Begleitbuch zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg (Sonderveröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg Bd. 94). Bearb. von Wolfgang Mährle. 104 Seiten mit ca. 100 Abb. Thorbecke Verlag, Ostfildern 2025. Paperback 10 €. ISBN 978- 3-7995-9603-9

Auch wenn es sich bei der vorliegenden Veröffentlichung lediglich um einen schmalen Ausstellungskatalog handelt, so ist sie doch erwähnenswert, weil sie ein bislang unterbelichtetes Kapitel der regionalen Geschichte aufgreift, nämlich den Siebenjährigen Krieg. Dieser spielte, wie es im Vorwort heißt, »in der württembergischen Geschichte bisher eine kaum bekannte Rolle«. Die von Wolfgang Mährle konzipierte und gemeinsam mit Mitarbeitern des Hauptstaatsarchivs und des Landesmuseums inszenierte Ausstellung nähert sich ihrem Gegenstand unter dem Begriffspaar Maskenball und Kanonendonner, um das Spannungsverhältnis anzudeuten, in dem sich das Herzogtum Württemberg in dieser Zeit bewegte, nämlich zwischen den Rückwirkungen des Krieges auf die Heimat einerseits und der barocken höfischen Repräsentation in den Residenzstädten andererseits.
»Im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 kämpften alle europäischen Großmächte jener Zeit um ein Mächtegleichgewicht und territoriale Gewinne in Europa, um Kolonien und Einfluss in Nordamerika, Indien und Afrika, um die Herrschaft über die transatlantischen Seewege sowie um Handelsvorteile.« So liest man in Wikipedia. Württemberg zählte in diesem – in globaler Perspektive – britisch-französischem Hegemonialkrieg nicht zu den Konfliktparteien und war auch kein Kriegsschauplatz, weshalb dieser Krieg auch nicht zu einem württembergischen Erinnerungsort geworden ist. Dass er gleichwohl nicht spurlos am Herzogtum Württemberg vorbeiging, möchte die Ausstellung unter Beweis stellen. Und sie möchte aufzeigen, in welcher Weise das Land von den Fernwirkungen des Krieges betroffen war.
In seiner Einführung, dem einzigen Aufsatz des Buches, stellt Wolfgang Mährle vor allem den seit 1744 regierenden Herzog Carl Eugen in den Mittelpunkt. Dieser trat 1757 auf der Seite des französisch-österreichisch-russischen Bündnisses gegen die britisch-preußische Allianz in den militärischen Konflikt ein und stellte mit anfangs 6000, später 16.000 Soldaten eine beachtlich große Streitmacht auf, die auf verschiedenen Schauplätzen eingesetzt wurde. Hinzu kamen 1600 Infanteristen und 500 Dragoner für das Aufgebot des Schwäbischen Reichskreises. Eine doppelseitige Karte im Katalog verdeutlicht, an welchen Orten – allesamt außerhalb des eigenen Territoriums gelegen – das württembergische Heer zwischen 1757 und 1760 an Schlachten und Belagerungen beteiligt war. Statt Erfolgen hatten die Württemberger allerdings zwei schwere Niederlagen zu verzeichnen. Die militärische Bilanz war verheerend, und der Herzog selbst offenbarte, dass zu seinen vielen Talenten militärische Fähigkeiten offenbar nicht zählten.
Was veranlasste Carl Eugen zum württembergischen Kriegseintritt? Kurz und bündig: Sein Ehrgeiz und sein Ansehen. Der Herzog peilte die Kurfürstenwürde an und war dafür bereit, innerhalb kurzer Frist durch Zwangsrekrutierungen eine große Militärmacht aufzustellen und auszurüsten und sich an einem Krieg zu beteiligen, für den seine Untertanen keinerlei Verständnis aufbrachten. Abgesehen vom Leid der Bevölkerung fehlte dem Krieg nämlich die Legitimität, da er nicht der Verteidigung des Herzogtums diente, sondern allein der Vermehrung des persönlichen Ruhmes des Fürsten.
Die fünf Kapitel der Ausstellung spiegeln sich im Katalog wider und thematisieren die württembergische Kriegsbeteiligung im Kontext des Kriegsverlaufs in Mitteleuropa, die materiellen und menschlichen Aufrüstungsmaßnahmen, die durch den Kriegseinsatz verursachten innenpolitischen Verwerfungen, die ökonomischen und finanziellen Auswirkungen des Krieges und schließlich die Folgen für den Bereich der Kultur und der Bildungseinrichtungen.
Scheinbar in Widerspruch zu den Schattenseiten der Kriegsbeteiligung steht der Glanz, den in diesen Jahren der Hof Carl Eugens ausstrahlte. In eben jenem Zeitabschnitt entstanden die Schlösser Stuttgart und Monrepos und wenig später Solitude; auswärtige Besucher lobten die prunkvolle barocke Hofkultur in Stuttgart und in Ludwigsburg, wo zudem eine Porzellanmanufaktur ins Leben gerufen wurde, die Meißen Konkurrenz machte; herausragende Künstler zog es nach Schwaben, die dort u.a. Luxusartikel produzierten; die Gründung wissenschaftlicher Akademien wurde zumindest diskutiert. Mährle vermutet hinter all diesen Aktivitäten eine sozialpsychologisch erklärbare Kompensationshandlung: Die genannten Facetten der Hofkultur bildeten bewusst oder unbewusst ergriffene Strategien, um die Schrecken des Krieges und die militärischen und politischen Niederlagen Carl Eugens zu verarbeiten. Mit diesen und weiteren Einschätzungen leistet der Katalog einen wertvollen Beitrag zur Aufhellung eines wenig präsenten Aspekts württembergischer Geschichte.
Ludger Syré
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