Titel: Das zerstörte Neue Schloss in Stuttgart 1946. Foto: Robert Bothner, Landesmedienzentrum LMZ025128
Anmerkung:
Dieser Beitrag ist die gekürzte Version eines Vortrags auf der Tagung 100 Jahre Heimatschutz in Württemberg vom 13. bis 15. Februar 2009 in Hohenheim, der in voller Länge und mit Fußnoten, Nachweisen und Anmerkungen in einem in Bälde publizierten Tagungsband erscheint.
Am 25./26. Juli 1944 wurde die Geschäftsstelle des Bundes für Heimatschutz in Württemberg und Hohenzollern in Stuttgart, Breite Straße 7, bei einem Bombenangriff der Alliierten zerstört, und dabei wurden alle Unterlagen, Akten, Dateien, Protokolle, Mitgliederverzeichnisse vernichtet. Doch nach wie vor existierte der Verein. Er war nicht aufgelöst worden. Er hatte einen Leiter und einen Stellvertreter. Nur der Schirmherr, Reichsstatthalter Wilhelm Murr, war tot. Er hatte zusammen mit seiner Frau im Mai 1945 den Freitod gewählt.
Wie der sagenhafte Vogel Phönix sei der Bund für Heimatschutz aus der Asche des Kriegs als Schwäbischer Heimatbund wieder aufgestiegen zu neuem Leben, schreibt Felix Schuster im Schwäbischen Heimatbuch 1949. Wie dies vonstatten ging und wie dieses angeblich neue Leben aussah, soll im Folgenden in vier Abschnitten – Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit, Personen, Ziele, Umgang mit der NS-Vergangenheit – skizziert werden, wobei sich ein zeitlicher Bogen spannt vom Kriegsende bis zur Mitte der 1950er-Jahre.
Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit nach Kriegsende – 1949 als »Schwäbischer Heimatbund« neu gegründet
Die Initiative zur Neubelebung der Vereinstätigkeit lag nicht, wie normalerweise zu erwarten gewesen wäre, beim Vereinsleiter August Lämmle, sondern schon im Herbst 1945 bei einigen namentlich nicht bekannten, in Stuttgart ansässigen Vorstandsmitgliedern. Sie baten in treuer Anlehnung an die Satzung von 1939 Theodor Heuss, den Kultminister von Württemberg-Baden, um Übernahme der Schirmherrschaft des Bundes und die Einsetzung eines neuen Leiters. Doch Heuss lehnte ab.
Erfolgreicher war die Initiative von Peter Goeßler in Tübingen, der sich Ende 1945 an Felix Schuster, den stellvertretenden Vereinsleiter, wandte und ihm vorschlug, er solle wie einst wieder mit Konrad Graf von Degenfeld-Schonburg die Vereinsleitung übernehmen. Schuster reagierte darauf mit einem auf den 5. Dezember 1945 datierten, zweiseitigen eng beschriebenen Brief, den er in Durchschrift auch an Hans Schwenkel, altes Vorstandsmitglied, zukommen ließ. In ihm formulierte er Probleme eines Wiederbeginns.
Wie soll der seit bald 6 Jahren steuerlose und schließlich auf Strand geratene Bund für Heimatschutz heißen? Ist das Wort Heimatschutz noch tragbar oder ist es eher, mit Blick auf den Krieg, missverständlich? Wie muß man den Besatzungszonen Rechnung tragen? Wird es künftig zwei Vereine geben, einen im französisch besetzten Südwürttemberg und einen im amerikanischen Nordwürttemberg, die gemeinsam eine Geschäftsstelle in Stuttgart betreiben? Wie können die Aufgaben des Bundes unter Berücksichtigung der Zeitumstände neu formuliert werden? Wer übernimmt die Vereinsleitung?
