Entstehung und Bedeutung, Überlegungen zu Pflege und Entwicklung
(von Werner Konold und Konrad Reidl)
Das zugrundeliegende Papier dieses Beitrags war mehrfach Gegenstand intensiver Diskussionen im Fachausschuss für Naturschutzfragen beim Landesbeirat für Natur- und Umweltschutz. Hierbei kam, nachdem mehrere diskutierte Aspekte eingebaut wurden, eine große Übereinstimmung mit den Tenor des Papiers zum Ausdruck, so dass man es als Arbeitsgrundlage des Fachausschusses betrachten kann. Manches ließe sich konkretisieren, doch ist der Text bewusst allgemein und grundsätzlich gehalten, um die anstehenden, notwendigen Diskussionen über die Zukunft der Kulturlandschaft nicht allzu sehr vorzuprägen.
Der Beitrag erschien als Naturschutz-Info 1/2006. Er kann in der Druckversion als pdf-Datei heruntergeladen werden.
1. Einführung
Baden-Württemberg besitzt in Deutschland eine Ausnahmestellung bezüglich seiner großen Anzahl an Kulturräumen mit jeweils unverwechselbaren Eigenarten. Diese lassen sich zurück führen auf die hoch diversen natürlichen Gegebenheiten (Geologie, Relief, Höhenlagen, Böden, Gewässerdichte, Gewässertypen, klimatische Gradienten…), die Territorialgeschichte, konfessionelle Differenzierungen und Mischungen, die Nutzungsgeschichte, die Siedlungsgeschichte, Siedlungs- und Hausformen, Bau- und Kunstgeschichte, Spezifika der Naturnutzung (Abbau von Rohstoffen), Mentalitätsunterschiede und anderes mehr. Vielfach liegen mehrere und auch mehr oder weniger verblasste Kulturschichten aufeinander. Jeder Kulturraum, jede Kulturlandschaft hat als ganzheitliches Gebilde eine eigene Mentalität, eine eigene Identität und eine eigene Lebensraumausstattung im weitesten Sinne. Neben den Restbeständen von ursprünglichen, natürlichen oder naturnahen Lebensräumen sind es in erster Linie die kulturellen Lebensräume, die die Landschaft prägen, die ihr ein unverwechselbares Gesicht geben und die auch für den Schutz der Lebensgrundlagen des Menschen eine unverzichtbare Rolle spielen. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, sei nur auf die beweideten (Wacholderheiden) oder gemähten (Mähder) Kalkmagerrasen, auf Streuobstwiesen, Streuwiesen, Borstgrasrasen und Weidfelder hingewiesen, die traditionelle Elemente der traditionellen Kulturlandschaft darstellen und die ohne den Eingriff des Menschen nicht entstanden wären und ohne diesen ihren Wert schnell verlieren würden.
2. Bedeutung der Kulturlandschaft
Reich gegliederte Kulturlandschaft hat nicht nur einen hohen Naturschutzwert, sondern auch einen ästhetischen und sozialen Wert. Auf den Naturschutzwert von Kalkmagerrasen, mageren Wiesen, Streuwiesen und anderen extensiv genutzten Lebensraumtypen der Kulturlandschaft muss hier nicht eingegangen werden. Ihre diesbezügliche Bedeutung ist vielfach belegt. Auch die gemeldeten NATURA 2000-Gebiete umfassen viele Kulturlandschaftselemente, beispielsweise Wacholderheiden, Borstgrasrasen, Pfeifengraswiesen, magere Flachland-Mähwiesen und Bergwiesen. Teilweise handelt es sich bei diesen Elementen sogar um Prioritäre Lebensräume, deren Erhaltung eine besondere Bedeutung zukommt. (Siehe hierzu: MLR (Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg) (Hrsg.), 2003: Natura 2000 in Baden-Württemberg. 3. ergänzte Auflage. Stuttgart)
Aktuell – doch nicht zum ersten Mal – wird die enge Verknüpfung zwischen Kulturlandschaft und Heimat thematisiert (siehe hierzu: Deutscher Rat für Landespflege, 2005: Landschaft und Heimat. Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege 77, 112 S.). Ohne auf Einzelheiten einzugehen, kann festgestellt werden, dass es offensichtlich sehr enge Beziehungen zwischen der individuellen Ausprägung von Kulturlandschaft und dem Empfinden für Heimat gibt. Heimat ist immer Kulturlandschaft und Kulturlandschaft ist immer Heimat. Über die kausalen Zusammenhänge wissen wir allerdings noch viel zu wenig.
