Erste Verfolgungsaktionen 1933 in Württemberg- Hohenzollern. Eine Spurensuche
150 Seiten mit 50 Abb., Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2024. Paperback 19,90 €. ISBN 978-3-95505-480-9

Der Autor beschränkt sich mit seiner eklektizistischen Materialsammlung nicht auf die knapp neun Monate und 3500 Männerschicksale im ersten, Baden und Württemberg übergreifenden Konzentrationslager im Land. Er hat die ganze Geschichte im Blick: nämlich die Geschichte eines Militärareals auf dem Hochplateau des Großen Heubergs, das als eines von zwei großen Truppenübungsplätzen in Baden-Württemberg noch genutzt wird. Anders als Münsingen, das seit 2005 entmilitarisiert ist, hat sich der Übungsbetrieb, der vor dem Ersten Weltkrieg im damaligen Amtsbezirk Meßkirch vom XIV. (badischen) Armeecorps aufgenommen wurde, gehalten: mit Unterbrechungen als Kindererholungslager und schlimmer: als erstem Konzentrationslager hierzulande. Aus den politischen Gefangenen zwischen März und Dezember 1933 wählt Manfred Henne Begebenheiten und Namen aus. Unter den Prominenten sind Kurt Schumacher, Fritz Bauer, Oskar Kalbfell etc. Den Autor scheint der Ort nicht nur als Locus delicti zu interessieren, sondern als ein tabuisierter Raum, der Zivilisten seit 110 Jahren grundsätzlich verschlossen bleibt. Geboren in Ebingen, aufgewachsen im Zollernalbkreis, hat er offenbar schon aus Gründen der geografischen Nähe einen Bezug zu Stetten, dessen Necknamen am »Kalten Markt« er im Schlusskapitel auch noch zu deuten versucht. Trotz der 19 Kapitelüberschriften erschließt sich die im Titel angekündigte Systematik in diesem Buch nicht ohne weiteres. Das macht ein Beitrag zum Ende deutlich. Er behandelt das nach Kriegsende lange in Vergessenheit geratene Ereignis vom ersten bemannten Raketenflug. Dieser endete für den Versuchspiloten tödlich. Ein Gedenkstein an der Absturzstelle auf dem Truppenübungsplatz erinnert an den damals 22-jährigen Piloten Leutnant Lothar Sieber. Was die Bedeutung der »Geheimwaffe « mit der Tarnbezeichnung »Natter « angeht, übertreibt der Autor. Zwar war ihr Ansatz wie bei damals vielen anderen Waffenentwicklungen durchaus revolutionär. Aber als »Wunderwaffe« war sie zu diesem Zeitpunkt nicht ausgereift. In den Bachem-Werken von Bad Waldsee konstruiert, sollte der Pilot mit seinem Billigfluggerät aus Holz und Stahlrohr, getrieben von einem Raketenmotor mit bis zu 1000 km/h feindliche Bomber beschießen und danach am Fallschirm zu Boden schweben. Der bemannte Erstversuch scheiterte am 1. März 1945 nach einem anfangs erfolgreichen Start. Bemerkenswert ist das Fotomaterial, das Manfred Henne zu diesem Thema beisteuert. Er zeigt u.a. Aufnahmen von Startrampe, intaktem Fluggerät, vom Gedenkstein an der Absturzstelle und dem Soldatengrab auf dem Friedhof Stetten.
An vielen anderen Orten hat der Autor nach Fotos und Material für sein Buch gesucht und dabei durchaus Interessantes zu Tage gefördert. Ein aktuelles Foto vom 5. Juli 2023 zeigt den baden-württembergischen SPD-Vorsitzenden Andreas Stoch bei einer Kranzniederlegung am Mahnmal für die KZ-Häftlinge.
Reinhold Fülle
Views: 0
