Titelbild eines Buches

Stuttgarter Kunstgeschichten. Von den schwäbischen Impressionisten bis zur Stuttgarter Avantgarde

Carla Heussler und Christoph Wagner (Hrsg.). (Regensburger Studien zur Kunstgeschich­te 21) Verlag Schnell + Steiner Regensburg 2022, 416 Seiten, 59 €. ISBN 978-3-7954-2888-4

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Die große Kunstgeschichte hat Stuttgart links liegen lassen. Das geht anderen Städten wie Frankfurt oder Hannover nicht anders. Aber wenn es nach Jean- François Lyotard den großen Erzählun­gen ohnehin nicht gelingt, die Welt zu­treffend zu beschreiben, so gibt es auf lokaler Ebene doch viel zu erzählen. Der Band Stuttgarter Kunstgeschichten stellt mit rund zwei Drittel seiner 29 Beiträge Adolf Hölzel, seine Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt. Dass er in Regensburg erscheint, liegt daran, dass der Herausgeber Christoph Wagner weg­weisend zu Johannes Itten geforscht hat: Hölzels Schüler, der durch seinen Grundkurs das Bauhaus prägte. Das ge­nügt, um zu zeigen: Diese Geschichten weisen weit über Stuttgart hinaus.

Die Beiträge sind heterogen, ebenso wie die Forschungslage. Symptomatisch er­scheint, wenn Franz Josef Hamm zu Ger­trud Eberz-Alber schreibt: »Dieser Bei­trag gleicht mehr einer Verlustanzeige als einer Künstlerbiografie.« Nahezu im Alleingang hat der heute 88-jährige Lim­burger Architekt das Werk der Eheleute Josef Eberz und Gertrud Eberz-Alber aufgearbeitet, wobei sie immer hinter ihrem Mann zurückstehen musste. Dabei hätte sie sich, wenn man von ihrem künstlerischen Werk ausgeht, nicht zu verstecken brauchen. Ähnliches gilt für die anderen sieben vorgestellten Hölzel- Schülerinnen – unerfindlich bleibt ledig­lich, warum sich nur Frauen für sie inte­ressieren. Was sich an Hamm auch zeigt: Es fehlt ein Autor/innenverzeichnis. Und das Literaturverzeichnis hat Lücken. Ek­latantester, keineswegs einziger Fall: Ul­rich Röthke, Kunsthistoriker aus Cottbus, in dem Band mit zwei Beiträgen vertre­ten, hat 2016 im Freiburger Augustiner­museum die Ausstellung »Hölzel und sein Kreis« kuratiert, anlässlich einer Ausstellung ebendort 100 Jahre zuvor. Einen Hinweis auf den Katalog sucht man vergeblich. Hier zeigt sich ein Prob­lem. Wenn die verstreut erschienen For­schungsbeiträge nicht bekannt sind, fängt jede/r immer wieder von vorne an.

Corinna Steimel hätte auch über Maria Lemmé schreiben können. Aber sie kon­zentriert sich auf die beiden bekanntes­ten jüdischen Künstlerinnen Käthe Loe­wenthal und Alice Haarburger. Mithe­rausgeberin Carla Heussler wäre besser bei Käte Schaller-Härlin und dem Kunst­haus Schaller geblieben, statt noch drei weitere Beiträge hinzuzufügen. Wenn sie über die Üecht-Gruppe um Oskar Schlemmer und Gottfried Graf, die nach dem Ersten Weltkrieg in ihren drei »Herbstschauen neuester Kunst« erst­mals moderne Kunst nach Stuttgart brachte, schreibt, nach der dritten »stan­den die Stuttgarter der zeitgenössischen Kunst inzwischen so aufgeschlossen gegenüber, dass sie kaum noch Aufre­gung verursachte«, so ist dies schlicht falsch. Im selben Jahr, 1924, musste sich Otto Fischer, der Direktor der Staatsgale­rie, eine Rüge des Landtags gefallen las­sen, weil er ein ähnliches Spektrum der Moderne gezeigt hatte, und stand von da an unter Aufsicht.

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Hölzel und seine Eleven sind deshalb bis heute nicht ihrer Bedeutung entsprechend bekannt, weil sie in der Stadt Stuttgart selbst, und zuallererst von den Akademiekollegen, wütend bekämpft wurden. Dies arbeitet Oliver Jehle heraus, der seinen Beitrag zu Hölzel unter ein gespenstisches, of­fenbar nicht exakt kontextualisierbares Zitat aus dem Nachlass stellt: »Staat und Stadt, die haben mich beide umge­bracht«. Jehle schildert Hölzels künstle­rische Entwicklung im Kontext des Ers­ten Weltkriegs. Stammt das Zitat aber aus der NS-Zeit? Hölzel ist 1934 verstor­ben. Unter einem ähnlich sprechenden Titel – »›Diese geölte Fliege‹ – Der Maler der Moderne als Staatsfeind« – arbeitet Jehle Willi Baumeisters Schwierigkeiten im Nationalsozialismus heraus. Dass es ihm gelingt, dem Vielen, was zu diesen beiden Künstlern schon geschrieben wurde, noch etwas signifikant Neues hinzuzufügen, gehört zu den Glanzlich­tern des Buchs – während sich manche anderen Beiträge eher auf Hauptsemi­narniveau bewegen.

Während Baumeister in der Nachkriegs­zeit eine prominente Rolle spielte, ist über andere Schüler und Schülerinnen Hölzels nur wenig bekannt. Dabei lohnt sich in jedem Fall, sich mit ihnen zu be­schäftigen. Denn wie das bei herausra­genden Lehrern so ist, gingen sie alle ganz eigene Wege. Aber es gibt nicht nur Hölzel, auch die Laufbahnen einiger we­niger modernen Künstler wurden durch die Nationalsozialisten ausgebremst, mit Langzeitwirkung, da sie selbst danach nur noch wenig Beachtung fanden. Bern­hard Pankok, Heinrich Altherr, Wilhelm Geyer, Anton Kolig oder Max Ackermann kommen in dem Band zur Sprache. Es gäbe noch mehr aufzuarbeiten. Doch trotz mancher Schwächen macht diese Publikation einen wichtigen Schritt nach vorn.

Dietrich Heißenbüttel

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