In diesem Punkt greift Schuster Goeßlers Vorschlag auf und meint, Lämmle müsse zum Rücktritt und Degenfeld zur Reaktivierung bewegt werden. Er selbst sei bereit, wie früher als Stellvertreter die Arbeit zu übernehmen. Die restlichen Punkte betrafen die Genehmigung der Arbeit durch die Besatzungsmacht, die Mitgliederauffindung und die Gewinnung der Jugend, den Aufbau der Geschäftsstelle, die Jahresgabe – soll an Stelle des jährlich erscheinenden Heimatbuchs eine Mitgliederzeitschrift herausgegeben werden? –, das Veranstaltungswesen und die Beziehungen zu anderen Verbänden.
Die Kommunikation war anfänglich durch die Zonengrenzen erschwert. Dazu kam, dass Schuster, seit vielen Jahren neben Hans Schwenkel der eigentliche Kopf des Bundes, ausgebombt in der Nähe von Bad Brückenau in Hessen bei Verwandten lebte. Die Situation verbesserte sich, als Schuster Sommer 1946 nach Stuttgart-Degerloch umziehen konnte.
Nachdem er wieder an verschiedene alte Kontakte angeknüpft hatte, beraumte er zur allgemeinen Aussprache, Lageerörterung und weiteren Vorgehensweise auf den 13. Dezember 1946 eine Sitzung im Saal des Kultministeriums in Stuttgart an und lud dazu Vertreter aller mit dem Heimatschutz-Thema befassten öffentlichen Einrichtungen ein, darunter das Landesamt für Denkmalpflege, die neu errichtete Württembergische Landesstelle für Volkskunde, die Technische Hochschule Stuttgart und die Landesstelle für Naturschutz. Diskutiert wurden dort die von Schuster in seinem Brief vom Dezember 1945 angeschnittenen Fragen. Einig war man sich, dass der Verein nötig sei und wiederbelebt werden solle.
Weitere Beratungen folgten. Erreicht wurde als nächstes, dass Lämmle als Vereinsleiter zurücktrat und Graf Degenfeld durch das Stuttgarter Amtsgericht zum Notvorstand bestellt wurde. Nun war der Weg frei zur förmlichen Einberufung einer kleinen, eher improvisierten Mitgliederversammlung zum 29. November 1947, die im Büro des Notars Auwärter, alter Schatzmeister des Vereins, stattfand. Dabei wurde eine vorläufige vom Führerprinzip gereinigte Satzung – die allerdings den ungewöhnlichen Namen Vereinsleiter für den Vorsitzenden beibehielt – verabschiedet sowie ein neuer Vorstand mit Graf Degenfeld, Schuster als sein Stellvertreter und Hans Auwärter als Schatzmeister gewählt. Nun konnte man über die bis dahin eingefrorenen Konten verfügen, eine Schreibkraft einstellen, ein Büro aufbauen und an die Rekrutierung alter sowie neuer Mitglieder gehen.
Doch bevor der Verein seine Tätigkeit in vollem Umfang aufnehmen konnte, mussten noch zwei Probleme gelöst werden. Das eine war die Frage der künftigen Leitung, die Besetzung der mehrköpfigen Vorstandschaft. Graf Degenfeld wollte sein Amt so schnell wie möglich wieder loshaben und hatte sich nur pro Forma zur Verfügung gestellt. Andere ehemalige Vorstandsmitglieder harrten ihres Urteils im Rahmen der Entnazifizierung.
So kam Hans Schwenkel beispielsweise spätestens nach einem Aufsehen erregenden Spruchkammerverfahren als Vorstand nicht mehr in Frage. Der alte Bund für Heimatschutz bedurfte eines politisch unbelasteten Vorsitzenden. Nach längerem Suchen und Zureden fand man schließlich im Herbst 1948 einen geeigneten Kandidaten in Alfred Neuschler, der sich von nun an alle vierzehn Tage mit Schuster und Schwenkel in dessen Haus traf.
