C. H. Beck Verlag München 2023. 224 Seiten mit 29 Abbildungen. Hardcover 27 €. ISBN 978-3-406-80061-0
Noch ein Buch über Georg Elser? Ist über ihn und seine Tat in den letzten Jahrzehnten mit den Biografien von Hellmut G. Haasis (»Den Hitler jag ich in die Luft«, 1999), Ulrich Renz (Georg Elser. Ein Meister der Tat, 2009) und zuletzt Peter Steinbach und Johannes Tuchel (Georg Elser. Der Hitler-Attentäter, 2010) nicht schon alles geschrieben worden?
Einerseits ist Wolfgang Benz zweifellos einer der renommiertesten Zeithistoriker, angesehen als langjähriger Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und als Autor zahlreicher Werke über den Nationalsozialismus, Widerstand und Holocaust. Als Student erlebte er die akribischen Forschungen von Anton Hoch und den sensationellen Fund der Verhörprotokolle durch Lothar Gruchmann im Bundesarchiv in den Akten des Reichsjustizministeriums; zu deren gemeinsamem Buch über den Attentäter aus dem Volke 1980 hatte er beitragen können. Andererseits hat es Benz offensichtlich gereizt, vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Forschung die Persönlichkeit Georg Elsers und seine Tat in ihren verschiedensten Aspekten zu beleuchten – und zwar in anschaulicher und spannend zu lesender Weise.
Dazu gehört die Dramaturgie seiner Erzählung, beginnend mit dem Mordanschlag im Münchner Bürgerbräu: »Acht Tote und 63 Verletzte – aber Hitler lebt«.
Am 8. November 1939 detonierte die in einer Säule installierte Bombe und brachte die Decke des Festsaals zum Einsturz. Georg Elser hatte einen Ort und einen Zeitpunkt von hoher symbolischer Bedeutung gewählt, denn 16 Jahre zuvor hatte ebendort der Auftakt zum Hitlerputsch stattgefunden und seither wurde dieses Ereignisses an jedem 8. November mit den »Alten Kämpfern« gedacht. Benz kommentiert so: »Die NS-Propaganda deutete das Geschehen vom kläglichen Misserfolg eines dilettantischen Staatsstreichversuchs zum triumphalen Heilsgeschehen um, dessen mit allen Emblemen und dem Ritual einer politischen Religion feierlich gedacht wurde.«
Doch 1939 war die Situation eine andere: Mit dem Überfall auf Polen hatte der Krieg begonnen und Hitler, der seinen Besuch wegen dringlicher Staatsgeschäfte ursprünglich sogar ausfallen lassen wollte, hatte es eilig, nach Berlin zurück zu kommen. Wegen schlechten Wetters konnte er nicht fliegen, verließ den Bürgerbräusaal nach einem verkürzten Ritual mit seinem Gefolge kurz nach 21 Uhr, um am Münchner Hauptbahnhof den Zug um 21.32 Uhr zu nehmen. Die Bombe explodierte um 21.20 Uhr.
Zu diesem Zeitpunkt – das erfahren wir bei Benz, der geschickt die Spannung hält, erst im 10. Kapitel – war Georg Elser bereits in Konstanz verhaftet worden. Zwei Zöllner hatten ihn beim Übergang an der (grünen) Grenze zur Schweiz beobachtet und als verdächtig festgehalten, die Leibesvisitation förderte »eine Beißzange, einen Umschlag mit Aufzeichnungen über die Herstellung von Granaten und Zündern und dergleichen, Teile von Zündern sowie eine farbige Ansichtskarte des Münchner Bürgerbräukellers« zutage. Am folgenden Tag wurden die Grenzen gesperrt und Elser wurde nach München gebracht, zur Vernehmung, auch »gefoltert und nach den Methoden der Geheimen Staatspolizei schwer misshandelt, um das passende Geständnis zu erpressen«.
Es folgten Verhöre seiner Verwandten und der ihm verbundenen Frauen, Elser kam in »Schutzhaft« und verbrachte die folgenden Jahre im KZ Sachsenhausen: man plante, nach dem »Endsieg« einen Schauprozess zu inszenieren. Für einige Wochen wurde er noch ins KZ Dachau verlegt und dort am 9. April durch Genickschuss ermordet.
Während dieser ganzen Zeit und noch viele Jahre später glaubte niemand an den Einzeltäter: die Nazis sahen in ihm ein bloßes Werkzeug der Briten und sogar ein Pfarrer Niemöller behauptete zeitlebens, dass Elser als SS-Mann gehandelt habe, selbst ein Brief von Elsers Mutter konnte ihn davon nicht abbringen.
Viele der 16 Kapitel in Benz’ Buch liest man – selbst bei profunden historischen Vorkenntnissen – mit angehaltenem Atem: Die Planung und Ausführung des Attentats durch Elser vor allem, aber auch seine Lebensgeschichte auf der Ostalb, den mäandernden beruflichen Werdegang, seine sozialen Beziehungen und natürlich die Diskussion seines Motivs.
In gebotener Kürze referiert Benz die Rolle der NSDAP in Württemberg ebenso wie die unterschiedlichsten Widerstandsgruppen mit ihren Aktivitäten und Ideen, die Ethik des Tyrannenmords sowie ausführlich das Nachleben von einem vergessenen, verleugneten, verleumdeten Täter bis zur »Lichtgestalt« Elser in der medialen Rezeption. Sein Fazit am Schluss: »Kein Held, aber doch ein Attentäter in stiller Obsession, kein einsamer Querkopf, aber doch beharrlich im Schweigen über seine Absicht. Elser war ein kategorischer Moralist, in der Konsequenz der Ausführung einer als notwendig erkannten Tat. Zu Recht sehen die Nachgeborenen Georg Elser deshalb als besonders authentischen Widerstandskämpfer.«
In vielem kann man Wolfgang Benz zustimmen, Widerspruch erregen lediglich seine landsmannschaftlichen Zuschreibungen – er selbst stammt aus Ellwangen –: Da gibt es die schwäbische »Neigung zum Protest«, die »Wilderer-Mentalität« der Menschen von der Ostalb, speziell der Königsbronner, da werden eine Linie von Aufsässigkeit und Rebellentum von Schubart über Stauffenberg bis zu den Geschwistern Scholl gezogen und Klischees über die Schwaben formuliert. Damit verkleinert Benz gegen seine erklärte Absicht den politischen Attentäter gelegentlich doch zum »schwäbischen Schreinergesellen«, wie er uns auf dem Buchcover entgegenkommt. Nichtdestotrotz: Die Lektüre lohnt unbedingt.
Irene Ferchl
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