Titelbild eines Buches

Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio

Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssmann. Guggolz Verlag, Berlin 2024. 320 Seiten, Hardcover 25 €. ISBN 978-3-945370-47-6

Titelbild eines Buches

Etwas Launiges oder Schrulliges verspricht der Titel des Episodenromans zu Recht, wobei die Scherze bisweilen sehr derb ausfallen und einem die Einwohner von Pfifferlingen wie Schildbürger vorkommen. Wenn etwa Hanno beim Spalten von Holz in der Waschküche die Petroleumlampe umfällt und, während der Kellerboden brennt, alle Nachbarn gute Ratschläge erteilen, bevor endlich die Feuerwehr gerufen wird. Unter deren Augen und vergeblichen Löschversuchen, weil Kaulquappen aus dem Bach den Wasserschlauch verstopfen, geht das ganze Haus in Flammen auf.

So sind sie, lautet die Moral: schwätzen und starren, inszenieren und rechtfertigen sich, anstatt sinnvoll anzupacken. Ob dies nun schwäbische Mentalität oder nur verbreitetes Klischee ist, wie der Autor Anšlavs Eglītis suggeriert, sei dahingestellt. Die Geschichten leben auf jeden Fall von der Mischung aus Bauernschläue und Kauzigkeit, Geiz und Kleingeist der handelnden Personen – die einem nach 300 Seiten Lektüre dann seltsam vertraut geworden sind; man meint, dieses Pfifferlingen mit seinen Bürgerinnen und Bürgern gut zu kennen.

In diesem fiktiven Ort auf der Schwäbischen Alb strandet Pēteris Drusts an einem kalten Winterabend. Der lettische Apotheker hatte das brennende Berlin fluchtartig verlassen, war mit verschiedenen Zügen in Richtung Rhein und Schweizer Grenze gefahren, in der vierten Nacht erschöpft aus dem Waggon gestolpert und schließlich in einem Dorfgasthof gelandet, mit wenig mehr als den Kleidern, die er am Leib trägt. Die Person, die ihm mit der Taschenlampe durch die Dunkelheit geleuchtet hat, nennt sich Frau Bitzer, und nach ihr sucht Drusts bis ins letzte Kapitel, wenn er das über Begegnungen mit der schönen Metzgerstochter Melusine und den vielen Blickles, Konzelmanns und Ammans, den vielen kuriosen Begebenheiten und Anekdoten zwischendurch nicht vergisst. Auch wenn man das Ende ja nicht vorwegnehmen darf: Als Pēteris Drusts nach vier Jahren die überraschende Nachricht erhält, in die USA auswandern zu dürfen, blickt er durchaus gerührt zurück auf seine »ruhige rechtschaffene Zuflucht Pfifferlingen mit ihren wackeren Bewohnern«.

Vorlage für dieses Buch mit zwanzig verknüpften Erzählungen ist die eigene Lebensgeschichte des lettischen Autors Anšlavs Eglītis: Er hatte Riga im Oktober 1944 wegen der herannahenden Roten Armee verlassen und in Berlin Zuflucht gefunden, bis er im Februar 1945 ausgebombt wurde und weiterfliehen musste. Wie sein Protagonist gelangt er nicht in die Schweiz, sondern nur bis Tailfingen auf der Zollernalb, das fiktive Pfifferlingen, zwischen den echten Orten Truchtelfingen und Onstmettingen gelegen. Anders als der Junggeselle Drusts ist Eglītis mit seiner Frau, einer bekannten Malerin unterwegs, doch haben sie ähnliche Erfahrungen gemacht in dieser frühen Nachkriegszeit, das eigene Überleben als nicht unbedingt willkommene Flüchtlinge, aber vor allem mit dem Verhalten ehemaliger Nazis oder Mitläufer: »Nie hatte Hitler so viele Gegner gehabt wie nach der Kapitulation«, heißt es an einer Stelle.

Kritik an deutscher Bürokratie und Duckmäusertum machen das Buch aktuell, Schilderungen von Provinzialität und Verschrobenheit – Schwabenschelte – amüsieren die LeserInnen, doch am reizvollsten sind einerseits bitterböse, satirische Passagen wie die von Drusts’ erster Nacht in der eisigkalten Unterkunft, zum anderen sozialhistorische Studien über Aufsteiger und Verlierer im Kontext der schwäbischen Textilindustrie und der NS-Zeit.

Der Verleger Guggolz wird viel gelobt für seine Übersetzungen hierzulande unbekannter fremdsprachiger Literatur und deren bibliophile Publikation – mit Anšlavs Eglītis (der übrigens in die USA emigrierte und dort zahlreiche Bücher verfasste) ist ihm wieder eine lohnende Entdeckung gelungen.

Irene Ferchl

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