Als genauso schwierig wie das personelle erwies sich ein inhaltliches Problem, das von Helmut Dölker, seit 1946 Leiter der Württembergischen Landesstelle für Volkskunde, ausging. Dieser, ein Mann der ersten Stunde, an allen Gesprächen beteiligt und vielfältig als Vermittler zwischen Tübingen und Stuttgart tätig, da er von Amtswegen berechtigt war, die Grenzen der Besatzungszonen zu überschreiten, Dölker verkämpfte sich für eine Satzungsergänzung. Sein Anliegen war es, das Aufgabenfeld der Volkskunde, das schon seither neben dem Natur– und Denkmalschutz in der Satzung verankert war, zu verstärken und auszuweiten, wogegen sich Schuster aussprach.
Geregelt werden konnte das schließlich erst am 23. Dezember 1948 nach mehreren Sitzungen im kleinsten Kreis, einen Monat vor der ersten, wieder landesweit ausgeschriebenen Mitgliederversammlung. Schwenkel hat über Schuster hinweg, von Neuschler beauftragt, den Satzungszweck auf 46 Zeilen gegenüber zehn der alten Satzung neu formuliert und darin zu Dölkers Zufriedenheit der Volkskunde eine ausführliche Beschreibung eingeräumt.
Am 5. Februar 1949 kam es zur ersten regulären Mitgliederversammlung nach 1939. Die kleine Geschäftsstelle hatte inzwischen wieder rund 4.000 Mitglieder ausfindig machen können. Die Versammlung verlief planmäßig. Die Satzung wurde verabschiedet, Neuschler einstimmig zum neuen Vereinsleiter gewählt, die künftige Herausgabe einer alle zwei Monate erscheinenden Mitgliederzeitschrift Schwäbische Heimat gutgeheißen und eine Änderung des Vereinsnamens in Schwäbischer Heimatbund beschlossen.
Warum man diese, schon einmal am 6. Februar 1939 gewählte und nach wenigen Monaten im November wieder aufgegebene Namensform wählte, ist in den Quellen nicht eindeutig auszumachen. Dölker orakelt: Die Erweiterung der Tätigkeit durch die Aufnahme der Volkskunde als weiteres Fachgebiet in das Arbeitsfeld des Bundes erleichtert die Änderung des Namens. Und Neuschler verkündet im letzten noch von Schuster redigierten Heimatbuch: Überzeugt, daß heute in breiten Schichten der schwäbischen Bevölkerung ein aufgeschlossener Sinn für die in dem Wort Heimat beschlossenen Werte vorhanden ist, hat der Bund für Heimatschutz die Notwendigkeit erkannt, seine Wirksamkeit so zu verbreitern und zu vertiefen, daß sie ununterbrochen alle Teile des Landes durch örtliche Veranstaltungen und fortlaufende Veröffentlichungen erfaßt. Dem hat er durch die Annahme des umfassenderen Namens Schwäbischer Heimatbund Ausdruck gegeben.
Wie auch immer: Der Schwäbische Heimatbund war geboren, wieder geboren. Der 40. Jahrfeier am 22. Mai in Bad Cannstatt 1949 stand nichts mehr im Wege. Nachdem dann im September des Jahres mit Adolf Schahl ein neuer Geschäftsführer gefunden war, konnte der Verein seine Arbeit in vollem Umfang wieder aufnehmen.
Die handelnden Personen sind dieselben wie vorher – Vorsitzender Dr. Alfred Neuschler ein Neuling
Wirft man einen Blick auf die Wiederbelebungsvorgänge nach dem Krieg und auf die Arbeit des Vereins in den frühen 1950er-Jahren, kristallisiert sich neben dem neuen Vorsitzenden Neuschler und dem Geschäftsführer Schahl ein Kreis von etwa einem Dutzend besonders aktiver Personen heraus, die sich im Vorstand und in der Redaktion der Schwäbischen Heimat engagierten. Dazu zählen neben den schon Genannten Werner Fleischhauer (Landesmuseum), Hermann Gretsch (freier Designer), Otto Herding (Tübinger Landeshistoriker), Rudolf Lempp (Leiter der Stuttgarter Staatsbauschule), Ernst Müller (Tübinger Verleger), Oskar Rühle (Schriftleiter der Schwäbischen Heimat), Richard Schmidt (Landeskonservator, Vorstandsmitglied seit den 1930er-Jahren) und Albert Walzer (Landesmuseum).
