Titelbild eines Buches

Martin Janotta/Josef Herbasch (Hrsg.): Jüdisches Leben in Württemberg, Gestern und heute.

Verlag Junge Gemeinde, Stuttgart 2023. 192 Seiten, zahlr. Abb. Paperback 29,95 €. ISBN 978-3-948882-37-2

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Das Gedenk- und Feierjahr »1700 Jahre in Deutschland« hat auf vielen Ebenen Aktivitäten und Publikationen angesto­ßen, um Aufmerksamkeit für gegenwär­tiges jüdisches Leben und seine Ge­schichte zu wecken und das Wissen dar­über zu vertiefen. Auch das Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg beteiligte sich ein Jahr lang an diesen Initiativen und veröffentlichte Woche für Woche Ar­tikel zu jüdischen Gemeinden in Baden- Württemberg, die alle in der Schoa aus­gelöscht wurden. Ergänzt um zwei Ge­leitworte – von Barbara Traub, der Vor­standssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), und Alice Brauner, deren Eltern im DP-Camp in Heidenheim heirateten – sowie einem knappen historischen Über­blick haben die beiden Herausgeber die­se Artikel nun zu einem ansprechenden, durch viele Fotos und weiterführende Adressen bereicherten Band zusammen­gefügt.

Die Autorinnen und Autoren der Beiträge nutzen unterschiedliche Zugänge, chro­nologisch, biografisch, architekturhisto­risch oder eher lexikalisch. Besonders lebendig sind ihre Schilderungen, wenn sie die Geschichte der jeweiligen Ge­meinde aus der Perspektive derjenigen erzählen, die sich heute der Vermittlung dieser Geschichte widmen, sei es als Stadtführer, Archivare oder Mitarbeite­rinnen und Akteure erinnerungskultu­reller Initiativen. Dabei ist das auch in Württemberg späte Entstehen einer Er­innerungskultur unübersehbar. Und die Leerstellen werden sichtbar, die trotz der beachtlich vielen kleinen Jüdischen Mu­seen und Abteilungen zur jüdischen Ge­schichte in Stadtmuseen (Freudental, Je­benhausen, Laupheim, Creglingen, Braunsbach, Michelfeld, Bad Mergent­heim, Nordstetten, Oberdorf, Baisingen, Buttenhausen, Schwäbisch Hall), trotz Stolpersteinen und Gedenktafeln noch immer bestehen.

Nur in der Stuttgarter Synagoge führte ein Mitglied der IRGW, nur in Stuttgart hat sich unmittelbar nach dem Ende des NS-Regimes wieder dauerhaft eine jüdi­sche Gemeinde gründen und schon 1952 ihre in der Pogromnacht zerstörte Syna­goge wieder aufbauen können. Doch erst die Zuwanderung von Jüdinnen und Ju­den aus den GUS-Staaten – heute ma­chen sie mit 80 Prozent die Mehrheit der Gemeinde aus – sicherte auch dieser Ge­meinde ihren Bestand. Heute ist sie das Zentrum einer sogenannten Einheitsge­meinde, die alle drei religiösen Strömun­gen unter einem Dach vereint. Im würt­tembergischen Teil des Bundeslandes zählt sie mit Ulm, Heilbronn, Esslingen und Reutlingen mittlerweile vier Filialge­meinden. Im badischen Landesteil sind es zehn jüdische Gemeinden. Doch da die historische Landesteilung selbst im jüdischen Bereich noch durchschlägt, fo­kussiert sich der Band – leider – nur auf den württembergischen Landesteil.

Verglichen mit der Zeit vor dem Holo­caust sind das bescheidene Gemeinde­zahlen, lebten doch vor 1933 in 223 ba­dischen Orten Jüdinnen und Juden, und die in dem Band abgedruckte Karte von 1932 weist mehr als 60 jüdische Ge­meinden in Württemberg auf. Insgesamt werden in der hier vorgestellten Publika­tion 31 württembergische Orte mit jüdi­schem Erbe vorgestellt. Zu ihnen gehö­ren so kleine wie das schon im 15. Jahr­hundert existente Plaumloch auf der Ostalb, das infolge der nachemanzipato­rischen Landflucht schon vor der NS-Zeit zu bestehen aufhörte, oder Heidenheim, wo es nie eine selbstständige jüdische Gemeinde, aber nach Kriegsende vorü­bergehend eine an die 3000 Mitglieder starke Gemeinschaft von heimatlos ge­machten jüdischen Überlebenden gab, sog. Displaced Persons. Ein Umstand, der dazu führte, dass der spätere erste Ministerpräsident Israels, David Ben Gu­rion, dort 1946 in einem Vortrag für das neue Heimatland der Juden warb. Vorge­stellt werden daneben die jüdische Ge­meinde Laupheim, die im 19. Jahrhun­dert mit mehr als 800 Personen eine Zeit lang die mitgliederstärkste jüdische Ge­meinde im damaligen Königreich Würt­temberg stellte, ebenso die großen Ge­meinden von Stuttgart, Ulm und Heil­bronn. Denn wenn Süddeutschland zwar das klassische Gebiet der Landjuden bil­dete, so gab es dort eben doch auch urbane Zentren jüdischen Lebens.

Verständlicherweise können die journa­listischen Skizzen nicht immer mit his­torischer Tiefe aufwarten, aber sie we­cken doch Neugier und Interesse. Denn der Band vermittelt einen anschaulichen Einblick in die vergangene Vielfalt jüdi­schen Lebens, gibt einen Überblick über das grausame Ende der jeweiligen Ge­meinde und erlaubt einen guten Ein­druck von der Gegenwart jüdischen Le­bens in Württemberg ebenso wie von den vielen Bemühungen und Initiativen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das jüdische Erbe des Landes zu pflegen.

Benigna Schönhagen

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