(von Dr. Hilde Nittinger)
Bäume haben eine starke Wirkung auf das Landschaftsbild, sie geben einem Landschaftsraum eine Struktur und ein unverwechselbares Gesicht. Als Einzelobjekte prägen stattliche Bäume mit mächtigen Kronen viele gewordenen Kulturlandschaften in Baden-Württemberg. Bäume sind ein Kulturgut. Während ihre ökologischen Funktionen heute allgemein bekannt sind, scheint es, dass ihre ästhetischen und raumbildenden Wirkungen auf das Landschaftsbild vergessen worden sind und zu leichtfertig hat man Bäume allein den Ökologen überlassen.
In unserer Kultur haben Bäume darüber hinaus überlieferte Werte und Bedeutungen. Von jeher sind Bäume für uns Symbole des Lebens, der Geborgenheit und des Schutzes. Das gilt auch für viele andere Religionen. Wir kennen den Weltenbaum, den Lebensbaum und den Baum der Erkenntnis. Inmitten einer bedrohten Umwelt und Kultur sind uns heute Bäume vor allem Ausdruck des Beharrens und der Hoffnung. In vergangenen Zeiten waren Bäume Orte des Erinnerns, der Liebe und Freude, der schützenden Mächte, des Rechts und des Friedens. Noch kennen wir, wenigstens sprachlich, den Maibaum, den Richtbaum, den Tanzbaum, die Dorflinde, den Hofbaum, den Christbaum und den Stammbaum.
Einzelbäume dienten oftmals als Wegzeichen und stehen bevorzugt an Weggabelungen, wo sie noch immer prominente Landmarken sind. Sie waren Rechts- oder Territorialgrenze oder markierten einen Gerichtsplatz. Viele dieser Flurbäume sind in den letzten Jahren sang- und klanglos verschwunden. Es ist vorrangig die Technisierung der Landwirtschaft, die uns diesen Verlust eingebracht hat, denn die Agrarindustrie arbeitet heute großflächig und volltechnisiert. Bäume in der Feldflur werden von der Landwirtschaft heute als unnötig und störend empfunden. Durch die radikalen Landschaftsveränderungen der letzten Jahrzehnte sind viele Bäume abhanden gekommen oder abgängige nicht mehr ersetzt worden. Es scheint, dass wir nur noch rechtwinkliges eingeebnetes Kolchosenland brauchen – ohne Schönheit und ohne Tradition! Ist uns der Energiepflanzenanbau den Verlust an landschaftlicher Schönheit, gutem Geschmack und kulturellem Niveau wert? Bäume erfüllen unser Bedürfnis nach Schönheit im Landschaftsbild und das Verschwinden von Flur- oder Feldbäumen ist ein ästhetischer Verlust. Es ist aber auch ein kultureller Verlust, denn alte Bäume sind das dingliche Gedächtnis an vergangene Ereignisse. Und 300-jährige Linden und Eichen sind eben nicht nur Naturschönheiten, sondern auch Kulturdenkmale. Die Kleindenkmale aus Stein, ob Grenzstein oder Sühnekreuz halten wir als Zeugnissen der Vergangenheit im allgemeinen doch auch für erhaltens- und schützenswert. Warum schenken wir lebenden Bäumen nicht mehr Beachtung? Auch Bäume schaffen regionale Identität.
