Hrsg. v. Anton Hegele, Wolfgang Rapp, Karl-Heinz Rueß und Dominik Gerd Sieber (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen, Bd. 63). Göppingen 2024. 377 Seiten mit zahlr. Abb. Hardcover 30 €. ISBN 978-3-933844-73-8

Die Darstellung der jüngeren Vergangenheit auf lokaler Ebene stellt eine ebenso reizvolle wie anspruchsvolle Aufgabe dar. Die zeitliche Nähe bedeutet einerseits die Chance, das Geschehen durch persönliche Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen darzustellen und anschaulich zu machen. Angesichts der ungeheuren Themen- und Materialfülle muss andererseits eine kluge Auswahl an den zu behandelnden Themen getroffen und die Darstellung strukturiert und werden.
Das Stadtarchiv Göppingen hat nun die Epoche der Nachkriegsjahrzehnte zwischen 1955 und 1980 in einem umfangreichen, reich bebilderten Band dargestellt, eine Fortsetzung des 1999 erschienen Bands über die Jahre 1944–1955. Diese 25 Jahre gelten in Göppingen als »Formationsphase für die nachfolgende und damit unsere Zeit«, dies zeigte sich in den grundlegenden Veränderungen des Stadtbilds der Altstadt, als ganze historische Stadtviertel im Zuge von »Sanierungsmaßnahmen « völlig neugestaltet wurden. Gleichzeitig entstanden ganz neue Siedlungen außerhalb der Kernstadt. Jene Jahre sind aber auch durch den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur, zahlreiche neue Schulbauten und vieles mehr gekennzeichnet. Der Großteil dieser 25 Jahre entspricht der 1954– 1981 währenden Amtszeit von Oberbürgermeister Dr. Herbert König.
Karl-Heinz Rueß, der ehemalige langjährige Archiv- und Museumsleiter, liefert eine rund 100 Seiten starke umfassende Darstellung dieser Epoche mit einer Darstellung von Kommunalpolitik, städtebaulicher und wirtschaftlicher Entwicklung.
Die Anfänge dieses Buchprojekts gehen zurück auf ein 2006 begonnenes Geschichtsprojekt der Göppinger Volkshochschule, geleitet vom damaligen Volkshochschulleiter Wolfgang Rapp gemeinsam mit Karl- Heinz Rueß und dem Leiter des Naturkundemuseums Anton Hegele. Die damaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer trugen mit eigenen Beiträgen in vielfältiger Weise zu diesem Buch bei, befragten Zeitzeugen und gaben Impulse für die verschiedensten Themen, so dass sich ein breites Spektrum bot. Dazu zählten Beiträge zur Kommunalpolitik, die bemerkenswerten Biografien der ersten vier Gemeinderätinnen, die 68er-Jahre in der Kleinstadt, aber auch die Erinnerungen von einstigen Bürgermeistern und Gemeinderäten sowie – eher ungewohnt für eine Stadtgeschichte – die Vorstellung der Bundes- und Landtagsabgeordneten des Wahlkreises Göppingen, darunter Verteidigungsminister Manfred Wörner oder Innenminister Frieder Birzele.
Das kulturelle und gesellschaftliche Leben zeigt sich an Themen wie der Geschichte des Göppinger Weltladens, der Friedensbewegung, der Entstehung des »Hauses der Familie«, aber auch Entwicklungen in der Landwirtschaft einschließlich der Bio-Landwirtschaft. Ein besonderes Gewicht hat dabei die seit 1947 bestehende »Dram.AG«, eine über Jahrzehnte bestehende anspruchsvolle Theater-AG am Hohenstaufen-Gymnasium bzw. dem Mörike Gymnasium.
Nicht zu vergessen auch die Integration der Heimatvertriebenen, die 1955 geschlossene Patenschaft Göppingens mit dem in Mähren gelegenen Gebiet Schönhengstau, aus dem zahlreiche in Göppingen lebende Vertriebene stammten.
Dennoch sollte ein insgesamt abgerundetes Bild der Stadtgeschichte entstehen. Um dies zu erreichen, lieferten die vier Archiv- und Museums-Mitarbeitenden (Anton Hegele, Melanie Köhler-Pfaffendorf, Martin Mundorf und Karl-Heinz Ruess) zu jedem der dargestellten Jahre von 1955 bis 1980 einen oder mehrere kürzere Aufsätze.
Das umfangreiche Themenspektrum umfasst den Bahnhofs-Neubau, Stadion- oder Schulbauten, den Bau der Bundesstraße B 10, des Allianz-Hochhauses, der Hohenstaufen-Halle und der Klinik am Eichert, aber auch Fils-Hochwasser, den Kampf gegen die atomare Bewaffnung 1959, das Landesturnfest, die Göppinger Theatertage, die Anwesenheit eines Göppinger Bürgers beim Auschwitz-Prozess, den geplanten Schlepplift am Hohenstaufen, die Jugendmusikschule, das »Staufer-Jahr« 1977, eine Bürgerinitiative zur Rettung des Stauferwalds und vieles mehr.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Herausgeber gewichten mussten, natürlich sind manche Themen ausführlicher, andere weniger breit dargestellt. Diese Gewichtung ist immer subjektiv, insgesamt stellt dieser Band jedoch eine ebenso vielfältige wie solide Darstellung Göppingens in jenen 25 Jahren dar.
Nikolaus Back
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