Das katholische Oberschwaben im Nationalsozialismus zwischen Begeisterung, Anpassung und Widerstand. Erzählte Lebenserinnerungen. Teil 3 (= 2. Aufl.)
Eppe Verlag Aulendorf 2021. 440 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Gebunden 30,– €. ISBN 978-3-89089-157-6
Ludwig Zimmermann schreibt in seinem Vorwort, dass ihm schon in den 1950er-Jahren der Gedanke an die Aufarbeitung der regionalen NS-Geschichte in den Sinn kam. Neben der ursprünglichen Berichterstattung als freier Mitarbeiter für Lokalausgaben der Schwäbischen Zeitung in Laupheim und Ravensburg in den Ressorts Sport, Kultur und Politik hat er sich früh der Historie in seinem Umfeld gewidmet. Geboren 1938 bei Laupheim, wohnhaft in Mochenwangen, wurde die Heimat zu seinem Geschichtslabor. In zwei Bänden, die bereits 2018 und 2019 erschienen sind, hat der einstige Realschul-Lehrer seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Der nun vorliegende dritte Band rundet dieses Unternehmen auf 440 großformatigen Seiten ab. Ein umfangreiches Register dokumentiert Zimmermanns Arbeit, seine Literatur, die Quellen und Archivalien. Vermutlich stößt sein Engagement heute auf mehr Zustimmung, als es noch vor zwei oder drei Jahrzehnten der Fall gewesen wäre. Damals hätten ihm sein detektivisches Gespür und seine beharrlichen Archivrecherchen nicht nur Freunde gemacht. Lebten doch noch viele jener Menschen, die im Buch in allen möglichen Uniformen der NS-Zeit, unter Hakenkreuzfahnen oder mit Hakenkreuzarmbinden zu sehen sind. Diese und auch deren enge Nachkommen hatten in aller Regel wenig Interesse an solchen Veröffentlichungen. Der Autor weist in diesem Zusammenhang ausführlich auf das Dorf Schwendi im Landkreis Biberach hin, wo 2015 nach einem Historien-Sechsteiler in der Schwäbischen Zeitung die Emotionen hoch gingen. (S. 120 ff.)
Aberdutzende bekannte und weniger bekannte, offizielle und private Fotos hat Zimmermann zusammengetragen. Sie sind der eigentliche Schatz des Buchs. Ihn zu heben, war vermutlich eine Herkulesaufgabe. Zugute kam ihm dabei die Kenntnis der regionalen Verhältnisse und sie hat ihm sicherlich manche Fotoschatulle geöffnet. Dass sich in Bildlegenden wenige lästige Fehler oder Ungenauigkeiten finden, sei hier nur marginal angemerkt (etwa S. 190 oder S. 198). Ebenso die Tatsache, dass die Datierung bzw. genaue Einordnung Wünsche offenlässt.
Ludwig Zimmermanns Werk ist zwar auf das schwäbische Oberland fokussiert, aber die Makrowirkung reicht weit darüber hinaus. Lokalgeschichte setzt er in den großen Kontext. Dabei bleibt natürlich nicht aus, dass man zur Genüge Floskeln wiederfindet, die bei allem Wahrheitsgehalt eben schon sehr abgegriffen sind, wie etwa die des »Steigbügelhalters« Franz von Papen. Auch manche Fotos, wie das vom 1. September 1939, auf dem der polnische Schlagbaum bei Zoppot gestellt und propagandawirksam niedergerissen wird, sind hinlänglich bekannt. Ebenso wie etwa die Beschießung der Danziger Westerplatte durch den deutschen Zerstörer Schleswig-Holstein.
Interessant wird die Sache, wenn, bildlich gesprochen, Zimmermann von Haustür zu Haustür geht, von Ort zu Ort, wenn er von Zwist, Ränken und Gezänk innerhalb des NS-Parteiapparats berichtet, aber auch von hartleibigem regionalem Widerstand gegen das NS-Regime. Der populäre und tapfere Bischof Sproll, für den die katholische Kirche 2011 das Seligsprechungsverfahren eingeleitet hat, blieb lange über die »Machtergreifung« hinaus ein Leuchtturm für katholische Gläubige. Bis er als Parteigänger des Zentrums 1938 seiner Diözese Rottenburg verwiesen wurde, wusste er sogar eingetragene NSDAP-Gefolgsleute hinter sich, wie Zimmermann anhand eines Vorfalls im Kloster Heiligenbronn bei Schramberg anekdotisch erzählt (S. 200).
Das Beispiel des Allmendinger Pfarrers Karl Sailer steht für katholische Amtsträger, die für ihren Standpunkt sanktioniert wurden. Im Fall Sailer war es so, dass er u.a. wegen seines Eintretens für Bischof Sproll zwei Wochen im KZ Welzheim erleiden musste (S. 196 ff.). Es sind diese Beispiele von Mut oder Mitläufertum, von Fanatismus, Opportunismus und Treue, die das Mosaik vom katholischen Oberschwaben im Nationalsozialismus komplett machen. Mit der Erkenntnis, dass in größeren Städten (mit Ausnahme Biberachs) die Zentrumspartei bis zuletzt bessere Wahlergebnisse erzielte als die NSDAP, jene aber auf dem Land punktete. (S. 34 f.)
Der Autor hat offenbar für sich die Konsequenzen aus seiner Vergangenheitsschau gezogen und sich zeitlebens beispielhaft sowohl in der Kommunalpolitik als auch in der Jugend- und Vereinsförderung engagiert. Er hat in Sachen Sport und Kultur gesellschaftlich gewirkt und wurde dafür vielfach ausgezeichnet. Wir dürfen ihn gewiss zu jenen Staatsbürgern rechnen, die Lehren aus der Geschichte in praktisches Gegenwartsengagement ummünzen. Ohne Menschen wie ihn müsste eine Graswurzeldemokratie verdorren.
Reinhold Fülle
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