Bäume sind Denkmale
Selbstverständlich sind die wenigen alten Bäume als Naturdenkmale geschützt. In den Rechtsverordnungen vor dem Jahr 1970 übrigens fast immer als so genannte Einzelschöpfungen der Natur oder wegen ihrer Seltenheit, Eigenart, kulturellen Bedeutung und landschaftstypischen Kennzeichnung und keineswegs ihrer ökologischen Bedeutung wegen. Auch solche Bäume verschwinden meist unbemerkt und das Naturdenkmal wird bei Revision der Verordnung gelöscht, was ihren Bedeutungsverlust wohl eindrücklichst dokumentiert. Oftmals sind die geschützten Bäume nur geduldet und bis an zum Stammfuß beackert, denn beim Maisanbau scheint jeder Quadratzentimeter Ackerland zu zählen! Und ist das lange Baumleben dann doch einmal zu Ende, so folgt selten ein Ersatz oder eine Nachpflanzung! Dabei fallen bei den Flurneuordnungsmaßnahmen doch stets so genannte Ausgleichsflächen an, die sich für die Pflanzung einer Linde oder Eiche anbieten würden, doch in der maschinengerecht geordneten Ackerflur werden solche Flächen eher als Ackerland verpachtet, denn mit Bäumen bepflanzt – in Verkehrung ihres eigentlichen Zweckes. Dabei träumten wir davon, der Natur den Zehnten zu belassen…
Manche vermeintlichen Einzelbäume, welche die Landschaft so stark beherrschen, entpuppen sich beim Näherkommen als Baumpaare, die, eng stehend eine gemeinsame Krone ausbilden, ein Effekt, der uns bei Paarpflanzungen an Feldkreuzen begegnet. Die sakralen Kleindenkmale, die Bildstöcke, Flurkreuze und Feldkapellen, in den traditionell katholischen Landesteilen werden fast immer von Bäumen beschützt. Heute, wo ihre religiöse Bedeutung schrumpft, hat sich die Schutzfunktion offensichtlich umgekehrt und die Bildstockheiligen sind zum Beschützer ihrer Bäume geworden! Und daher gibt es in den katholischen Landschaften noch die schönen Flurbäume, weil sie ein Feldkreuz einrahmen, und die Zeichen des Glaubens sind zu Symbolen der Erinnerung an ein entschwindendes Landschaftsbild geworden.
In ganz besonderem Maße gliedern Alleen eine Landschaft
Die Anpflanzung von Bäumen wurde neben rechtlichen weitgehend von wirtschaftlichen Gründen bestimmt, wenn auch ästhetische Gesichtspunkte nicht außer acht gelassen wurden. Baumreihen und Alleen an den Landstraßen und Wegen waren unentbehrlich vor allem für Reiterheere und Fußtruppen. Unter Weidbäumen fand das Weidevieh Schutz, das Jungvieh in den hausnahen Baumgärten. Unter Eichen fanden die Schweine neben Schatten auch Nahrung. Auch das Ackerland war reichlich mit Bäumen ausgestattet, denn Bäume waren für Mensch und Zugvieh als Schattenspender für die Feldarbeit unverzichtbar. Die Bäume lieferten Nahrung und Holz. Gepflanzte Bäume sind geradezu das Merkmal der Kulturlandschaft. Wo gesiedelt wurde, gab es Bäume. Der Bauernhof war stets von Bäumen umgeben, die vor Wind und Wetter schützten. Segenreiche Wirkungen und schützende Kräfte vor Blitzschlag und Unwetter wurden in besonderem Maße dem Haus- oder Hofbaum zugeschrieben. Landschaftlich betrachtet haben die großen Hofbäume und die Bäume um die Wirtschaftsgebäude einstmals das Gehöft oder den Weiler in die Landschaft harmonisch eingebunden. Auch die Aussiedlungen der 60er Jahre wurden noch eingegrünt und verzichteten nicht auf einen Hofbaum. Die klimatisierten Containerbauten eines modernen Aussiedlerhofs hingegen brauchen keinen Sonnen- oder Windschutz durch Bäume, das Wohnhaus hat einen Blitzableiter und der Hofbaum hat sich in eine Korkenzieherhasel oder eine Gnomenfichte verwandelt. Dörfer, Weiler und Höfe waren in Baumgärten mit hochstämmigen Obstbäumen eingebettet. Legendär sind die Streuobstwiesen, welche die schwäbischen Dörfer und Städte einstmals ummantelten. Als Wetterbäume und Obstlieferanten sind sie schon lange unnötig und überbaut worden.