Diese Personen waren alle auch schon zuvor in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Schaut man auf ihr Verhalten und auf ihre Verlautbarungen in der NS-Zeit, kann man allerdings deutliche Unterschiede feststellen. Da gab es die Wegbereiter wie Hans Schwenkel, Vorstandsmitglied seit den 1920er- Jahren, der schon vor 1933 rassistische Parolen verbreitet hat, die Weggenossen, die sich in der NSDAP engagierten wie Hermann Gretsch, der im Auftrag der Partei 1934 den Deutschen Werkbund übernommen hatte, die Nutznießer wie die beiden konservativen Architekten Felix Schuster und Rudolf Lempp, und die angepassten Mitläufer wie der Landeshistoriker Otto Herding und der Denkmalpfleger Richard Schmidt. Fast alle waren sie Träger des NS-Systems, mit ihm verstrickt oder zumindest arrangiert, auch wenn sie es nach 1945 nicht mehr wahrhaben wollten, es kaschierten und verdrängten und nach der Entnazifizierung bald wieder zu Ansehen, Achtung und vielfältigen Auszeichnungen gelangten.
Etwas anders lesen sich die Biographien von Dr. Ernst Müller und Dr. Helmut Dölker. Diese weisen für die NS-Zeit weniger Konformität, eher Ablehnung aus.
Ernst Müller (1900–1976), beim Heimatbund offizieller Herausgeber der Zeitschrift Schwäbische Heimat, verdiente nach einem Theologiestudium am Tübinger Stift als Journalist in wechselnden Stellungen sein Brot. 1934 wurde er auf Grund seiner politischen Haltung entlassen, anschließend schlug er sich als freier Schriftsteller durch. Doch zeigen sich auch bei ihm Verflechtungen zu den württembergischen Geistesgrößen der NS-Zeit. Sein bekanntestes, 1938 erschienenes Werk Stiftsköpfe. Schwäbische Ahnen des deutschen Geistes aus dem Tübinger Stift wurde von Theodor und Hermann Haering unterstützt, zudem publizierte er, allerdings unter Pseudonym, auch in der von August Lämmle geleiteten Zeitschrift Württemberg. 1945 erhielt er als Unbelasteter von der französischen Besatzungsmacht die Lizenz zur Herausgabe des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen.
Helmut Dölker (1904–1992), nach der Promotion 1928 über die Stuttgarter Flurnamen war er in den Schuldienst gegangen, lehrte am Gymnasium in Bad Cannstatt. Seit 1934 arbeitete er im Nebenamt unter August Lämmle in der Abteilung für Volkskunde beim Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart, wurde 1938, als es um Lämmles Nachfolge ging, abgelehnt, da er – zwar Mitglied im NS-Lehrerbund – kein Parteimitglied war und auch nicht werden wollte. Wohl auf Veranlassung Goeßlers wurde er von Theodor Heuss 1946 zum Leiter der Württembergischen Landesstelle für Volkskunde berufen.
Unbelastet war auch der neue Vorsitzende, der mit diesem Personenkreis aus den früheren Jahren nicht verbunden war und als einziger bislang im Verein keine Rolle gespielt hatte. Wann er Mitglied geworden ist, ist unbekannt. Auf der von 1927 erhaltenen Mitgliederliste ist er nicht zu finden. Alfred Neuschler, geboren 1874 in Stuttgart, hat nach einem Jurastudium und der Promotion zum Dr. jur. 1899 die Laufbahn eines Staatsbeamten eingeschlagen. 1909 wurde er Regierungsrat im Innenministerium, 1926 übernahm er die Leitung der Württembergischen Gebäudebrandanstalt und die Abteilung für das Hochbauwesen im Innenministerium. Unter anderem fiel er auf durch eine kritische, aber abgewogene Stellungnahme zur Weißenhofsiedlung. Er galt zwar nicht als Freund der Weimarer Republik, war aber ein Kritiker der Nazis. Er wurde, so schreibt sein Biograph Rudolf Kieß 1999, als ein unabhängiger Kopf, welcher der NSDAP persönlich und als Vorgesetzter keine Konzessionen machte, Ende August 1938 termingemäß und ohne Verabschiedung in den Ruhestand versetzt. 1946, nun 72 Jahre alt, wurde er reaktiviert und zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs in Südwürttemberg-Hohenzollern berufen. Sein Präsidentenamt übte er bis 1951 aus. Er war, 1949 zum Vorsitzenden des Schwäbischen Heimatbunds gewählt, von seinem Renommee, seiner Stellung und seinem Werdegang her sicher kein schlechte Wahl.
