Jan Thorbecke Verlag Ostfildern 2022. 296 Seiten mit 200 großteils farbigen Abbildungen. Klappenbroschur 24,– €. ISBN 978-3-7995-1373-9
Stuttgart, ganz anders etwa als München, gilt im öffentlichen Bewusstsein nicht als eine Stadt, die mit einer Fülle von aussagekräftigen und erhaltenswerten Kulturdenkmalen gesegnet wäre. Das mag nicht zuletzt auch an dem jahrzehntelang nur mäßig wertschätzenden Umgang Stuttgarts mit Denkmalschutz und Denkmalpflege liegen, der eine Identifikation der Stuttgarter mit den historischen Gelände- und Architekturzeugen nicht gerade erleichtert. Claus Wolf, Präsident des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg, und Angelika Reiff, Mitarbeiterin der gleichen Institution, machen in der Einleitung zu dem jüngst erschienenen Buch von Christian Ottersbach Stuttgart. Kulturdenkmale vom Römerkastell bis zum Fernsehturm klar, dass das öffentliche Bewusstsein hier natürlich falsch liegt. Der historische Blick auf die Stuttgarter Kulturdenkmale quer durch die Jahrhunderte kann freilich aus Platzgründen nicht viel mehr sein als ein »namedropping« von Plätzen, Bauten und Künstlern, einschließlich Architekten, führt den Leser aber dennoch mitten ins Thema. Den eher neutralen Worten zu den Jahren des Wiederaufbaus nach 1945 muss man sich ja nicht unbedingt anschließen.
Es folgt ein 265 Seiten umfassender konziser und kenntnisreicher, freilich naturgemäß nicht alle Kulturdenkmale in der Stadt erfassender Überblick über die Denkmallandschaft Stuttgart. Die konsequente Systematik des Buches mag sich durch die berufliche Tätigkeit des Autors erklären. Christian Ottersbach ist Kunsthistoriker und ausgewiesener Spezialist für Architekturgeschichte und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter auf einer Projektstelle der Inventarisation am Landesamt für Denkmalpflege. Die Gliederung des Buches ist ungewöhnlich, doch sinnvoll und erleichtert das Verständnis. Sie folgt nicht chronologischen oder topografischen Vorgaben, sondern die Objekte sind gemäß ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung gruppiert. Die Reihenfolge der 16 Kapitel ist dabei an sich eher beliebig. Jedenfalls erscheinen zwischen den »Manifestationen der Macht«, Bauten der Herrschaft und Regierung, und ganz zum Schluss der »Stadtverschönerung«, in 14 weitere Kapitel aufgeteilt, als Denkmale eingetragene Gebäude und Anlagen: etwa für Verwaltung und Justiz, Militär und Krieg, Religion und Kult, Kultur und Bildung, für Gesundheit, Erholung und Freizeit und für die Landwirtschaft; schließlich Wohn- und Verkehrsbauten, Wirtschaftsbauten und Produktionsstätten.
Im Vordergrund rangieren nicht wie üblich die besonders hochkarätigen Kulturdenkmale, in Stuttgart ja teils durchaus von internationalem Rang. Der Fernsehturm etwa findet seinen Platz brav im Kapitel »Versorgung und Kommunikation« und steht dort erst ganz am Ende nach der Beschreibung eher unbekannter Anlagen wie den Kanälen des Nesenbachs, dem Gaskessel in Gaisburg und frühen Elektrizitätswerken, den Wildparkseen und den Heslacher Wasserfällen, dem Marktbrunnen beim Rathaus und dem Kosakenbrünnele beim Neuen Schloss, einem wilhelminischen Wasserturm in Degerloch, der Feuerwache in Feuerbach und dem Rundfunkgebäude im Park der Villa Berg. Im Zentrum der Stadt dominieren Kulturdenkmale des späten 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts. Solche des Mittelalters, der frühen Neuzeit und des Barock haben sich eher in den Stadtteilen erhalten. Allen gemeinsam ist der Status als Kulturdenkmal. Sie finden sich in knapp formulierten Darstellungen vorgestellt, die sowohl die Funktion wie ihre Geschichte nebst Angaben zu den planenden und ausführenden Technikern und Künstlern umfassen. Die Beschreibungen mögen freilich aufgrund der gerafften Formulierung und des Fachvokabulars hin und wieder für den durchschnittlichen Leser etwas sperrig erscheinen.
Christian Ottersbach geht es ganz augenscheinlich darum, gerade das Unbekannte, das Versteckte, oft auch das Überraschende zu erfassen, vorzustellen und zu würdigen. Wer würde bei der Justizvollzugsanstalt in Stammheim an ein Kulturdenkmal denken – oder bei der in der NS-Zeit erbauten Wolfsbuschschule in Weilimdorf? Wer vermutet in Stuttgart-Rohr einen Burgstall, wer kennt die architektonische Bedeutung der Universitätsmensa in Vaihingen, wer assoziiert schützenswertes Kulturgut beim unscheinbaren Gemeindebackhaus in Hofen oder – im Großen – bei dem faszinierenden Industriebau der ehemaligen Großbäckerei des Spar- und Konsumvereins in Stuttgart-Nord? Das ganze Buch ist eine Aufforderung, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen. Zugleich ist es ein Lehrbuch zum Thema »Was ist ein Kulturdenkmal?« Bedauern wird man freilich, dass dem Band keine Karte beigegeben ist, in dem die beschriebenen Orte markiert sind. Die thematische – und eben nicht topografische – Gliederung erleichtert das Aufsuchen der Kulturdenkmale nicht, deren Adresse zwar stets angegeben ist, die aber, sofern kein Foto beigeführt ist, vielleicht nicht immer gleich zu identifizieren sind; jedes Kulturdenkmal im Bild vorzustellen, war leider aus Platz- und grafischen Gründen unmöglich. Zu Rundgängen zu den Objekten animiert das Buch daher leider eher nicht. Das ist angesichts der mit sehr viel Mühe und sehr kenntnisreich zusammengetragenen Informationen schade. Die Qualität der Bebilderung ist vorbildlich, wobei sich gerade der Autor als exzellenter Fotograf erweist; im Anhang ein Objektregister und ein gutes und recht ausführliches Literaturverzeichnis.
Raimund Waibel
Views: 146