3. Entstehung, Dynamik und Wandel von Kulturlandschaften
Kulturlandschaften sind Nutzlandschaften; Nutzung macht die Naturlandschaft zur Kulturlandschaft. Das kulturelle Wesen Mensch formte die Natur jeweils zu seiner Zeit nach seinen Bedürfnissen und existenziellen Notwendigkeiten und nach seinen gestalterischen und technischen Möglichkeiten. Er musste sich weit gehend an die natürlichen Gegebenheiten anpassen oder sich ihnen gar unterwerfen – den Gesteinen, den Böden, dem Wasserdargebot, dem Abflussverhalten der Gewässer, dem natürlichen Nährstoffangebot, der Höhenlage. Kulturlandschaften besitzen bzw. besaßen – neben den spezifischen Flächennutzungen – auch einen ganz spezifischen kulturellen Formenschatz. Daneben besitzen sie mehr oder weniger viele unfunktionale, nutzlose Zufälligkeiten, Neben- oder Abfallprodukte menschlichen Wirtschaftens, etwa Gebüsche, kleine Brachflächen, Rinnen, Raine, Ränder usw. Reste natürlicher Natur finden wir allenfalls dort, wo sich Kultur gar nicht lohnte, wo es zu nass, zu steil, zu trocken, zu steinig war (dies ist jedoch immer relativ gewesen). Was überhaupt nicht nutzbar war, nannte man Unland. Anderes schwieriges Gelände wurde fakultativ genutzt, war auch zeitweise Ödland. Der kulturelle Formenschatz entstand zu einem Gutteil durch die Nutzung von – so sagen wir heute – Grenzertragsstandorten und Untergrenzfluren, z.B. auf Kuppen, in Hanglagen und auf flachgründigen, steinigen Böden. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entstehung vieler solcher Elemente des kulturellen Formenschatzes – z.B. Feldsteinmauern – sind heute nicht mehr gegeben. – Diese Formen sind also Relikte der Wirtschaftsgeschichte, teilweise prägen sie jedoch noch heute das Gesicht einer Landschaft.
Die traditionelle Kulturlandschaft insgesamt wurde eher polykulturell genutzt; es gab oft mehrere Nutzungen auf einer Fläche. Es gab deutliche Nutzungsgradienten im Raum, im Idealfall von der Siedlung bis zum Gemarkungsrand. Es gab keine Konservierung, sondern Bewegung, Dynamik, progressive und regressive Sukzessionen, ein Pulsieren zwischen Wald und Nichtwald. Diese Dynamik wirkte aufs Ganze gesehen lebensraumerhaltend!
Also: Alle Kulturlandschaften, auch die uns altmodisch erscheinenden, waren und sind einer Dynamik unterworfen, sie bewegen sich auf einer Zeitachse, auf der es verzögerte, fast stillstehende und beschleunigte Phasen gibt. Diese Prozesse laufen räumlich differenziert ab: hier Schübe des Wandels, dort weit gehende Stagnation, etwa unter dem Eindruck von wirtschaftlicher Not und Migration. Die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den politischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und dem Bild und Zustand der Landschaft sind heute nicht prinzipiell anders als früher. Der diesen Beziehungen immanenten Dynamik müssen wir uns stellen und wir müssen sie gestalten.
