Belser Verlag Stuttgart 2012. 144 Seiten mit zahlreichen meist farbigen Abbildungen. Fester Einband € 29,90. ISBN 978-3-7630-2610-4
Die Publikationen zur frühen Geschichte Stuttgarts konnten bislang lediglich aus einigen wenigen schriftlichen Quellen schöpfen. Die daraus zu gewinnenden Kenntnisse hat Hansmartin Decker-Hauff, gestützt auf die damals neuesten Forschungen von Gerhard Wein, in seinem 1966 erschienenen großartigen Werk Geschichte der Stadt Stuttgart brillant zusammengefasst. Manches musste hypothetisch bleiben oder im Ungefähren. Die erstmalige schriftliche Nennung Stuttgarts datiert ins Jahr 1229 und findet sich in einer päpstlichen Urkunde für das Kloster Bebenhausen.
Auch die Archäologie, sonst einer der besten Helfer für die Frühgeschichte von Städten – man denke an Ulm –, brachte die Forschung lange nicht richtig weiter. Dies lag vor allem daran, dass im Zweiten Weltkrieg Stuttgart zu einem größten Teil zerstört worden war und das wenige, was an älterer Bausubstanz erhalten blieb, meist dem gründlichen Wiederaufbau und der damit Hand in Hand gehenden innerstädtischen Verdichtung zum Opfer fiel. Als unterirdisches Archiv erhalten blieben lediglich die Areale der historischen Großbauten der Innenstadt: das Alte Schloss und die Stiftskirche. Kleinere archäologische Untersuchungen, wie die notdürftige Fundbergung während der Baggerarbeiten für die Tiefgarage unter dem Schillerplatz 1972/73 sowie eine zeit- und flächenmäßig beschränkte Ausgrabung im Innenhof des Alten Schlosses, blieben Befundinseln in einer weitgehend unerforschten archäologischen Umgebung bar jeder Auswertung.
Hartmut Schäfer konnte, damals Leiter der Mittelalterarchäologie im Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, in den Jahren von 1998 bis 2005 erstmals großflächige und wissenschaftlich genaue Ausgrabungen sowie Bauuntersuchungen im Bereich Stiftskirche und Schloss vornehmen. Gestützt auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse und unter Auswertung der älteren Befunde aus den Notgrabungen kann er in diesem Buch die frühe Siedlungsgeschichte Stuttgarts genauer beschreiben, wobei es ihm gelingt, manch Altes zu korrigieren oder zu verifizieren und manch Neues plausibel zu machen. Allerdings sind den Ergebnissen auch neue Fragen entsprungen, die der Klärung warten müssen. So ergaben die archäologischen Untersuchungen in der Stiftskirche, dass diese im Bereich eines aus der Alamannenzeit stammenden Friedhofes errichtet worden war und einen oder gar mehrere Vorgängerbauten hatte, doch ließen sich die ersten Kirchenbauten weder datieren, noch konnte nachgewiesen werden, dass das Gelände zur Zeit des Kirchenbaus noch als Friedhof gedient hat.
Als sicher kann gelten, dass Stuttgart als Ort schon vor der Errichtung eines Stutengartens oder eines Gestüts als Siedlung existierte. Dies belegen nicht nur der bis ins 8. Jahrhundert zurückreichende Friedhof, sondern auch Funde unter der um 1150 errichteten Stuttgarter Burg, die zu einer dörflichen Siedlung gehören, die sich dort vom 8. Jahrhundert an bis zum Burgenbau befunden hat. Da der Bau einer Burg nur Sinn ergibt, wenn es ein Schutzgut gibt … müssen wir davon ausgehen, dass die dörfliche Siedlung in unmittelbarer Nähe verblieben sein muss. Zur Residenz ausgebaut wurde diese Burg um 1300, während der Regierungszeit des württembergischen Grafen Eberhard der Erlauchte († 1325), was sich aus der jahrgenauen Datierung eines Eichenstammes in der südlichen Ringmauer der sogenannten zweiten Burg ableiten lässt. Zuvor schon war die dörfliche Siedlung durch den damaligen Ortsherrn, den Markgrafen Hermann von Baden († 1243), zur Stadt entwickelt worden, die dann durch die Heirat von Herrmanns Tochter Mechthild mit dem Grafen Ulrich von Württemberg an diese Familie kam.
Das ausgezeichnet gestaltete Buch ist stellenweise von Detailfülle geprägt, im Großen und Ganzen aber spannend zu lesen, zumal es nicht nur Interessantes zur Stuttgarter Frühgeschichte birgt, sondern auch über die Möglichkeiten und die Aussagekraft moderner Archäologie. Schade, dass die Zusammenfassung der Ergebnisse etwas abrupt und fast rätselhaft endet: Aus der dörflichen Siedlung wird die württembergische Residenz, die sich im 16. Jahrhundert mit dem Bau des Schlosses auch architektonisch-bildlich auf die Höhe der Stadt bringt und sie mit der Höhe ihres neuen Schlosshofs und ihrem Baukörper überragt.
Sibylle Wrobbel
Views: 336