Reichert Verlag, Wiesbaden 2023. 413 Seiten mit 286 Abb. Hardcover 24,95 €. ISBN 978-3-7520-0729-9

Mit dem Band Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg legen Barbara Scholkmann und Fabian Brenker ein umfassendes, reich bebildertes Werk vor, das nicht nur den aktuellen Forschungsstand der reichen archäologischen Geschichte dieser Region zusammenfasst, sondern auch die Entwicklung der Disziplin im Südwesten Deutschlands nachzeichnet. Den Autoren gelingt es, die komplexen Zusammenhänge zwischen materieller Kultur und gesellschaftlichen Entwicklungen im Mittelalter – sowohl für Fachleute als auch für historisch interessierte Laien – anschaulich darzustellen.
Barbara Scholkmann zählt zu den Pionierinnen der Mittelalterarchäologie in Deutschland. Nach ihrer Promotion in Würzburg war sie viele Jahre am Landesdenkmalamt Baden-Württemberg tätig. Ab 1994 hatte sie eine Professur für Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen inne, wo sie das Fach nachhaltig prägte. Sie war maßgeblich an der Institutionalisierung der Mittelalterarchäologie beteiligt. Fabian Brenker war u. a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Denkmalpflege tätig. Er bringt in das Werk neue Perspektiven und aktuelle Forschungsergebnisse ein, insbesondere im Bereich der Stadtarchäologie und materiellen Kultur. Das Buch gliedert sich in thematisch und chronologisch strukturierte Kapitel, die von der frühmittelalterlichen Siedlungsarchäologie über Sakralarchäologie und Alltagskultur bis hin zur Burgenforschung reichen. Der interdisziplinäre Ansatz verknüpft historische und archäologische Perspektiven miteinander. Scholkmann beginnt mit einer Einführung in die Grundlagen der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg und erläutert die Methoden, die zur Erforschung dieser Zeit eingesetzt werden, zeigt aber auch Problematiken der archäologischen Mittelalterforschung auf. Besonders hervorzuheben ist die Darstellung der Forschungsgeschichte, die zeigt, wie sich die Mittelalterarchäologie in Baden-Württemberg seit den 1960er-Jahren als eigenständige Disziplin etabliert hat. Die Autoren beschreiben in den Einzelkapiteln zu ländlichen Siedlungen, frühen Zentralorten (Pfalzen, Königshöfe) und Stadtgründungen, dem Leben und Sterben in Gott (Kirchen, Klöster, Friedhöfe, Jüdische Kulturzeugnisse), Burgenforschung sowie Arbeitswelten (Bergbau, Handwerk und Gewerbe, Handel und Verkehr) anschaulich, wie die materielle Kultur, Bauwerke und Bestattungsriten Aufschluss über das Leben der Menschen im Mittelalter geben können. Die Einbindung von naturwissenschaftlichen Analysen wie Archäobotanik und Archäozoologie schärfen das Bild von einem mittelalterlichen Alltag. Die Fallstudien zu bedeutenden Ausgrabungen in Baden-Württemberg bieten einen lebendigen Einblick in die materielle Kultur dieser Zeit und dieser Region. Ein Vergleich mit benachbarten Regionen wie Bayern, dem Elsass oder der Schweiz hätte die Einordnung der regionalen Entwicklungen in einen größeren mitteleuropäischen Kontext allerdings an verschiedenen Stellen erleichtert.
Die Autorinnen und Autoren präsentieren eine Vielzahl archäologischer Befunde – von Pfalzen und Königshöfen über Klöster und Friedhöfe bis hin zu Werkstätten, Handelsplätzen und jüdischen Siedlungsresten. Dabei stellen diese die oft fragmentarischen Quellen in einen größeren historischen Zusammenhang. Die thematische Vielfalt lässt teilweise tiefergehende Analysen einzelner Fundkomplexe oder Grabungen vermissen. Zahlreiche Fotos, Pläne und Rekonstruktionszeichnungen machen das Buch auch visuell zu einem Gewinn. Überblickskarten mit den im Text besprochenen Ausgrabungsstätten zu Beginn der einzelnen Kapitel erleichtern die Verortung der zahlreichen Fundplätze in Baden-Württemberg.
Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg ist ein Standardwerk, das durch seine fachliche Qualität, klare Struktur und anschauliche Darstellung überzeugt. Es bietet einen tiefen Einblick in die mittelalterliche Lebenswelt im Südwesten Deutschlands und zeigt eindrucksvoll, wie vielschichtig und lebendig die Archäologie des Mittelalters heute betrieben wird. Dabei bietet es nicht nur eine Bilanz der bisherigen Grabungsergebnisse, sondern auch eine kritische Reflexion über methodische Entwicklungen und offene Forschungsfragen. Eine klare Empfehlung für alle, die sich für Geschichte, Archäologie und die kulturelle Entwicklung Baden-Württembergs interessieren.
Romy Heyner
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