Ziele und Themen: Aufbau von Freudenstadt und Neuem Schloss, Tagungen und Studienwochenenden von Dr. Adolf Schahl
Die Ziele des wieder erwachten Heimatbundes wurden in der Satzung vom 5. Februar 1949 schriftlich fixiert. Ihre Formulierung stammte von Hans Schwenkel. Wie sie zu interpretieren waren, erläuterte dieser drei Monate später bei der Festansprache zur Feier des 40-jährigen Jubiläums am 22. Mai 1949.
Schwenkel zählt dabei alle Bereiche, in denen der Heimatbund tätig sein sollte, auf und erläutert sie. Insbesondere geht er ein auf Natur- und Landschaftsschutz, Bau- und Kunstdenkmalpflege, Wiederaufbau der Städte und Stadtplanung, die Pflege des Volkstums und der geistigen Kultur, die Vertiefung und Erbreiterung der Kenntnis über die Heimat. In vielen Einzelfällen wird man ihm dabei heute noch zustimmen können. Einige seiner Sätze aber reihen sich nahtlos der NS-Ideologie an und zeigen deutlich, welch Geistes Kind er noch immer war.
Schwenkel ordnet alle beschriebenen Bereiche einem Axiom, wie er es nennt, unter – einem Grundsatz also, der keines Beweises bedarf, und diesen formuliert er so: Was wir sind und an Eigenem besitzen und hervorbringen, war und ist an Landschaft und Volkstum gebunden. Dies führt er im Einzelnen dann trotz Axiom noch aus. Dabei findet er Sätze wie: Angesichts der religiösen Krise und weltanschaulichen Haltlosigkeit sind viele, besonders aber die heimatlosen, oft auch sittlich haltlos geworden. Die bodenständige Bevölkerung ist an den Eigentumsvergehen oder gar an den Verbrechen und Mordtaten unserer Zeit völlig unbeteiligt. Wenige Zeilen später meint er: Wir suchen nach den reinen Quellen unseres Volkstums. […] Die heiligen Feuer unseres Volkstums aber brennen noch immer auf dem Lande, im Bauerntum und in einer gesunden Arbeiterschaft.
Die Weltanschauung der NS-Zeit, rassenhygienische Vorstellungen blitzen hier ebenso hervor wie die Negierung von Massen-Mordtaten, die von bodenständigen schwäbischen Männern ausgegangen sind. Auch wenn solche Sätze im Zusammenhang ihrer Zeit zu lesen und zu verstehen sind, ist es notwendig, dass sich der Heimatbund heute von solchen Gedanken und Worten nachträglich distanziert.
Schaut man sich um, wie die Vereinsziele dann in der Praxis verfolgt wurden, so findet man zahlreiche konkrete und positiv zu wertende Aktivitäten, vor allem im Natur- und Denkmalschutz, gerade aber auch zum Umgang mit den Zerstörungen des Krieges. Vehement setzt sich der Heimatbund relativ erfolgreich für den umstrittenen Wiederaufbau von Freudenstadt ein, genauso für die Wiedererrichtung des Neuen Schlosses in Stuttgart. Hartnäckig engagiert man sich für die Erhaltung des Schlossplatzes und des Stuttgarter Kronprinzenpalais. Resolutionen und Bittschriften verfasst man zur Rettung der Wutachschlucht, gegen den Bau von Straßen durch Naturschutzgebiete oder für die Landschaftspflege entlang der Eisenbahnen, gegen die Verwendung von Eternit als Dachdeckung. Dazu kommen zahlreiche Einzelfälle im Land.