Alten Alleen begegnet man noch an Schlössern, denn der Adel ließ sich gern durch Alleen zu seinen Herrensitzen geleiten. Junge Lindenalleen, anstelle der Altbäume gepflanzt, sieht man zu Kapellen- und Kalvarienberge hinaufziehen. Wie die Alleen haben auch die Baumzeilen eine entsprechende raumbildende Wirkung in der Landschaft. Wegbegleitend gaben sie Geleit auf den Vicinalwegen und Heerstraßen. Auf der Schwäbischen Alb waren es Vogelbeer- oder Mehlbeerbäume, im Oberland Birken, und im Schwarzwald Eschen oder Bergahorne. Und im Neckarland säumten die langen Zeilen der Mostbirnbäume die Sträßchen. Nachdem Alleen und Baumreihen ihre schattenspendende Funktion eingebüßt hatten, wurden sie zu Verkehrshindernissen. Die gewundenen baumgesäumten Altwege, die als Fragmente alter Verbindungen selbst denkmalwürdig gewesen wären, verschwanden als die Flur bereinigt wurde. Wahrscheinlich wären sie nicht einmal für den heutigen Radtourismus brauchbar, denn auch diese Wege wünscht man sich schnurgerade und baumlos. Als landschaftsprägendes Element seien hier noch die halbnatürlichen unregelmäßigen Baumreihen mit Roterlen oder Weiden an Bachläufen und Flussufern genannt, die in relief- und waldarmen Gegenden landschaftsbestimmend wirken. Eine besondere Landschaftsgestaltung mit Bäumen war die so genannte Rasterpflanzung, die zur Zeit der Aufklärung zur Verschönerung der Landschaft beliebt war und in den Strukturen flächenhafter Streuobstwiesen überdauert hat. Heute sind Rasterpflanzungen bei der Gestaltung urbaner Freiräume ein beliebtes Kompositionselement im Städtebau.
Noch nie wurden so wenig Bäume gepflanzt!
In keiner Zeit wie der unseren wurde soviel gebaut und noch nie wurden so wenig Bäume gepflanzt! Ortsränder und Ortseingänge sind heute grau und kahl, sofern sie sich überhaupt noch zwischen Verkehrsanlagen, Wohngebieten und Industriecontainern ausmachen lassen. Und nirgends ein Baum! Nur ein Reihe hübscher Kugelbäumchen erinnert an die Ausgleichspflicht. Die rastlose und galoppierende Bebauung und Verkehrserschließung der Landschaft hat nicht nur zu einem enormen Landverbrauch geführt, sondern auch zu einer allgemeinen Verunstaltung und Nivellierung des Landschaftsraums. Denn zu der baumlosen nivellierten Maisackerflur kommen noch die baumlosen neuen Urbanisationen hinzu. Der landschaftlichen Eigenart und Schönheit hat der Uniformität und Hässlichkeit Platz gemacht!
Mit der allgemeinen Verschandelung der Landschaft schrumpfen naturgemäß die Erholungsräume, denn die Sehnsucht nach schöner Landschaft besteht offensichtlich noch immer. In Erholungsgebieten ist der Verlust an Bäumen in der Flur aber besonders einschneidend, denn Bäume erfreuen das Herz und das Gemüt. Sie sind Gewähr für das vielzitierte Naturerlebnis. Man denke nur an das Gesumm der Bienen unter einer blühenden Linde, oder an das gefilterte Licht und die poetische Stimmung unter einem Nussbaum. Es sind besonders die Bäume auf Hügeln, die auch so genannte moderne Menschen anziehen. Die Verhaltensforschung belegt, dass wir uns dort besonders wohlfühlen, denn ein Hügel mit Baum erfülle sowohl unser Bedürfnis nach Aussicht als auch unser Bedürfnis nach Sicherheit. Und der Lindenbaum auf der Anhöhe erwecke ein geradezu archaisches Verlangen, was Werbefachleute übrigens schon lange wissen. Auch die überkommenen Flurbäume, ausschließlich Naturdenkmale, haben als so genannte meeting places eine magische Anziehungskraft auf jugendliche Bewohner der verstädterten Siedlungen. Die Baumveteranen sind mit Bänken möbliert, das Umfeld ist geplättelt und hin und wieder brennt im hohlen Stamm ein Feuerchen.
