Sechs Stunden für die Rettung der Welt
Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2024. 235 Seiten mit 58 Abb. Paperback 29 €. ISBN 978-3-17-042507-1

An der Grenze zwischen Schwäbischer Alb und Oberschwaben, in Albeck bei Ulm 1861 geboren, gehört Robert Bosch zu den wichtigsten und bekanntesten deutschen Unternehmerpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Die von ihm ursprünglich als mechanische Werkstatt gegründete Firma erlebte nach der Erfindung des »Bosch-Magneto« (elektrische Hochspannungszündung) in wenigen Jahren einen phänomenalen Aufstieg.
Seine Erfolge als überaus erfolgreicher Unternehmer waren Robert Bosch nicht in die Wiege gelegt noch sonst in seiner Jugend irgend vorgezeichnet, bricht er doch den Besuch der Realschule in Ulm, wohin seine Eltern nach Verkauf der elterlichen Gastwirtschaft in Albeck als wohlhabende Rentiers gezogen waren, ab und tritt eine Mechanikerlehre an. Auch sein weiterer Lebensweg ist zunächst von Flexibilität geprägt, man könnte auch sagen, er war kurvenreich: Tätigkeit als Mechaniker und auch mal als Gürtler in Köln, Stuttgart, Hanau, Nürnberg, Göppingen, dann bei Thomas Edison in New York, hernach in England. Schließlich folgt die Gründung einer eigenen Werkstatt in Stuttgart (1886, mit zwei Mann); er wird sesshaft, heiratet 1887 und erfindet im selben Jahr die das »Magneto«. So weit, so gut.
Hans-Erhard Lessing Erzählmodus lässt sich als impressionistisch bezeichnen: Wie die Impressionisten setzt er – hier biografisch – auf stimmungsvolle Momentaufnahmen, die sich zu einem Bild vereinen; aber im Falle dieser Biografie eben doch nicht kohärent, wie es der Leser vielleicht erwartet. Bosch war sicherlich ein genialer Unternehmer, der mit sicherem Blick den praktischen und finanziellen Wert technischer Neuerungen und Erfindungen erkannte und für sein Unternehmen zu nutzen verstand. Aber dieser Mann der Technik und Wirtschaft hatte noch eine andere, überraschende Seite, die quer stand zum großbürgerlichen oder teils auch reaktionären Habitus seiner Standesgenossen in vergleichbarer Position. Diese – heute würde man sagen alternative – Seite ist nicht unbekannt, aber in Lessings Reihung doch beeindruckend: von den sozialistischen Ideen des jungen Bosch in den USA, die später nachhallen sowohl im nachbarschaftlich-vertrauten Umgang mit dem im gleichen Haus wohnenden bekannten deutschen Sozialisten Karl Kautsky einerseits und der großen deutschen Kommunistin und Pazifistin Klara Zetkin und deren Mann, dem Arbeitermaler Friedrich Zundel, der 1928 Boschs Tochter Paula heiraten wird, andererseits. Robert Bosch war darüber hinaus ein überzeugter Anhänger der weit beachteten Wollkleidungs- und Lebensreform-Bewegung des Stuttgarter Zoologieprofessors Gustav Jäger wie auch der Homöopathie. In Bayern kaufte und betrieb er einen landwirtschaftlichen Reformhof.
Die Einführung des Achtstundentags 1908 und des freien Samstagnachmittags 1910 in seiner Fabrik gehören ebenso in diese Reihe alternativer Bestrebungen, ebenso die Stiftung seines Kriegsgewinns nach dem Ersten Weltkrieg für soziale Zwecke. Und nicht zuletzt schlug der Unternehmer 1932 in der Denkschrift Über die Verhütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft vor, die verheerende Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise durch die Einführung des Sechsstundentags (!) zu bekämpfen. Das Manifest ist im Buch gekürzt abgedruckt samt einer volkswirtschaftlichen Einordnung durch Harald Hagemann. Warum es freilich, reichlich dramatisierend, im Untertitel des Buches erscheint, bleibt unverständlich und führt etwas in die Irre. Im Buch kommt dem Thema nur eine Nebenrolle zu – und Bosch war kein »Weltenretter«.
Die Schlaglichter auf die Lebensstationen, sein Familienleben und seine sozialen Gedanken, bleiben freilich skizzenhaft und verdichten sich nicht zu einem konkreteren Bild seiner Person. Das Hauptinteresse des Autors gilt nämlich mehr noch als dem Menschen Bosch den von ihm gemachten, initiierten oder genutzten technischen Neuerungen. Diese nehmen wohl die Hälfte des Buchs ein und werden mit großer Detailkenntnis beschrieben und in ihrer Bedeutung vorgestellt – oft mit Konstruktionszeichnungen und Plänen untermauert –, bleiben aber wohl vielen Lesern mangels technischer Kenntnisse verschlossen. Die Biografie gerät über weite Strecken eher zu einer Technik- und Unternehmensgeschichte denn zu einer eigentlichen Lebensbeschreibung, die – ganz anders die Passagen zu technischen Fragen – oft im Bereich von Mutmaßung und kühner Vermutung von Zusammenhängen verharrt, wovon die auffallende und fast inflationäre Verwendung des Konjunktivs und unzählige Aussagen einschränkende Vokabeln wie »wohl«, »vermutlich«, »vielleicht«, »offenbar«, »(höchst)wahrscheinlich«, »anzunehmen«, etc. zeugen.
Die Person Robert Boschs bleibt dabei eher blass. Über so manches würde man gerne mehr erfahren, etwa über sein Leben im und das Wirken gegen den Nationalsozialismus und die Judenverfolgung – immerhin gibt es dazu neuere Literatur –, ja generell über seine politischen Ansichten und deren Folgen, etwa in Arbeitskämpfen. Am Rande sei bemerkt: Die verharmlosende Formulierung, Karl Kautskys jüdische Frau sei in Auschwitz »gestorben«, tut weh und hätte dem Lektorat auffallen müssen.
Robert Bosch gerät zunehmend in Vergessenheit. Hans-Erhard Lessings Schlaglichter tragen immerhin dazu bei, wieder Licht zu bringen in die biografische Dunkelheit um eine faszinierende Person der deutschen Wirtschafts- und Technikgeschichte.
Raimund Waibel
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