Der Wandel der Kulturlandschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten allerdings enorm beschleunigt, begleitet von einer dramatischen Zunahme der bebauten und versiegelten Flächen und den bekannten negativen Wirkungen auf Lebensräume, Flora, Fauna und auf den Formenschatz. Die individuellen Gesichtszüge, Wert und Charakter wurden vielfach verwischt, verwässert, beseitigt. In vielen sogenannten Gunsträumen entstanden austauschbare Landschaftsbilder: Langes Feld, Kraichgau, Bauland, Oberrheinebene, die Deckenschotterriegel. Nivellierungen sind festzustellen beim Hausbau, den Baustoffen und der Gartengestaltung, bei den Siedlungsformen, der Trassierung und Gestaltung von Straßen und Wegen, der Ausstattung der Landschaft mit Lärmschutzeinrichtungen, Deponien, begrünten Böschungen usw. Energiefreileitungen sind allgegenwärtig, die Zerschneidung der Landschaft hat eine erschreckende Dimension erreicht, Aufforstungen ersticken Hänge und Täler, Nutzungsgradienten gibt es nur noch lokal. Wir stecken in einem Dilemma: Einerseits ist der Wandel ein Charakteristikum der Kulturlandschaft, andererseits wissen wir nicht, wie stark der Wandel sein kann, um von den Menschen mental verkraftet oder zumindest akzeptiert zu werden und um nicht eine nachhaltige landschaftliche Entwicklung zu unterbinden.
Ein komplementärer Aspekt: Wenn es darum geht, die ökologischen, ästhetischen und sozialen Qualitäten unserer Kulturlandschaften zu erhalten, kann das nicht bedeuten, dass Landschaft eingefroren wird, dass Museumslandschaften entstehen. Landschaft muss sich selbstverständlich auch weiterentwickeln können: kann nur heißen, einerseits die jeweils typischen Eigenarten und Identifikationsmerkmale zu erhalten, andererseits auch neue zu definieren und bewusst zu schaffen. Auch das Prozesshafte von Landschaft und Eigenart und das Altern von landschaftlichen Elementen muss in unserem heutigen Handeln berücksichtigt werden, um Entscheidungshilfen für unser Tun zu haben.
Es stellt sich somit die grundsätzliche Frage, wie eine zeitgemäße Kulturlandschaft aussehen soll, die noch ein eigenes Profil besitzt, die Kontinuität zeigt, deren Teile aber auch in funktionalen Beziehungen stehen. Was ist also eine im weitesten Sinne funktionierende, moderne Kulturlandschaft, die gleichzeitig auch Heimat ist?
4. Pflege und Entwicklung von Kulturlandschaften
4.1 Prinzipien
Wenn es nun darum geht, in diesem Sinne Perspektiven für Kulturlandschaften/Kulturräume zu entwickeln, so müssen wir zunächst einmal grobe Ziele formulieren – sozusagen Landschafts-Qualitätsziele -, geknüpft an die Frage, welches visionäre Leitbild der Landschaft, in der wir zu planen, zu entscheiden und zu gestalten haben, angemessen ist – dies im eigentlichen Wortsinn gemeint.
Prinzipien eines visionären Leitbildes können sein (vergleiche dazu: Konold, W., Schwineköper, K., Seiffert, P., 1996: Zukünftige Kulturlandschaft aus der Tradition heraus. In: Konold, W. (Hrsg.): Naturlandschaft – Kulturlandschaft: 289-312, Ecomed, Landsberg):
- Die Entwicklung der Landschaft folgt konsequent dem Paradigma der Nachhaltigkeit.
- Die jeweilige Identität der Landschaft muss gewahrt bleiben oder durch eine andere unverwechselbare Identität ersetzt werden.
- Es ist eine je naturraum- und kulturraumtypische Vielfalt in Raum und Zeit anzustreben, was eine optimierte regionale Biodiversität einschließt.
