Ebru Hazinedar ist seit 2022 Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart e.V. (DTF). Sowohl 2020 als auch 2022 war das DTF einer von mehreren wichtigen Partnern, mit denen der Schwäbische Heimatbund im Hospitalhof Stuttgart Heimatkongresse veranstaltet hat. Im Zentrum standen u.a. Fragen nach der Standortqualität Baden-Württembergs, nach Bildung, Bildungsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit, nach Identität, Diversität und Pluralismus.
Wie lange gibt es das Deutsch-Türkische Forum schon und wie ist der Verein strukturiert?
Das DTF (www.dtf-stuttgart.de) gibt es seit 1999. Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit aktuell rd. 350 Mitgliedern. Im Vorstand sind wir zu fünft plus zwei kooptierte Vorstandsmitglieder. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich, in der Geschäftsstelle haben wir neun hauptamtliche Mitarbeiter*innen. Unser Themenspektrum ist breit, wir sind in vielen Bereichen aktiv: Kultur, Bildung, Gesellschaft, Politik und mehr. Dabei engagieren wir uns weltanschaulich und politisch grundsätzlich immer neutral.
Gibt es das DTF in dieser Form nur in Stuttgart oder ist es Teil eines größeren Netzwerkes? Kooperieren Sie mit lokalen Vereinen oder Institutionen?
In dieser Form gibt es uns tatsächlich nur in Stuttgart. Für eine gute Vernetzung in Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien trägt wesentlich unser Kuratorium bei. Dessen Mitglieder kommen aus den entsprechenden Bereichen und beraten Vorstand und Geschäftsführung. Vorsitzender des Kuratoriums ist der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Prof. Dr. Wolfgang Schuster. Wir sind ihm sehr dankbar für seine große Sensibilität und Offenheit gegenüber Migrationsthemen. Lokal gibt es Kooperationen je nach Thema bei einzelnen Veranstaltungen bzw. regelmäßig bei unseren Reihen: z.B. mit dem Renitenztheater bei der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche, die seit 2005 stattfindet und fast schon Kultstatus hat. Oder mit dem Forum der Kulturen Stuttgart, das das Sommerfestival der Kulturen veranstaltet, bei dem wir immer im Programm mitmachen. Enge Kooperationen bestehen auch mit dem Literaturhaus, dem Hospitalhof, türkischen Kulturvereinen oder den Wagenhallen.
Sie selbst sind eigentlich Juristin, arbeiten aber seit Jahren als Schulleiterin einer privaten berufsbildenden Schule. Gibt es da auch Schnittstellen zu Ihrer Tätigkeit für das DTF?
Auf jeden Fall. Ich baue Brücken: als Juristin, in der Schule und im DTF. Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft nur dann funktioniert, wenn wir uns engagieren. Ich sehe mich als Bindeglied zwischen Schule und Engagement. Für die Schulleitung habe ich mich bereits 2012 entschieden, als Anwältin arbeite ich aktuell nebenberuflich. Ich war früher schon als Dozentin tätig und liebe es einfach, zu unterrichten. Meine Schule ist eine berufsbildende Schule, spezialisiert auf kaufmännische Bereiche und offen für alle Schüler*innen ab Mittlerer Reife. Es ist eine Schule mit starkem Migrationshintergrund. Nach meinem Empfinden ist es für die Jugendlichen in ihrer Entwicklung schwierig, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Seit Corona empfinde ich das als noch schwieriger. Aber ich habe viel Energie. Meine Leidenschaft ist es, junge Leute zu motivieren. Ich will ihnen beibringen und zeigen, wie wichtig gesellschaftliches Engagement ist. Das gelingt nicht oft, aber wenn, macht mich das glücklich. Zum Beispiel, wenn ich Jugendliche dazu bringe, in einen Fachbereich reinzuschnuppern, ein Praktikum in einem Verein oder sogar ein FSJ zu machen. Wenn ich mit einem Schüler/einer Schülerin trotz gescheiterter Schulexistenz einen Weg in einen Job finde, ist das toll. Es geht um Empowerment.
Das DTF bietet sogar eine Empowerment-Academy. Was ist damit gemeint?
Ich bin überzeugt: Du brauchst Vorbilder. Du brauchst Menschen um Dich herum, die die gleiche Herkunft haben und die es geschafft haben, ihren Weg zu gehen. Die Empowerment-Academy des DTF ist ein Angebot speziell für junge Menschen, sich auf Augenhöhe zu begegnen, gemeinsam neue Sachverhalte und Funktionsweisen politischer Partizipation kennenzulernen. Was wir im DTF auch machen, sind Mentoringprojekte. Wir bilden Tandems aus Schüler*innen und Studierenden. Oder Studierende werden gefördert. Wenn ich gelegentlich noch als Juristin arbeite, geht es oft um Schulrecht. Häufig ist Kommunikation das Problem. Eltern mit Migrationshintergrund fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen in die Ecke gedrängt. Da kann ich manchmal eine Brücke schlagen zu dem Mentoringprogramm. Wenn die Schüler*innen am Mentoring teilnehmen, hilft das mittelbar auch den Eltern. Auch für eine gute Altersstruktur in unserem Verein ist das hilfreich: Junge Leute, die am Mentoring teilnehmen, müssen für die Dauer des Engagements keinen Beitrag bezahlen. Erst danach werden sie zahlendes Mitglied. Die Älteren sind ja meistens sowieso schon da.
Wie waren oder sind Ihre persönlichen Erfahrungen?
Ich selbst habe Diskriminierung nie erlebt, weder aufgrund meines Namens noch meines Aussehens. Meine Eltern sind in den 1960er-Jahren hergekommen, mein Vater war einfacher Arbeiter beim Daimler, meine Mutter Verkäuferin. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir vorgelebt haben, mit Konflikten immer ins Gespräch zu gehen und auf diese Weise Lösungen zu finden. Ich fühle mich in Stuttgart gut aufgehoben, ich liebe die Landschaft um Stuttgart herum. Als ich mich einmal beruflich nach NRW hätte verändern können, dachte ich mir: nein, da will ich nicht leben (lacht). Ich bin sehr heimatverbunden, rede Schwäbisch und bin froh, aus dem Schwabenländle zu kommen.
Das Interview führte Hanne Knickmann im Januar 2023
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