Befremdend ist allerdings, mit welcher Penetranz der Heimatbund in der Architektur die alte Anti- Weißenhoflinie vertritt, sich für eine schwäbischbäuerliche Bauweise einsetzt und den Bau von Steildächern dogmatisiert. Eisern hielt man an dem vor allem von Schuster seit 1927 propagierten Verdikt selbst in Kleinigkeiten fest.
Ein Dauerthema ist auch, noch immer, das wilde Plakatieren, sei es in der Landschaft, in den Dörfern oder Städten, an Kinos oder Kaufhäusern, entlang der Landstraßen und Bundesautobahnen.
Ein Sonderthema bilden, wie einst nach dem Ersten Weltkrieg, die Kriegerehrenmale. 1952 tritt der Heimatbund der in Bonn zentral errichteten Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal bei und richtet eine Beratungsstelle für Kriegerehrung ein, die Hans Schwenkel und Richard Schmidt leiteten.
Neu ist der am 27. Januar 1954 eingerichtete Arbeitskreis heimatvertriebener Volkskundler, der unter Leitung von Dr. Friedrich-Heinz Schmid- Ebhausen alle zwei Monate in Stuttgart zusammenkam. Er umfasste rund 40 Mitglieder, darunter acht einheimische Volkskundler.
Außerordentlich reiche und äußerst erfolgreiche Aktivitäten entwickelt der Verein im Veranstaltungsbereich. Der Geschäftsführer Adolf Schahl baut in kürzester Zeit ein qualitäts- und anspruchsvolles jährliches Programm von Tagungen und Studienwochenenden mit wechselnden Themen und landeskundlichen Exkursionen auf: für ein breites Publikum und mit ausgewiesenen Fachleuten.
Zur Information der Mitglieder und zum Kontakt diente auch die neu ins Leben gerufene Vereinszeitschrift Schwäbische Heimat, die in den ersten Jahren alle zwei Monate erschien. Ihr Inhalt gleicht einem bunten Strauß von Themen zur Landes-, Kunst-, Geistes- und Literaturgeschichte, zu Natur und Landschaft, zum Heimatschutz, zu Gedenktagen, gemischt mit Gedichten, Erzählungen, Buchbesprechungen und Vereinsnachrichten. Sie lesen sich ähnlich wie die Schwäbischen Heimatbücher, allerdings ohne raunende Vor- und Frühgeschichte, ohne Germanenkult, Runenkunde und Derartigem. Dennoch ein frischer Wind ist nicht zu spüren.
Die Redaktion nimmt keinen modernen Maler oder Schriftsteller wahr. Wie einst lässt man die Literaten Heuschele, Reyhing, Schussen, Lämmle zu Wort kommen, alles Heimatschriftsteller, die noch immer über die gute alte Zeit schreiben und die Gegenwart nicht sehen wollen. Und Emil Wezel, Sekretär des Dichterkreises und Herausgeber von Brot und Wein in den 1930er-Jahren, 1939 Geschäftsführer des Bundes für Heimatschutz, darf wieder die schwäbischen Schriftsteller besingen, wie einst, nur in der Wortwahl ein bisschen entnazifiziert.
Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit: Verschweigen und Schönreden
In den Sitzungen des Vorstands hat es in den ersten Jahren, zumindest nach Auskunft der Protokolle, keine Diskussion, Auseinandersetzung oder gar Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gegeben. Zwar hat man auf der ersten Vorstandssitzung am 14. Februar 1949 Georg Schmückle aus der Liste der Ehrenmitglieder gestrichen, – die Würde hatte man ihm zum 60. Geburtstag 1940 verliehen –, doch erfolgte dies nicht wegen seiner von 1933 bis 1945 ausgeübten Funktion als Gaukulturwart und als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer, sondern vielmehr weil man mit ihm seit der Einsetzung von Lämmle 1939 ein altes Hühnchen zu rupfen hatte, war er doch damals mit den NS-getreuen Heimatbundverantwortlichen unhöflich umgegangen.