- Die Kulturlandschaft soll keine Pflegelandschaft sein.
- Wichtige Landschaftsfunktionen müssen wiederhergestellt werden (z.B. Retention und Stoffrückhalt in Auen).
- Belastende Stoffverlagerungen sind zu minimieren.
- Der Flächenverbrauch und die Zerschneidung von Landschaften sind zu minimieren.
- Es sind hier und dort natürliche Prozesse zu fördern, und zwar ohne Weg- und Zielvorgaben.
- Gefährdete Lebensräume sind zu schützen, auch um sie über die Zeit retten, bis sie wieder einer Nutzfunktion zugeführt werden können.
- Alle Ziele sind mit möglichst geringen Eingriffen und mit geringem Energieaufwand umzusetzen.
Es geht also – wenn wir diese Ziele mit dem heutigen Zustand unserer Landschaften vergleichen – um neue Intensitäten und um neue Proportionen von bzw. zwischen Nutzung und Schutz im weitesten Sinne.
Die Prinzipien sind visionär, d.h. sie müssen in Form von Zielen für die Landschaftsentwicklung konkretisiert werden. Dies kann – auf regionaler oder kommunaler Ebene – letztlich nur in konkreten Landschaften geschehen und ist Aufgabe öffentlich geführter Diskurse, der Landschaftsplanung und der Regionalentwicklung, die einen modernen Naturschutz einbezieht.
4.2 Landschaftsplanung und Naturschutz
Im Bundesnaturschutzgesetz (§14, Absatz 1, Punkt 4) ist über die Inhalte der Landschaftsplanung ausgesagt, dass die Pläne Angaben enthalten sollen über die Erfordernisse und Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft, auch als Erlebnis- und Erholungsraum des Menschen. Im Gesetz zur Neuordnung des Naturschutzrechts in Baden-Württemberg ist dies in § 16 entsprechend formuliert. Obgleich insbesondere der Begriff Eigenart dazu auffordert, sich auch mit den kulturlandschaftlichen Besonderheiten zu beschäftigen, geschah dies bisher in der Landschaftsplanung nur im Ausnahmefall. Vielmehr lagen die Schwerpunkte eindeutig bei den Schutzgütern Arten- und Biotopschutz, Boden, Gewässer, Klima und Luft.
Doch gibt es inzwischen Bestrebungen, auch die kulturlandschaftliche Eigenart stärker zum Gegenstand der Landschaftsplanung zu machen, verknüpft mit der bereits angesprochenen Bedeutung von Landschaft als Heimat. So skizzieren Hoppenstedt & Schmidt (Hoppenstedt, A., Schmidt, K., 2002: Landschaftsplanung für das Kulturlandschaftserbe. Naturschutz und Landschaftsplanung 34 (8): 237-241) im Kontext der europäischen Landschaftskonvention einige Grundsätze einer derart erweiterten Landschaftsplanung und zeigen, dass für die Umsetzung und Bewertung der kulturlandschaftlichen Eigenart vor allem die kommunale und regionale Ebene der Landschaftsplanung geeignet ist, wobei sie folgende Aufgabenteilung sehen:
- Den Landschaftsrahmenplan mit dem Schwerpunkt einer regionalen Typisierung und der Kennzeichnung gemeindeübergreifender Kulturlandschaftsräume.
- Den Landschaftsplan mit einer stärkeren Betrachtung von Einzelelementen, also der Kartierung und Bewertung historischer Kulturlandschaftselemente.
