rührenden Spielfilm zu Gast war.
Raimund Waibel
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