Titel eines Buches

Günther Weber: Brösel. Ein Leben vor und nach dem Holzofen

Molino Verlag, Sindelfingen 2025. 204 Seiten. Paperback 18 €. ISBN 978-3-948696-92-4

Titel eines Buches

Brösel also. Keine Sahnehäubchen. Nicht einmal Streusel. Ganz profane Prosa. Brösel eben. Die gibt es reichlich, wenn der Bäcker übriggebliebenes, trocken gewordenes Brot zu Schrot vermahlt und – wegen des guten Geschmacks – unter den neu angesetzten Teig mengt. So greift Günther Weber (71), der schreibende Holzofenbäcker von Loretto bei Zwiefalten, in großen Vorrat – Brösel gibt’s wie Sand am Meer – und fördert wieder bezaubernde Geschichten zutage: selbst erlebten Alltag, vor und nach dem Holzofen. Wobei der Untertitel seines jüngsten Buches einen zeitlichen Bogen spannt von der Kindheit in Winnenden bis zum Alltag im Ausgeding, nach wie vor auf Loretto.

Nach mehr als 25 Jahren als der Bäcker von der Alb, als Wirt, Koch, Kleinkunstgastgeber, Holzofenbäckerblumenschreiber und Buchautor hat Weber den Brotschießer (für die meiste Zeit) an jüngere Bäckersleute weitergereicht und sich noch einmal den Zettelkasten mit den Geschichten aus dem Lauf der Jahre vorgenommen. 73 kurze Erzählungen auf 204 Seiten sind es geworden, 227 Gramm Buch, wie der Molino Verlag auf seiner Homepage schreibt: ein echtes Taschenbuch also, das sich locker einstecken lässt für die Lektüre unterwegs. Ob er jetzt Märchen mixt oder seine Hörgeräte aus der Hosentasche plaudern lässt, der Witz von alledem, das ist der untrügliche Weber’sche Humor.

Was nicht heißt, dass alles in diesem ungewöhnlichen Bäckerleben Friede, Freude, Dinkelbrot und Käsekuchen gewesen wäre und ist. Die Kinderjahre in Kleinstadt und Handwerkerhaushalt atmen die beklemmende Atmosphäre der 1960er-Jahre. Es ist, als nähme der Bub – hat er damals schon Günne geheißen? – eine/n mit in die gute Stube und drücke uns zwischen die Kissen mit dem akkuraten Karateschlag aufs Sofa. Klassenkameradinnen von damals juchzen, wenn sie Lehrer Haug wieder begegnen. Und erschrocken erfahren sie von der schwarzen Pädagogik im Kohlenkeller. Weber durchleuchtet dunkle Tage. Kein Wunder, folgen ihnen die Aufmüpfigkeit, die Entschlossenheit, die Absage an alles Spießige und Maßregelnde: der trotzig frühe Abschied aus dem Gymnasium, die abenteuerliche und lebensprägende Reise durch Ostafrika zu den Quellen des Nils, die daraus folgende konsequente Ablehnung von Tourismus als Selbstzweck und das Engagement als Brigadist für die sandinistische Revolution in Nicaragua.

In Webers persönlicher Geschichten- und Anekdotensammlung spiegelt sich das Erleben einer ganzen Generation. Viel näher kann man seiner Leserschaft kaum kommen. Weitermachen wie bisher ist Anfang der 1980er-Jahre keine Option für die Weber-Brüder, obwohl oder gerade weil sie den Bäckerberuf ihres Vaters erlernt hatten. Helmut und Günther Weber gründen die Kollektivbäckerei in Winnenden und gehen, kurz bevor es ihnen langweilig wird, eigene Wege nach Vellberg und auf die Alb. Ab 1997 ist für Günne Weber der Holzofen in Loretto der Chef. Das Was und Wie lässt sich trefflich auf Homepage www.lorettozwiefalten.de und Youtube-Filmen (z. B. »Handwerkskunst. Wie man ein echt gutes Brot macht« und besonders köstlich im Nikolausfilm »Bäckerei Weber vom Lorettohof«) studieren.

Von diesem Leben erzählen die Brösel – und von der Zeit nach dem Holzofen, von Knie-OP und Enkel Emils Staunen über die ersten Schneeflocken seines Lebens, von keineswegs untypischen, altersgemäßen Hörerfahrungen und anderen Eigenheiten des Seniorendaseins. Lesestoff allemal, Vorlesestoff erst recht.

Gertrud Schubert

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