Projekte zum Erhalt und zur Entwicklung von Kulturlandschaften sind bisher vorwiegend in regionalen Entwicklungskonzepten entstanden, beispielsweise in Biosphärenreservaten. Ein Ansatz, diesen Gedanken in Baden-Württemberg aufzugreifen und zu realisieren, ist das im Gesetz zur Neuordnung des Naturschutzrechts in Baden-Württemberg (§ 28) enthaltene Biosphärengebiet, da dies vornehmlich der Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung einer durch hergebrachte vielfältige Nutzung geprägten Landschaft und der darin historisch gewachsenen Arten- und Biotopvielfalt […] dient. Bei der Auswahl geeigneter Biosphärengebiete in Baden-Württemberg wird es nicht zuletzt darum gehen, Gebiete von besonderer kultureller Eigenart zu finden und entsprechend zu entwickeln. Solche Gebiete können sich, da vom Ansatz her vergleichbar, mit Plenum-Gebieten decken.
Auf der Ebene des Landschaftsplanes sollten vor allem die historischen Kulturlandschaftselemente stärker als bisher in die Betrachtung einbezogen werden. Mit Hilfe von Kulturlandschaftsanalysen (siehe hierzu: Schwineköper, K., 2000: Historische Analyse. In: Konold, W., Böcker, R., Hampicke, U. (Hrsg.): Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege, 1. Erg.Lfg., Kap. IV-10, 23 S., Ecomed, Landsberg) und der Einbeziehung von lokalen Kennern der Landschaft (der Heimat) können wichtige Erkenntnisse über das Typische, Markante und über kollektive Erinnerungsstücke gewonnen werden. Verdeutlicht werden kann darüber hinaus, welche Verluste an Vielfalt und Eigenart einer Landschaft bereits eingetreten sind. Auf der Grundlage der Analysen historischer und aktueller Zustände und dem Aufzeigen von Veränderungen wird es möglich, aus dem Früher und dem Heute in die Zukunft zu denken, d.h. Ziele für die Landschaftsentwicklung zu formulieren und dabei neue Elemente bewusst einzubeziehen (dazu beispielsweise für das Westallgäuer Hügelland: Seiffert, P., Schwineköper, K., Konold, W., 1995: Analyse und Entwicklung von Kulturlandschaften. Das Beispiel Westallgäuer Hügelland. Ecomed, Landsberg, 456 S.). Will man die Eigenart der Kulturlandschaft in der Landschaftsplanung stärker thematisieren, müssen Kulturlandschaftsprojekte initiiert werden.
Landschaftsplanung und Naturschutz dürfen also nicht – oder zumindest nicht in jedem Fall – bei der Erhaltung oder der Rekonstruktion eingefrorener Landschaften stehen bleiben. In der Kulturlandschaft muss eine multifunktionale, nachhaltige Nutzung angestrebt werden, die verschiedenen menschlichen und im weitesten Sinne ökologischen Ansprüchen Rechnung trägt. In manchen Fällen kann die Konservierung historischer Landschaftselemente als Zeugen einer Zeitschicht der richtige Weg sein. In anderen Fällen kann es darum gehen, ganz ungewohnte neue Landschaften entstehen zu lassen, die Ausdruck einer neuen Form nachhaltiger Landnutzung in Verbindung mit neuen Gestaltungselementen sind. In wieder anderen Fällen kann es auch darum gehen, hier und dort Flächen einer ungelenkten Entwicklung zu überlassen (Wildnis), im Übrigen ein Vorgang, der schon eingesetzt hat, und zwar insbesondere auf ehemals intensiv genutztem Kulturland. – Ungewohnte Landschaftsbilder können beispielsweise extensiv genutzte halboffene Landschaften sein, bestehend aus einem Mosaik aus Grünland, Gebüschen, Vorwäldern und kleineren Waldbeständen und geschaffen von verschiedenen Wild- und Haustieren (Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde, Konik, Rothirsch, Elch, Wisent usw.), aber auch durch kontrolliertes Brennen erzeugte Offenflächen, agroforstliche Systeme, Energieholzflächen, zur Biomasseerzeugung genutzte Retentionsräume, neue Wasserflächen und anderes mehr.
