Martin Heim, über 30 Jahre lang im Aufsichtsrat der Weingärtner Marbach, hat zusammen mit seinem Vetter Werner Widmaier 2019 in Benningen das Projekt »Wengerter auf Probe« ins Leben gerufen: Eine Initiative für fachgerechte Anleitung und Motivation Dritter für die Arbeit im Steillagenweinberg. 2023 sind die beiden unter den Gewinnern des Kulturlandschaftspreises des Schwäbischen Heimatbundes (Foto: privat).
Herr Heim, woher nehmen Sie die Energie für die »Wengerter auf Probe«? Was hat Sie und Ihren Vetter angetrieben, in dieser Form aktiv zu werden?
Wir hier in Baden-Württemberg sagen immer noch: Wir haben Verantwortung. Die Kulturlandschaft droht kaputt zu gehen. Werner Widmaier und ich – wir haben denselben Großvater – sind beide als Kinder zum Weinbau herangeführt worden, sind damit groß geworden. Bis zum Alter von 20 Jahren hat man darauf keinen Bock, aber später sieht man das anders. Weinberge in terrassierter Steillage können heute nur noch hobbymäßig betrieben werden. Pflanzenschutz ist ein riesen Thema, und wenn man sich nicht kümmert, verbuscht alles, und die Weinbergmauern gehen kaputt. Pflegt man sie aber, kann man mit weniger Aufwand mehr erreichen. Das Vorleben fehlt uns heute. Manche Chefs leben nicht mehr vor, fordern nur noch. Unsere Überzeugung und unsere Erfahrung ist: Wenn man was vorlebt, kann das faszinieren.
Was war konkret die Situation, als Sie das Projekt gestartet haben?
Seit den 1970er-Jahren macht bei uns ein Hubschrauber den Pflanzenschutz. Pro Jahr sind ca. zehn Behandlungen mit Pflanzenschutzmittel gegen echten und falschen Mehltau nötig, den man nicht anders in den Griff bekommt. Zwei entscheidende Phasen der Spritzung erfolgen per Hand vom Wengerter, mehr Handspritzungen sind nicht leistbar. Das heißt, 80% erledigt der Hubschrauber. Und dann hat die Firma mit dem Hubschrauber gesagt: »Wenn Euch noch ein paar Parzellen wegfallen, dann können wir nicht mehr befliegen.« Das ist unsere große Sorge, das wäre das Aus. Pflanzenschutz im Weinbau ist etwas, was keiner gern macht, was aber unbedingt sein muss, sonst erntet man keine Trauben. Klar ist aber auch: Der Steillagenweinbau ist abhängig von staatlicher Hilfe. Die Kosten steigen überall: beim Sprit für den Hubschrauber, für die Piloten, die Erzeuger bekommen weniger und werden zudem noch überschwemmt von Wein aus dem Ausland. Wein in Deutschland ist eine kleine Nische. Wir haben Ende 2019, kurz vor Corona, unser Projekt gestartet und ehrenamtliche Mitstreiter gesucht, die von uns fachliche Anleitung bekommen. Am Anfang waren es nur zwei, dann haben die Ludwigsburger Kreiszeitung und die Stuttgarter Zeitung Berichte gebracht, dadurch wurden es im ersten Jahr gleich 20 Mitstreiter! Aktuell sind wir 40, brauchen aber noch mehr, denn es werden immer mehr Weinberge aufgegeben, als Mitarbeiter dazu kommen. Die Mitstreiter können machen, was sie wollen. Die Weinberge sind uns zur Nutzung frei überlassen.
Wie sehen Ihre Treffen aus? Woher kommen die Leute, die bei Ihnen mitmachen?
Wir treffen uns immer im Freien, so war das auch in der Pandemiezeit möglich. Jeden Monat gibt es eine Theorieeinheit, in der wir viel theoretisches Wissen und viel über Pflanzenschutz vermitteln. Wir berichten darüber, was zuletzt gemacht wurde und was als nächstes zu tun ist. Manchmal haben wir Gastreferenten, sogar Claus-Peter Hutter war schon ein paar Mal da, er war Leiter der Akademie für Umwelt und Naturschutz des Landes Baden-Württemberg und ist Präsident von NatureLife-International. Ungefähr die Hälfte unserer Mitstreiter lässt die geernteten Trauben von Profis ausbauen, bringt sie zu den Marbacher Weingärtnern und kauft dann dort den Wein. Alle sind mit Begeisterung dabei, ob 31 oder 75 Jahre alt, quer durch alle Berufssparten inklusive Akademikern. Die meisten sind Ältere, eben wer Zeit hat und rüstig ist. Aufhören tut nur, wer beruflich wegzieht oder andere zwingende Gründe hat. Eigentlich wollen alle immer dabei bleiben. Das sind tolle Leute, die machen das freiwillig. Da sind schon richtige Freundschaften entstanden.
Hubschrauber, Spritzen – sind das heute nicht Reizworte, die Kritik und Gegenwind provozieren?
Erstmal ist hier der häufig gebrauchte Begriff »Pestizide« falsch. Es handelt sich um reine Fungizide, kein Gift. Gift ist nur was gegen Tiere, gegen Mehltau bringt das nichts. Und ganz wichtig ist das persönliche Gespräch. Wenn der Hubschrauber kommt, der kann 650 Liter transportieren, muss auch wegen der Rotoren aus Sicherheitsgründen der Neckar-Radweg am Fuß der Weinberge abgeschrankt werden. Da steh ich dann und diskutiere mit den Radfahrern, die auf‘s vermeintliche »Gift« schimpfen und mir zuerst sagen »Mir pressiert‘s, mir pressiert‘s!« Denen erzähle ich dann, was wir hier machen und warum. Da sind sie fasziniert. Am Ende wollen die meisten immer noch länger bleiben und mehr erfahren, bis ich ihnen sage: »Ich muss jetzt aber wirklich los und die Schranken wieder aufmachen!«
Und wer jetzt bei Ihnen mitmachen will …?
… wendet sich an unser Rathaus. Unser Bürgermeister Klaus Warthon ist ein großer Fan von unserem Projekt, wir haben von ihm volle Unterstützung. Die Gemeindeverwaltung will informiert sein über die Entwicklung. Deshalb soll sich, wer interessiert ist, bitte dort melden. Wir bekommen das dann weitergeleitet.
Interview: Hanne Knickmann im Juni 2023
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Interessantes Projekt um die Steillagen zu erhalten. Gibt es Alternativen zum Weinanbau? Selbstversorgung erlebt doch gerade einen Boom. Drücke die Daumen um weitere Wengerter auf Probe zu finden.