Titelbild eines Buches

Schwaben und die Welt. Globalgeschichte(n) einer Region

Christina Brauner und Tjark Wegner (Hrsg.). Reihe Landeskundig Bd. 8. Thorbecke Verlag, Ostfildern 2024. 292 Seiten, zahlr. Abb., Hardcover 29 €. ISBN 978-3-7995-2086-7

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Der vorliegende Aufsatzband ist aus einer Ringvorlesung an der Universität Tübingen im Wintersemester 2022/23 zum Thema »Schwaben und die Welt« hervorgegangen. Folgt man den Herausgebern, dann handelt es sich bei der postulierten Globalgeschichte um ein junges Forschungsfeld, zu dem im vorliegenden Band »erste Befunde und methodische Überlegungen« zusammengetragen werden. Was mit Globalgeschichte(n) einer Region gemeint ist und wie man Globalgeschichte schreibt, führen Christina Brauner und Tjark Wegner im Rahmen ihrer Einführung in die Thematik näher aus.

Sie illustrieren die »Globalgeschichte der Region als Beziehungsgeschichte« zunächst an vier Fallbeispielen, um dann – wenig überraschend – festzustellen, dass es »reichlich Material für Globalgeschichten Schwabens« (S. 34) gibt. Um Ausprägungen und Konsequenzen globaler Phänomene aufzuspüren, empfehlen sie drei Instrumente bzw. Strategien: Erstens: Menschen folgen. Zweitens: Dingen folgen. Drittens: Globale Ereignisse untersuchen.

Die folgenden zehn Aufsätze sind den sehr verschiedenen Beziehungen zwischen Schwaben und der Welt gewidmet, wobei der Schauplatz und damit der Fokus der Betrachtung mal in Schwaben, mal in der Ferne liegt. Bei den Themen handelt es sich um sehr unterschiedliche Beispiele von Globalgeschichten. Insofern haben die Herausgeber mit dem eingeklammerten »n« die richtige Lesart gewählt.

Während Hartmut Blum der Frage nach der religiösen und kulturellen Diversität im römischen Südwestdeutschland nachgeht (»in kultureller Hinsicht kann von Diversität keine Rede sein«, S. 62), spürt Ellen Widder den Abbildungen schwarzer Könige in mittelalterlichen Kirchen Schwabens nach und beschreibt als herausragendes Beispiel (»ein Spitzenzeugnis der Kunst um 1500«) den Hochaltar der Klosterkirche Blaubeuren. Dabei kommt sie (wahrscheinlich zur Enttäuschung manch eines Eiferers) zu dem Ergebnis, dass hier »die Darstellung des Schwarzen Königs Caspar eindeutig nicht rassistisch« war (S. 92). Im nächsten Aufsatz folgt Folker Reichert den Spuren des Ulmer Predigers, Stadthistorikers und Reisenden Felix Fabri, der zweimal ins Heilige Land (Jerusalem, Sinai) pilgerte und darüber den »umfangreichsten, detailliertesten und ausführlichsten Reisebericht, den wir aus dem Mittelalter besitzen« (S. 98), verfasste.

Richtung Batavia und der Vereinigten Ostindischen Kompanie, die in der Frühen Neuzeit ein global agierender Arbeitgeber war und in deren Diensten auch Schwaben standen, orientiert sich der Blick von Philip Hahn. Einer dieser Arbeitsmigranten war der Beutelsbacher Küfer Georg Leonhard Schwartz, dem wir im Druck erschienene autobiografische Aufzeichnungen verdanken; diese schildern u. a., wie er selbst in Batavia zum Sklavenhalter und Gewalttäter werden konnte. Dass es Sklaven auch im Heiligen Römischen Reich gab, ergibt sich aus dem Aufsatz von Renate Dürr, die sich mit Taufen im Zusammenhang von Kriegswirtschaft und Versklavung in Württemberg beschäftigt; als Quelle dienen ihr gedruckte Taufpredigten, von denen sich leider nur wenige erhalten haben. Dass die außereuropäische Mission ein wichtiges Thema für die Globalgeschichte ist, liegt auf der Hand. Ulrike Gleixner widmet sich zwei lutherisch-pietistischen Missionsnetzwerken, die in Südindien wirkten und zahlreiche Gegenstände in die schwäbische Heimat exportieren, von denen manche in den hiesigen Gedächtnisinstitutionen erhalten geblieben sind.

Dass sich der Kolonialismus auch in der Wissenschaft niedergeschlagen hat, zeigt Carsten Gräbel am Beispiel der »schwäbischen Landesuniversität« Tübingen, an der der Kolonialismus erstmals im Wintersemester 1889/90 zum Vorlesungsstoff geworden ist. Thema von Forschung und Lehre blieb er auch dann noch, als das Deutsche Reich seine Kolonien längst wieder verloren hatte. Insbesondere von der Religion bestimmt wurden die Beziehungen Württembergs zu Palästina; den technologischen und kulturellen Verflechtungen mit dem Heiligen Land widmet Sabine Holtz ihr Augenmerk. Mit den historisch-archäologischen Perspektiven auf die von den Nationalsozialisten verordnete Zwangsarbeit in südwestdeutschen Lagern wird schließlich das 20. Jahrhundert erreicht; Lukas Werther und Attila Dézsi liefern mit ihren Fallstudien u.a. zur Lagerlandschaft des Neckarlagers einen Beitrag zu der noch jungen Disziplin der Archäologie der Zeitgeschichte. Der Beitrag von Bettina Severin-Barboutie führt die Leser abschließend in die Gegenwart; sie analysiert den Anspruch Stuttgarts, Partner der Welt zu sein, der – so formulierte es die Fremdenverkehrswerbung der 1970er-Jahre – in beide Richtungen gilt: In-Stuttgart-zu-Gast-Sein und Aus-Stuttgart-in-die-Welt-Gehen. Schwerpunkt ihres Aufsatzes ist die Arbeitsmigration. Abschließend problematisiert Thomas Thiemeyer ein weiteres Mal den Begriff Heimat, wobei Werbung und Marketing auch für sein Thema reichlich Anschauungsmaterial liefern.

Dem Rezensenten stellt sich abschließend die Frage, ob es sich hier wirklich um einen neuen Ansatz handelt. Gab es nicht immer schon eine Fülle an Literatur von und über Auswanderer, Entdecker, Forschungsreisende, Missionare, Diplomaten, Kriegsteilnehmer usw.? Und umgekehrt: Ist das Schicksal von nach (Südwest-)Deutschland eingewanderten oder auch verschleppten Menschen aus nichteuropäischen Ländern nicht auch schon früher thematisiert worden – man denke hier nur an die Veröffentlichungen von Monika Firla, die sich wiederholt mit den Afrikanern in Württemberg befasst hat? Oder anders gefragt: Machen viele einzelne Globalgeschichten bzw. Fallbeispiele für Verflechtungen und Beziehungen zwischen einem deutschen und irgendeinem außereuropäischen Raum schon eine Globalgeschichte?

Ludger Syré

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