4.3 Kulturlandschaft als Gegenstand politischer Entscheidungen
Würde das Einkommen der in der Landwirtschaft arbeitenden Landwirte allein auf der Basis von Weltmarktpreisen erwirtschaftet, wäre die für das Wohlbefinden vieler Menschen essentielle Heimat- und Kulturlandschaft nicht zu halten. Deshalb werden zunehmend produktionsgebundene Subventionen abgebaut und stattdessen Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe geleistet, um ökologische und kulturelle Leistungen zu honorieren. Die EU-Verordnung zur Entwicklung ländlicher Räume, die Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz sowie die Kulturlandschafts- und Naturschutzprogramme auf Länderebene bilden hier den Hintergrund für die Finanzierung. Trotzdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese Mittel nicht ausreichen werden, um wertvolle Kulturlandschaften in ihrer Vielfalt auf Dauer zu erhalten (siehe hierzu: Stächele, W., 2005: Schöne Landschaft zum Nulltarif? Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege 77: 86-88). Wichtig erscheint vor allem, dass Förderprogramme verschiedener Institutionen aufeinander abgestimmt werden, um größtmögliche Effekte zu erreichen. Die Gesellschaft wird mitentscheiden müssen, ob sie in einer Kulturlandschaft leben und dafür einen angemessenen Preis bezahlen will oder ob sie – in den peripheren Räumen ist dieser Prozess bereits sichtbar – die Kulturlandschaft der Sukzession mit Endziel Bewaldung überlassen will. Für das Thema Pflege und Offenhaltung der Kulturlandschaft sind deshalb individuelle Lösungen auf regionaler und lokaler Ebene erforderlich, die auch die Vorstellungen von Denkmal- und Heimatpflege und Naturschutz berücksichtigen. Dann ist auch sichergestellt, dass Natur- und Landschaftsschutz nicht von oben verordnet werden, sondern mit und für die Menschen – bürgernah und demokratisch – umgesetzt werden.
4.4 Zusammenfassende Empfehlungen
Im Zusammenhang mit dem Erhalt unserer Kulturlandschaft gibt es gegenwärtig eine Vielzahl ungeklärter Fragen, beispielsweise zur Genese von Kulturlandschaften, bezüglich der Leitbilder für die Entwicklung unterschiedlicher Landschaften und der Bedeutung für die Identifikation der Menschen mit der Landschaft. Dennoch sollen einige zusammenfassende Empfehlungen gegeben werden.
- Bedeutsam ist zunächst die Identifizierung und Abgrenzung typischer Kulturlandschaften/Kulturräume in Baden-Württemberg. Einige Stichworte sollen dies verdeutlichen: Kulturlandschafts-Typologie, Kulturlandschaftskataster; Festmachen der jeweiligen Identität, der Merkmale: dingliche Objekte, Zeitgebundenheit und Genese von kulturlandschaftlichen Phänomenen, Aufdecken funktionaler Zusammenhänge, Identifizierung der Gestaltungskräfte, die das Gesicht der Landschaft geprägt haben.
- Dringend erforderlich ist eine offene und öffentliche Diskussion zur Zukunft unserer Kulturlandschaft mit Einbeziehung der Interessenverbände, insbesondere auch der kommunalen Spitzenverbände, der Heimatvereine und der Fachverwaltungen: Einige wichtige Aspekte hierzu sollen stichwortartig genannt sein: Maß des Beharrens, Maß der Veränderung, Gestaltung von Veränderungen, Akteure von Veränderungen, Geschwindigkeit von Veränderungen (Was können wir aushalten, was macht Heimat aus, wie sehen regionale und lokale Lösungen aus?).
- Vereine und Verbände (Heimatpflege, Wandervereine, aus Naturschutz und Denkmalpflege) sind eminent wichtige und unverzichtbare Akteure auf dem Feld der Pflege und Entwicklung der Kultur- und Heimatlandschaft. Für ihre Arbeit, die zum Teil staatliche Aufgaben abdeckt, benötigen sie auch künftig politische Anerkennung und finanzielle Unterstützung.
