Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Freilichtmuseen in Baden-Württemberg, Schwäbisch Hall Selbstverlag 2018, 373 Seiten, 1000 Abbildungen und Zeichnungen. Fest gebunden 24,90 Euro. ISBN 978-3-981-3634-1-8 (erhältlich beim Hohenloher Freilandmuseum, info@wackershofen.de, bei Versand 29,90 Euro)
Seit den 1980er-Jahren hat sich in der Erforschung ländlicher Gebäude in Baden-Württemberg Spektakuläres getan. Hausforscher mit völlig neuen Ansätzen, Methoden und Zielvorstellungen traten auf den Plan: Das Landesamt für Denkmalpflege widmete sich vermehrt Objekten auf dem Land und dokumentierte bestehende oder abgehende Gebäude. Regionale Freilichtmuseen in sieben Landesteilen gründeten sich und bekamen seit den 1980er-Jahren besonders ausgefeilte Untersuchungsmethoden an die Hand und erweiterten ihre Forschungsziele. Freie Bauforscher wurden von sich aus tätig oder bekamen staatliche Untersuchungsaufträge tiefgehender Art. Doch nirgends sah man die Ergebnisse bisher zusammengefasst und verglichen. Daher kommt es, dass immer noch obsolete Vorstellungen von ländlichen Gebäuden herumgeistern, da ältere, überholte Literatur eher zugänglich ist und immer noch als maßgeblich zitiert wird. Damit ist jetzt Schluss.
Denn ein grundlegendes Buch zur Hausforschung in Baden-Württemberg ist erschienen. Es nimmt die aufgefundenen Bauernhäuser Baden-Württembergs vor 1700 in den Blick und erlaubt Schlussfolgerungen auch für die Zeit danach. Der Autor Albrecht Bedal, Architekt, renommierter Bauhistoriker und langjähriger Leiter des Hohenloher Freilandmuseums, erläutert im Vorwort seine Grundanliegen: ein grundsätzliches Manko in der baden-württembergischen Bauernhausforschung zu beheben, das darin bestand, dass der Einzelobjektuntersuchung keine vergleichende Forschung folgte. Dies führte auf grundlegende Irrwege in der historischen Hausforschung.
Diese Irrwege systematisch aufzudecken, endlich sozusagen mit einem modernen wissenschaftlichen Instrumentarium auf der Grundlage der seit vielen Jahren erbrachten interdisziplinären Forschungen Vergleiche anzustellen, hierzu ist Albrecht Bedal unter anderem mit seinem Buch angetreten. Dies erforderte, neben den bereits vorhandenen eigenen Forschungsergebnissen aus 40 Jahren, eine gewaltige nochmalige mehrjährige Rechercheaktion, um ein Regionen übergreifendes, aussagekräftiges und vor allem auch aktuelles Material zu sammeln. Dabei kamen schließlich über 1000 dendrochronologisch datierte Bauernhäuser zwischen 1295 und 1699 zusammen. Damit hatte das Ausgangsmaterial die notwendige Dichte.
Der formale Aufbau des Buches folgt im Hauptteil den architekturtechnischen und -geschichtlichen Kriterien und stellt viele Fachbegriffe erstmals systematisch dar, wobei diese auch für den Laien verständlich erläutert werden. Die einzelnen Kapitel widmen sich dem Baustoff Holz, dessen Verwendung im Hausbau bezüglich der unterschiedlichen Holzarten durch die Zeiten, den historischen Holzverbindungen, der Bedeutung der naturwissenschaftlichen Methode der Dendrochronologie für die zeiteinordnende Hauserforschung, den spätmittelalterlichen Hausformen und Konstruktionen, sodann dem Fachwerkgerüst vom Ständerbau zum abgebundenen Stockwerksbau in all seinen Varianten und in seiner Entwicklung von der einfachen statischen Funktion bis zur Funktion als ästhetischer Blickfang und als Element sozialer Repräsentation. Hierbei gibt es durch umfangreiche Vergleiche neue Entdeckungen. Es folgen Beschreibungen des Hochgerüsts, des Dachgerüsts und des Kniestockgerüsts. In diesen Kapiteln führt Albrecht Bedal sein ganzes Können als Bauhistoriker in Vollendung vor. Dabei hat er immer auch die rechtlichen, sozialen, geografischen und klimatischen Rahmenbedingungen im Auge, die die technischen Entwicklungen des Hausbaus stark beeinflussen. Durch diese Vorgehensweise ist das Buch auch für Kulturwissenschaftler und andere Wissenschaftsrichtungen von großem Interesse. Innovationen und Veränderungen des Hausbaus im Übergang zur Neuzeit schließen sich an. Es folgt in funktionaler Betrachtungsweise eine Analyse der Grundrissvariationen der Bauernhäuser und der landwirtschaftlichen Nebengebäude. Dann ein vergleichender Blick der Regionen Baden-Württembergs zu dessen unmittelbaren Nachbargebieten.
