Architektur und Selbstdarstellung des reichsfreien Adels und geistlicher Herrschaften zwischen 1450 und 1950.
Jan Thorbecke Verlag Ostfildern 2022. 584 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Großformat, gebunden 79,– €. ISBN 978-3-7995-1567-2
Auf den ersten Blick könnte man den opulenten Band für eine weitere Darstellung von Residenzen der einstigen Landesherren in Baden-Württemberg halten, aber der etwas sperrige Untertitel macht es deutlich: Hier geht es um die Schlossbauten und Gartenanlagen des reichsfreien Adels und geistlicher Herrschaften. Diese standen zwar oftmals in Beziehung zur Herrschaftsarchitektur der Markgrafen von Baden, Herzöge von Württemberg oder Kurfürsten von der Pfalz, bildeten jedoch durch ihren oftmals eher abseitigen Standort und andersartigen wirtschaftlichen wie politischen Hintergrund eine eigene Bestandsgruppe, der bislang nur marginales Interesse zuteilwurde.
Die in der Reihe der »Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg« erschienene Publikation ist das Ergebnis eines 2014 vom Landesamt für Denkmalpflege initiierten Projekts, das sich anhand einer repräsentativen Auswahl zum Ziel setzte, die jeweils untersuchten Schlossanlagen »in ihrem funktionalen historischen Zusammenhang zu erschließen und vorhandene Parkflächen in ihrem Bestand zu dokumentieren«, wie es Ulrike Plate in ihrem Vorwort formuliert. Dabei kommt dem Begriff des »Schlossbezirks« eine besondere Bedeutung zu, der u.a. auch vorhandene oder abgegangene Neben- und Wirtschaftsgebäude, Zier- und Nutzgärten sowie sonstige Baulichkeiten umfasst, die zusammen mit dem in früheren Zeiten oftmals nur isoliert betrachteten Herrschaftssitz eine Einheit bilden.
Nach einer Einführung durch den Verfasser, selbst seines Zeichens Kunsthistoriker und in seiner Arbeit von der Landschaftsarchitektin Aline Meukow sowie den Kunsthistorikerinnen Eva Seemann und Claudia Mann unterstützt, widmet sich ein Beitrag des Historikers und Archivars Kurt Andermann den Auftraggebern der Schlossanlagen. Dabei handelte es sich um eine ausgesprochen heterogene Gemeinschaft, die ein reichsunmittelbares Lehensverhältnis zu Kaiser und Reich verband. Sie organisierten sich in drei jeweils in Schwaben, Franken und am Rhein verorteten Ritterkreisen, die wiederum nach dem Vorbild der Schweizer Eidgenossenschaft in Kantone gegliedert waren.
Im Anschluss geht Ottersbach zunächst der Frage einer Definition des Begriffes »Schloss« nach und erläutert dessen Charakteristika und Bestandteile. Daraufhin wird anhand von fortifikatorischen Elementen deren »Wehrhaftigkeit« untersucht, die auch noch lange nach dem Übergang von der Burg zum Schloss eine nicht zu unterschätzende, wenngleich mitunter eher sinnbildliche Bedeutung hatte. Diese steht zugleich im Zusammenhang mit dem durch die Architektur zum Ausdruck gebrachten Standesbewusstsein und Selbstverständnis des Adels, das vor allem in der Verwendung von Wappen, Inschriften und bildlichen Darstellungen Niederschlag fand.
Im Kapitel zu den »Entwicklungslinien des Schlossbaus in Südwestdeutschland« werden die Bauvorhaben in größere Zusammenhänge gestellt, um typologische Einflüsse und Parallelen aufzuzeigen. Die dabei erfolgenden räumlichen Bezugnahmen und Querverweise dürften indessen auch ortskundige Leser gelegentlich an ihre Grenzen bringen, zumal die chronologischen Übersichtskarten, auf denen in 16 (!) verschiedenen Farbtönen gehaltene Miniaturfähnchen die Neu- und Umbauten der jeweiligen Phase markieren sollen, nur summarische Aussagekraft besitzen. Dahingegen vermitteln die im Rahmen der Archivrecherche zu diesem Vorhaben vielfach zutage geförderten Grund- und Aufrisse sowie Planzeichnungen und historischen Darstellungen überaus anschauliche Eindrücke.
Weitere Kapitel widmen sich der Gestaltung von Schlossgärten sowie den »adeligen Lebenswelten« des Wohnens und Wirtschaftens. Die Anlagen werden dabei in ihren soziokulturellen wie -ökonomischen Kontext gestellt und lassen eine immense Vielfalt wie mitunter beachtliche Qualität der Ausstattung erkennen. Schließlich werden auch die zugehörigen Kapellen und Kirchen verglichen, denen als »Orte von Herrschaftspräsenz und Memoria« durch die Einrichtung von Oratorien und Grablegen eine besonders sinnfällige Bedeutung zukommt.
Viele der bis dahin erörterten Aspekte werden im anschließenden Katalogteil, der insgesamt 35 Anlagen behandelt, nochmals verdeutlicht. Jedes Objekt wird dabei in einem mit Quellen- und Literaturangaben versehenen Text sowie einer Auswahl fotografischer Außen- und Innenansichten, Grundrissen und einem eigens erstellten Lageplan der Gesamtanlage vorgestellt. Wenngleich man sich auch für Letzteren eine größere Wiedergabe gewünscht hätte, da das Studium der Legenden beinahe den Gebrauch einer Lupe erfordert, sind darin nochmals eine Vielzahl von Informationen erhalten, die die gesamte Bandbreite vom schlichten, hausartigen Anwesen in Ehrstädt bei Sinsheim über prachtvolle barocke Anlagen wie Ebnet und Munzingen bei Freiburg/Breisgau bis zum späthistoristischen Uhenfels bei Bad Urach vor Augen führen. Auch dem mit der Schlösserlandschaft Baden-Württembergs vertrauten Kenner eröffnet dieser Band viel Neues und Vertiefendes, zumal ein Großteil der behandelten Bauten nicht oder nur eingeschränkt öffentlich zugänglich ist.
Ulrich Feldhahn
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