- Um den Menschen die Bedeutung der Kulturlandschaft nahe zu bringen und den Natur- und Landschaftsschutz bürgernah und demokratisch gestalten zu können, ist eine konzertierte Bildungsarbeit über Kulturlandschaft und Heimat von eminenter Bedeutung. Träger, Partner, Ausführende sind: Gemeindetag, Städtetag, Landkreistag, Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen, Heimatpfleger, Kulturlandschaftsbeauftragte, Kulturlandschaftsschulen, Medien, „quer“ zusammen gesetzte Gruppen aus Landwirtschaft, Naturschutz, Denkmalpflege, Wasserwirtschaft, Forstwirtschaft, Wander-/Touristenvereine.
- Kenntnisse über die Genese von Kultur-/Heimatlandschaft ermöglichen es, sich aktiv in den Planungsprozess einzubringen und Argumente vertreten zu können. Bürgerliches Engagement ist für viele Planungsverfahren im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, bei der Erarbeitung von Lokalen Agenden oder an runden Tischen gefragt. Hierbei werden lokale Lösungen gefunden. Dies trägt zur Vielfalt der Eigenart in den Landschaften bei.
- Die Landschaftsplanung auf regionaler und lokaler Ebene soll die Entwicklung von Eigenarten der Kulturlandschaften stärker als Aufgabe wahrnehmen. Darüber hinaus soll grundsätzlich darauf hingewirkt werden, dass die Landschaftsplanung als bürgernahes Planungsinstrumentarium effizienter wird.
- Die für die Pflege der Kulturlandschaft zuständigen Behörden in Naturschutz, Denkmalpflege, aber auch der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, müssen personell und finanziell in den Stand gesetzt werden, ihre Aufgaben qualifiziert wahrnehmen zu können. Es ist also ressortübergreifende und querschnittorientierte Arbeit gefragt. Die Verwaltungsreform ist hier als Chance zu sehen, da die Fachkompetenzen in den Landratsämtern und den Regierungspräsidien zusammengeführt sind.
- Die Fördervorgaben der EU, des Bundes und der Länder gehen in die richtige Richtung, wenn nunmehr verstärkt kulturlandschaftliche Leistungen der Landwirtschaft gefördert werden können. Die Mittel müssen langfristig zur Verfügung gestellt werden. Auch für die Beurteilung der Leistungen der Landwirtschaft sind umfassende Kenntnisse über den Charakter und die Entstehung von Kulturlandschaften notwendig.
- Angestrebt werden soll eine stärkere Verknüpfung von Erzeugern und Verbrauchern über regionale Märkte, regionale Produkte als Identitätsstifter für beide Seiten; Qualitäts-Produkten können sehr gut mit kulturlandschaftlichen Qualitäten verknüpft werden.
- Die notwendigen Instrumentarien und Anreizsysteme sollen entsprechend dem Ziel der Erhaltung und Entwicklung von Kulturlandschaften überprüft, angepasst und ggf. neuformuliert werden (MEKA, Landschaftspflegerichtlinie, Plenum, Landschaftserhaltungsverbände, Biosphärengebiete, Naturparke, LEADER+).
Weiterführung der Arbeit
Wie bereits gesagt, war das Papier Gegenstand intensiver Diskussionen im Fachausschuss für Naturschutzfragen bei Landesbeirat für Natur- und Umweltschutz. Es diente unter anderem dazu, in diesem Fachgremium eine grundsätzliche Übereinstimmung über wichtige Fragen zur Pflege und Entwicklung der Kulturlandschaft zu erzielen und – ausgehend von dieser Basis – die Alltagsarbeit auf eine gemeinsame geistige Grundlage zu stellen. Die formulierten Gedanken und Thesen werden als Leitgedanken in die weiteren Diskussionen zur Entwicklung der Kulturlandschaft, in die Auswahl geeigneter Projekte etc. einfließen und auf diesem Wege eine weitere Konkretisierung erfahren.
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