Tübinger Platanenallee | Bildhinweis: Von Michael Fiegle, CC BY 4.0, Link
Ein erster Erfolg: Die Platanenallee in Tübingen
Dass man mit den verschiedenen großartigen Alleen im Neckartal über einen besonderen Schatz verfüge, war man sich in Tübingen zum Beginn des 20. Jahrhunderts wohl bewusst. Stolz vermelden die Tübinger Blätter 1901: Das Kleinod unserer Musenstadt sind ihre herrlichen Alleen, die in ihrer Eigenart weithin im Lande ihresgleichen suchen. Der Schönheitssinn früherer Geschlechter, gepaart mit der Freude an der herrlichen Gottesnatur, hat sie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in anmutiger Mannigfaltigkeit erstehen lassen […] sie zu erhalten und zu pflegen, ist eine vornehme Aufgabe unserer Stadtgemeinde.
Noch ausführlicher auf die Vorgänge in Tübingen geht Wilfried Setzler in dem Beitrag Der Streit um die Tübinger Alleen und die Heimatschutzbewegung ein.
Doch schon wenige Jahre danach war ein großer Teil der Alleen gefällt, der Rest ernstlich bedroht. Eine Wohnbebauung zwischen Bahnhof und Neckar hatte eingesetzt, Planungen liefen zur Errichtung eines Güterbahnhofs, zu gewaltigen Neckarkorrekturen mit Schutzdämmen, zum Bau einer Schlittschuhbahn, einer Badeanstalt, einer Schule und schließlich (1906 noch streng vertraulich) zu einer neuen Eisenbahntrasse von Tübingen nach Herrenberg. Deutlich wird aus den städtischen Akten, dass ins Neckartal Industrie angezogen und gefördert werden soll und man bereit war, das einstige Kleinod den Erfordernissen der Zeit zu opfern, damit das Gesamtleben einen rascheren Pulsschlag bekommt, wie man damals formulierte.
Schon 1907 vermelden die Tübinger Blätter: Die Akazienallee sieht ihrem Ende entgegen, die Weidenallee, die so hübsch hergerichtet worden war, wird verlieren. Und 1908 schreibt der Herausgeber: Es nützt nichts, solche Aenderungen mit Klagenund Beschwerden zu begleiten. Große Dinge treten nicht ohne allerlei Wehen ins Dasein. Auf einer Gemeinderatssitzung Ende des Jahres wurden die Absichten deutlich. Der Oberbürgermeister versicherte zwar, dass man dem Baumbestand alle nur mögliche Schonung angedeihen lassen wolle, meinte dann aber schließlich, dass man doch auch in der Erhaltung alter Bäume nicht zu weit gehen dürfe, wenn wichtigere, auf viele Jahrzehnte hinaus vorliegende Interessen dem entgegenständen. Radikaler noch formulierten Mitglieder des Gemeinderats, dass man sich doch keinen Illusionen hingeben dürfe und das Verschwinden sowohl der Linden- wie der Platanenallee nur eine Frage der Zeit sei.
Dies rief nun die neue Heimatschutzbewegung auf den Plan. In Tübingen begann sich in Versammlungen und in Aufrufen entschiedener Widerstand zu regen und zu organisieren. Wortführer wurden Carl Fuchs, Professor für Volkswirtschaftslehre, Gründungs- und Vorstandsmitglied im Deutschen Bund Heimatschutz und der Kunsthistoriker Professor Dr. Konrad Lange, die beide mit ihrer Wahl in den Vorsitz des im März 1909 in Stuttgart gegründeten Bundes für Heimatschutz in Württemberg eine Rückendeckung erfuhren.
Ein heftiger Streit um die Industrialisierung und den Erhalt der restlichen Alleen entbrannte. Der Heimatschutzstreit, wie die Auseinandersetzung bald genannt wurde, spaltete die Stadt für viele Monate in zwei geradezu feindliche Lager. Doch das Ergebnis konnte und kann sich sehen lassen: die Platanenallee wurde gerettet und zeigt sich heute schöner denn je.
(Wilfried Setzler)
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