Titelbild eines Buches

Stefan Knödler (Hrsg.): Hermann Kurz (1813–1873) – Das blaue Genie

Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2024. 271 Seiten, Hardcover 42 €. ISBN 978-3-8253-6671-1

Titelbild eines Buches

»Was lange währt, wird endlich wahr«, könnte das Motto dieses Buches sein, versammelt es doch 14 Referate, die 2013, vor über zehn Jahren, zum 200. Geburtstag von Hermann Kurz auf einer in Reutlingen stattgefundenen Tagung gehalten und nun zu seinem 150. Todestag publiziert wurden. Den Reigen der Beiträge eröffnet der inzwischen verstorbene Hermann Bausinger mit Gedanken zum Humor und zur Ironie im Werk von Kurz und fragt nach dessen Aktualität. Sein visionäres Schlusswort: Der Dichter »steht nicht im Zentrum literarischer Erinnerung. Vermutlich hat er bald wieder eine Phase nicht der Geringschätzung, aber verletzender Nichtbeachtung vor sich. Doch in einigen Jahren, zum 150. Todestag, werden ihn gewiss die Jubiläumstaucher wieder an die Oberfläche holen aus dem Meer des Vergessens, in dem er glücklicherweise irgendwie überlebt«. Wie recht er doch hat. Nun ja, »besser spät als nie«.

Pfarrer sollte und wollte Hermann Kurz werden. Zunächst sah es auch ganz danach aus: Erfolgreich absolvierte er das württembergische Landexamen, die sich daran anschließenden Seminarausbildung und schließlich das Studium der evangelischen Theologie am Stift in Tübingen. Doch schon wenige Monate nach seiner erfolgreich bestandenen 1. Theologischen Dienstprüfung ließ der 22-Jährige dem Konsistorium mitteilen, »dass er etwas anderes als das Pfarrerdasein vorhabe«. Sein Ausbruch aus dem herrschenden System, seine Distanz gegenüber dem reglementierten Leben in der württembergischen Landeskirche hatte sich schon vorher angedeutet. Entgegen der im Stift gültigen Kleiderordnung, die eine rigorose schwarze »Tracht« vorsah, trug er blaue oder bläuliche Kleider, was ihm bei seinen Kommilitonen den Spitznamen »der Blaue« oder »das blaue Genie« einbrachte. Statt des existenzsicheren Pfarrerberufs wählte er nun den recht schwierigen und ungewissen Weg eines freien Schriftstellers und Publizisten.

Es wurde, wie man im vorliegenden Buch immer wieder nachlesen kann, ein mühsamer Weg. Oft musste, um des Broterwerbs willen, sein eigenes dichterisches Werk gegenüber Auftragsarbeiten – Übersetzungen, Redaktionstätigkeiten – zurückstehen. Erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt fand er als Unterbibliothekar an der Universität Tübingen eine Anstellung, die ihm und seiner Familie ein auskömmliches Leben ermöglichte.

Heute sind er und sein Werk weitgehend vergessen. Er werde selbst »von der Literaturwissenschaft sträflich vernachlässigt«, konstatiert Helmuth Mojem in der Einleitung zu seinem Aufsatz. Tatsächlich trifft die Formel »zu Unrecht vergessen« auch auf andere schwäbische Dichter des 19. Jahrhunderts zu. Man denke an die einstigen Bestsellerautoren Ludwig Uhland, Ottilie Wildermuth oder Berthold Auerbach. Doch auf keinen passt sie so wie auf Hermann Kurz, dem ein größerer Erfolg und Bekanntheitsgrad trotz vielfältiger Publikationsaktivitäten auch zu Lebzeiten versagt blieb und der sich selbst als »zwischen die Zeiten gefallen« sah.

Wider Vergessen und Vernachlässigung richtete sich vor zehn Jahren die Tagung und richtet sich nun also auch das vorliegende aktuelle Buch. Die in ihm versammelten Aufsätze belegen eindrücklich, wie breit gefächert die schriftstellerische und publizistische Tätigkeit von Hermann Kurz war. Zur Sprache kommen nicht nur seine Romane, insbesondere Der Sonnenwirt, und seine Erzählungen, sondern auch seine politischen Schriften und Kommentare, wie Das freye Wort. Die Beiträge machen aber auch Defizite deutlich. Noch immer fehlt eine wissenschaftlich-kritische Edition seiner Werke. Hierbei sei noch »Entdeckerarbeit« zu leisten, schreibt der Herausgeber in seinem Vorwort, zumal »viele von Kurz’ Schriften entweder ungedruckt geblieben oder anonym erschienen sind«. So hat dieses Buch sicher auch eine doppelte Funktion: Zum einen vermittelt es fundiert und anschaulich neue Erkenntnisse zum Werk von Hermann Kurz, zum anderen möchte es zu einer »erneuten und weiteren Beschäftigung« mit dem Dichter ermuntern.

Wilfried Setzler

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