von Reinhard Wolf
(Dieser Beitrag erschien zuerst in der Schwäbischen Heimat, Ausgabe Mai 2019, Foto oben: Große Wollbiene (anthidium manicatum), wikimedia/soebe, lizensiert unter CC BY-SA 3.0)
Üblicherweise sind es die Umweltverbände, die alarmierende Nachrichten und Zahlen zu Naturschutzthemen per Schlagzeilen veröffentlichen. Kürzlich war es Umweltminister Franz Untersteller, der seinem Kollegen Agrarminister Peter Hauk über die Presse mitgeteilt hat: Das Artensterben werden wir nicht stoppen, wenn wir weitermachen wie bisher (Stuttgarter Zeitung, 2. März 2019). Ist da endlich oben was angekommen, was jeder, der mit offenen Augen spazieren geht, schon lange weiß? Die Schlagzeile war noch nicht verhallt, da beschwichtigten beide Minister und wiesen darauf hin, dass es in Baden-Württemberg ein Sonderprogramm zum Artenschutz gebe, dass die Haushaltsmittel erhöht worden seien, dass die Naturschutzverwaltung personell gestärkt worden sei und dass die Bauernverbände eine Ackerbaustrategie veröffentlicht hätten. Nun, derlei Aussagen liest man seit vielen Jahren: Biotopvernetzungen, Artenschutzprogramme samt Monitoring, ökologische Flurbereinigungen, Landschaftserhaltungsverbände, was ist nicht schon alles eingeführt worden. Die Listen ausgerotteter oder gefährdeter Tier- und Pflanzenarten werden allerdings nicht kürzer, im Gegenteil.
Beachten Sie hierzu auch den Standpunkt des SHB Blumenwiesen in Gefahr! Erhalt eines bedeutenden Lebensraums für Flora und Fauna.
Müssen Schüler auf die Straße und neben besserer Klimapolitik auch bessere Naturschutzpolitik einfordern? Muss Baden-Württembergs Bevölkerung auch per Volksbegehren wie im Nachbarland Bayern (Rettet die Bienen) Druck auf die Regierung ausüben? Die gesetzlichen Grundlagen seien bei uns wesentlich besser, heißt es, also müsste das Volksbegehren hierzulande wohl in erster Linie auf einen besseren Vollzug der Gesetze abzielen. So einfach ist es nicht! Wer drüber nachdenkt, weiß: Jeder muss sein Verhalten ändern, jeder muss seinen Beitrag leisten, sonst geht das Artensterben weiter. Mit Blühstreifen auf Verkehrskreiseln, mit Schotterhaufen für anderswo vertriebene Eidechsen und mit Spenden für Regenwalderhaltung ist es nicht getan. Und auch nicht mit aufwändigen wissenschaftlichen Studien und teuren Monitoringprogrammen. Jeder weiß ja genau, was andere tun sollten, um das Artensterben zu stoppen, aber genau diese Geisteshaltung muss sich ändern. Von allein ändert sich gar nichts, und es ist eine alte Weisheit: Nur über den Geldbeutel lässt sich Verhalten ändern!
Die Stoßrichtung von Minister Untersteller war klar, und die Zeitungen haben dies mit einem Foto von einem pflügenden Bauern verdeutlicht: Die derzeit übliche Form der Landbewirtschaftung ist laut Experten die Hauptursache für den rasant fortschreitenden Artenrückgang. Pestizide, zu intensive Bewirtschaftung, Ausräumung der Landschaft usw. sind die Hauptursachen. Für den Zeitungsleser sind die Schuldigen schnell ausgemacht: die Bauern. Das aber stimmt so nicht und diesem Eindruck sollten die Herren Minister gegensteuern und stattdessen an die eigene Brust klopfen: Schuld ist nämlich die Landwirtschafts- und Umweltpolitik, angefangen von der EU bis herunter zum Land, die den Bauern die Rahmenbedingungen für ihr Tun diktieren, die sie beraten und die ihnen Fördergelder bewilligen. Der einzelne Landwirt ist eingebunden in das ganze System und muss zusehen, sein Einkommen zu erzielen.
Der Verbraucher spielt natürlich in diesem System auch eine zentrale Rolle. Auch da muss der Hebel angesetzt werden: Schweineschnitzel für 1,99 Euro und Artenvielfalt erhalten – das geht halt nicht, um es verkürzt auf einen Nenner zu bringen. Und das ist die Herausforderung für die Agrar- und Umweltpolitiker, den Landwirten neue Perspektiven zu eröffnen, sie in die Lage zu versetzen, in (weitgehendem) Einklang mit der Natur zu wirtschaften. Unsere Bauern lieben Blumenwiesen, sagte mal eine Landwirtschaftsexpertin, wenn die Kasse stimmt! Der Erfolg der bayerischen Initiative Rettet die Bienen, die rasante Zunahme der Bio-Regale in den Supermärkten, die florierenden Bio-Marktstände usw. zeigen: Die Zeit ist reif, die Bevölkerung will gesündere Lebensmittel. Dass diese teurer sind, muss allen klar sein, aber die Preisunterschiede zwischen konventionell und Bio sind nun nicht so riesig; ein Drittel teurer im Durchschnitt, mehr wohl nicht.
Das ist nun die Aufgabe für unsere Politiker: Zum einen der Bevölkerung die Zusammenhänge klar machen und sie darauf vorbereiten, dass das Frühstücksei nicht mehr 18, sondern 26 Cent kosten wird, zum anderen, die Rahmenbedingungen für die Landwirte zu verbessern und schließlich dafür zu sorgen, dass unsere Agrarlandschaft Zug um Zug wieder zu einer Kulturlandschaft wird, die der Artenvielfalt dient – und damit uns allen auch. So kann man nur hoffen, dass sich in absehbarer Zeit was Konkretes tut. Parteiengezänk, gegenseitige Schuldzuweisungen und wissenschaftliche Studien haben wir Bürger satt. Wir wollen Blumen, Bienen und Schmetterlinge sehen und Vögel singen hören, wir wollen Landwirte, die mit Freude ihren Beruf ausüben können und dabei was verdienen, und wir wollen gesundes, gutes, regional erzeugtes Essen auf dem Tisch – mehr nicht, aber bitte auch nicht weniger!
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