Schließlich erfährt man in einem letzten Kapitel, welche ländlichen Gebäude vor und nach 1700 in den sieben Freilichtmuseen Baden-Württembergs aufgenommen wurden. Dieses sind eine ganze Menge, viele davon in akribischer Weise untersucht, die möglich geworden ist durch die seit den 1980er-Jahren in geradezu revolutionärer Weise verfeinerten Bauaufnahmen und wissenschaftlichen Methoden, die, wie Bedal formuliert, eine Neuerfindung der Bauforschung, eine Entwicklung zur Bauarchäologie bewirkten. Neben diesen Ergebnissen der Freilichtmuseen werden sodann die festgestellten dendrochronologisch datierten ländlichen Gebäude vor 1700 im gesamten Baden-Württemberg tabellarisch aufgeführt. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und Abbildungshinweise schließen das Buch ab.
Das Werk ist verständlich, geradezu eloquent geschrieben und auch für interessierte Laien geeignet. Es ist umso anschaulicher, weil aufgelockert durch eine beeindruckende Vielzahl von Erläuterungsspalten, Bauzeichnungen und Quellen im jeweiligen Kontext. Hervorzuheben sind vor allem auch die unzähligen, vom Autor aktuell aufgenommenen und erstmals veröffentlichten Fotografien historischer Gebäude. Eines wird in diesem Buch auch deutlich: Haustypen lassen sich nun einmal nicht nach Landschaften sortiert vorfinden. Gleiche Haustypen und Baukonstruktionen kommen in verschiedenen Landschaften in gleicher oder ähnlicher Weise vor, wie Bedal überzeugend an Beispielen nachweist. Hauslandschaften, so arbeitet er heraus, beruhen auf einer eingeengten Sichtweise früherer lokaler und regionaler Hausforscher der 1930er- bis 1960er-Jahre. So ist für die Zukunft zu empfehlen, nicht mehr von Hauslandschaften, sondern von Häusern in einer Landschaft zu sprechen, die verschiedenen, gleichen oder ähnlichen Typs sein können.
Und noch etwas vermittelt dieses Buch: Bauforschung ist kein Selbstzweck, sondern dient letztendlich dazu, den Menschen und sein berufliches, gesellschaftliches und privates Handeln zu verstehen, das sich auch im Hausbau niederschlägt. Wenn ein Gebäude im Laufe der Jahrhunderte verändert wird, dann interessiert eben nicht nur, wie das technisch und mit welchen Mitteln und Baustoffen das bewerkstelligt wurde, sondern auch, warum er sich dazu angetrieben fühlte, was ihm materiell zur Verfügung stand, was ihn beruflich oder aus Motiven familiärer Notwendigkeiten oder aus Gründen sozialen Auf- oder Abstiegs dazu angetrieben hat.
Mit den aufgeführten Methoden systematisch nachzuweisen, warum das historische Bauernhaus ein Kulturschatz ist, wie dies am Anfang des Buches postuliert wird, dabei auch den Blick gerichtet zu haben gerade auch auf früher missachtete, scheinbar unscheinbare Gebäude, die solchen Kulturschatz genauso wie augenfälligere Gebäude verbergen können, dabei das Blickfeld entscheidend zu erweitern und darüber – hinaus historische Dreh- und Angelpunkte entdeckt zu haben, an denen keiner mehr vorbei kann – dies ist das große Verdienst dieses Werkes. Albrecht Bedal hat ein neues Standardwerk geliefert nicht nur zur Architekturgeschichte Baden-Württembergs – er hat seitens der Hausforschung einen Meilenstein gesetzt.
Thomas Naumann
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