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Vereinsgeschichte in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft fand im Untersuchungszeitraum nur einmal statt. Im 1950 erschienenen Schwäbischen Heimatbuch 1949 schreibt Felix Schuster über die vierzigjährige Vereinsgeschichte. Zwei der 42 Druckseiten überschreibt er mit Der Bund im Dritten Reich. Er beginnt seinen Beitrag mit den Sätzen: Im Dritten Reich war unser Bund für Heimatschutz unbehelligt. Er war offenbar ganz übersehen worden. Weder der Gauleiter, noch der Kultminister, von dem man es eigentlich hätte erwarten sollen, kümmerten sich um ihn. Sodann widerlegt er sich selbst und schildert zwei Eingriffe: Die Zwangseingliederung in den Reichsbund für Volkstum und Heimat 1933, aus dem man sich, wie alle anderen Heimatschutzbünde, durch Intervention des deutschen Bundes bald wieder lösen konnte.
Offensichtlich ist sich Schuster gar nicht bewusst, was er damit eigentlich ausdrückt. Wenn er sagt, dass es keinen Grund der Beanstandung gab, belegt er damit die Konformität und Angepasstheit des Bundes an die NS-Ideologie. Diese beiden Seiten, das ist alles, mehr gibt es als offizielle Verlautbarung zu diesem Thema nicht.
Allerdings zeugen zahlreiche Beiträge in der Schwäbischen Heimat von einem eher indirekten Umgang mit der Vergangenheit. Bei Nachrufen, bei Gratulationsartikeln zu runden Geburtstagen werden die kritischen Jahre allemal ausgespart. Man staunt, wie bald und wie oft wieder Verse, Erzählungen von August Lämmle, dem abgesetzten Leiter, aufzufinden sind. Zu seinem 75. Geburtstag sind ihm zwei große Artikel gewidmet, die seine NS-Vergangenheit und seine Rolle beim Bund für Heimatschutz verschweigen.
Wie elegant man die NS-Vergangenheit umgehen kann, selbst wenn es um Opfer der Nazis geht, dafür bietet der Nachruf von Werner Fleischhauer auf Prof. Dr. Julius Baum, der als progressiver Museumsmann und Jude zeitweilig von den Nazis im KZ gehalten und schließlich verjagt wurde, ein anschauliches Beispiel. Er schreibt: Die Jahre erzwungener, doch nur scheinbarer Untätigkeit im Schweizer Exil von 1939 bis 1946 erwiesen sich von der Rückschau aus gesehen besonders fruchtbar! […] Im Jahr 1946 berief der damalige württembergische Kultusminister Theodor Heuss Baum, mit dem er von der Studentenzeit in naher Verbindung gestanden war, zum Direktor des württ. Landesmuseums. Der nun 64jährige kam mit Freude in die alte Heimat, mit gütigem Verzeihen, ohne jedes Ressentiment, so wie er sich auch immer als Flüchtling in der Schweiz als treuer Deutscher bekannt hat.
Ähnlich unbeholfen und schweigsam ist ein Artikel von 1955 über Die regionalen Veränderungen in der Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung Württembergs. Unter der Zwischenüberschrift: Die jüdische Religionsgemeinschaft heißt es: Die Zahl der Juden ist schon seit der Jahrhundertwende immer kleiner geworden, so dass 1933 nur etwa 10 300 Glaubensjuden gezählt wurden. Von da ab sind durch die bekannten politischen Umstände die jüdischen Glaubensgemeinden bis 1939 auf weniger als die Hälfte ihres Mitgliederstandes von 1925, auf rund 4 700 zusammengeschrumpft. Diese weiterhin anhaltende Entwicklung führte bis zum Kriegsende zu ihrer restlosen Auflösung, so daß 1945 von den ehemals hier landsässigen Einwohnern jüdischen Glaubens, von ganz geringen Ausnahmen abgesehen, niemand mehr vorhanden war. Kein Wort vom staatlichen Mord an den Juden, vom Holocaust: Die Juden sind, könnte man meinen, halt einfach so zusammengeschrumpft.