Viele der als landschaftstypisch bezeichneten Baumstrukturen verdanken ihre Existenz obrigkeitlichen Verordnungen – mit keineswegs zimperlichen Bußandrohungen bei Versäumnis der Pflanzung! Erinnert sei an die Wegeordnungen Herzog Carl Eugens von Württemberg, der sich, wenn er durch unsere herzoglichen Lande reiste vom Fortgang des Baumpflanzens unterrichten ließ. In anderen Ländern wurde zugezogenen Neubürgern eine Anpflanzung auferlegt. Wie grün strahlten die gestaltlosen Ränder der betongrauen Urbanisationen, würde dieser Brauch wieder aufleben! Baumpflanzungen könnten so zwar keine Heilung oder Abhilfe schaffen, wohl aber eine Linderung!
Besondere Bäume für besondere Anlässe
Gänzlich außer Mode gekommen ist auch das Pflanzen von Hochzeits- und Geburtsbäumen, ein Brauch, der nicht nur auf dem Dorf üblich gewesen ist, wo Hofübergabe, Heirat und Baumpflanzen oft zusammengehörten. Die Heiratserlaubnis war nach der Not des 30-jährigen Kriegs in etlichen Ländern mit einer Baumpflanzung verknüpft, so unterhielt beispielsweise die Reichsstadt Rothenburg einen Baumhain als so genannten Hochzeitswald! Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts war es regional üblich, bei Geburt eines Kindes im Garten einen Obstbaum zu setzen. Im allgemeinen wählte man bei der Geburt eines Mädchens einen Apfelbaum, für Knaben setzte man einen Birnbaum. Unsere tristen Vorgärten wären blühende Obstgärten, würde der Brauch des Kindlesbaum-Pflanzens wiederaufleben! Denn wer würde für sein Kind schon eine pflegeleichtes Nadelbäumchen wählen? Anlässe und Gründe, einen Baum zu pflanzen, gab es immer genug: zur Erinnerung an ein ausgewandertes Familienmitglied, zum Dank für eine glückliche Heimkehr aus Krieg und Gefangenschaft oder zur Amtseinführung als Bürgermeister! In Amerika gab es Baumtage, an denen Schulklassen in so genannten Schulwäldern Bäume pflanzen.
Die eingangs erwähnte starke Betonung des ökologischen Nutzens der Bäume ist berechtigt und kommt nicht von ungefähr, denn im Zeitalter der Ozonlöcher und der Klimaerwärmung, sowie der Angst vor beiden, haben Bäume eine neue Schutzaufgabe bekommen. Ein Baum reduziert die Strahlungsintensität der Sonne und schützt vor Hautschäden. Ein Baum ist sowohl ein Staub- als auch ein Schadstofffilter. Übrigens ist das Staubfangvermögen einer Sommerlinde pro Quadratmeter Blattfläche rund fünf mal höher als das einer Platane! Ein Baum dämpft den Verkehrslärm, was schon deshalb von Bedeutung ist, weil auch die abgelegensten Gebiete heute durch ein dichtes Straßennetz erschlossen sind. Ein Baum produziert Sauerstoff und sorgt für angenehme Luftfeuchte und Kühle. Bäume sind eigene Ökosysteme, sie sind Lebensraum für Vögel, Kleinsäuger und Insekten, sie bieten Nistgelegenheit, Nahrung und Winterquartier, sie sind Zufluchtsort und Rückzugsgebiet für wandernde Tiere, wahre Brücken im Biotopverbund! Ein Baum bewahrt und fördert die Vielfalt in der Natur!
Es gibt also sehr viele Gründe, die für Bäume in der Landschaft sprechen, neben den landschaftsästhetischen und kulturellen Gründen sind es psychologische und gesundheitliche, die durch ökologische und nachhaltigkeitsstrategische Argumente ergänzt werden.
Bäume sind Symbole für vielerlei Dinge, sie sind auch Symbol des Widerstands gegen Zerstörungen und Symbol der Dauerhaftigkeit. Und so hat ein Landwirt im Hegau am Tag nach der Tschernobyl-Katastrophe eine Linde als Schutz- und Trutzbaum auf seinen Hof gepflanzt.
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