Unverständlich ist, warum man in der Schwäbischen Heimat Gedichte von Gerhard Schumann (1911–1995) publizierte und einige seiner Bücher positiv besprochen hat. Schumann war ein bekannter Mann, 1930 mit Beginn des Studiums 19-jährig der NSDAP beigetreten, 1933 22-jährig Bezirksführer des NS-Studentenbundes, Führer der studentischen SA Württembergs im Rang eines Standartenführers und als Kommissar der württembergischen Studentenschaft führend an der Gleichschaltung der Universität Tübingen beteiligt. Als Dichter, zumal als Lyriker wurde er in der Nazizeit hoch dekoriert, insbesondere während des Kriegs wurde seine Kriegs- und Reichslyrik in enormen Stückzahlen aufgelegt. Das Ende der Diktatur erlebte er als SS- Obersturmführer. Nach einer Zwangspause wurde er in den 1950er-Jahren zu einem Sprachrohr der rechten Szene.
Zusammenfassung
Mit Ausnahme von Neuschler, dem neuen Vorsitzenden, sind die führenden Köpfe des Schwäbischen Heimatbundes beim Wiederbeginn nach dem Ende der NS-Herrschaft dieselben wie zuvor. Den Kern der handelnden Personen bildete die alte Garde, nur wenig angereichert von neuen Köpfen. Treibende Kräfte sind vor allem Schuster und Schwenkel. Letzterer tritt immer stärker hervor, er formuliert die Satzung und hält bei der 40-Jahrfeier 1949 die programmatische Ansprache.
Deutlich wird auch, dass die Ziele und die Aufgaben des Vereins dieselben sind wie zuvor. Sie erfahren durch die Initiative von Helmut Dölker zwar eine Verstärkung im Bereich der Volkskunde, doch hat er dies in einem eher konservativen Charakter vertreten, retrospektiv, auf das Bewahren, Erhalten und Erforschen von zurückliegenden Sitten, Bräuchen, Gewohnheiten, Eigentümlichkeit ausgerichtet und ohne jegliche Gegenwartsrelevanz.
Auch die Aktivitäten und Verlautbarungen des Vereins kreisen um die alten Themen: Die Architekten wettern gegen die Neuerer, Banausen und Modernisten, der Weißenhof gilt weiterhin als Flachdach Araberdorf. Unermüdlich ist der Kampf gegen das Reklameunwesen, das Ringen um gute Kriegerdenkmale und um eine bessere Friedhofsgestaltung.
Obwohl man stets betonte, gegenüber Neuem aufgeschlossen zu sein, bewahrte man einen konservativen schwäbischen Patriotismus. Verbessert haben sich die Instrumentarien durch ein vielfältiges Veranstaltungswesen und durch die Zeitschrift Schwäbische Heimat. was dem Verein auch viele neue Mitglieder zuführte. Eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, gar eine Aufarbeitung, unterblieb. Der Schwäbische Heimatbund verhielt sich dabei allerdings nicht anders als die Mehrheit der Gesellschaft in der Adenauer-Ära.
Fazit: Die Mitgliederversammlung von 1949 bedeutet, trotz der Namensänderung vom Bund für Heimatschutz zum Schwäbischen Heimatbund keine Neugründung und keinen wirklichen neuen Beginn, sondern eher die Fortsetzung alter Tätigkeit.
Ein radikaler Bruch, personell und inhaltlich, geschah erst mit dem Vorstandswechsel zu Willi K. Birn 1969 und einer großen von Willy Leygraf angestoßenen Heimatdebatte 1970/71.
(Wilfried Setzler, aus der Schwäbischen Heimat, Heft 2, 2009)
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