Die einen loben sie über den Schellenkönig: Wie schön sie sind, vor allem zur Blütezeit, wie viele Tiere dort leben, und überhaupt, wie wichtig sie für den Naturschutz sind. Die anderen, vorwiegend diejenigen, denen sie gehören, hätten sie gerne los: Einen Haufen Gschäft das ganze Jahr Über hat man damit, und es kommt nix dabei raus! Nur Arbeit und dazuhin viele gute Ratschläge von Leuten, die vorbeilaufen und noch nie einen Baum gepflanzt, geschnitten und abgeerntet haben, geschweige denn Gras gemäht haben. Nur schaffen soll man, damit sich Käfer, Vögel und Spaziergänger dran freuen können!
Das Ergebnis dieser zwiespältigen Einstellung zu den charakteristischen Streuobstwiesen unseres Landes: Drei Viertel der Streuobstbäume, sagen Kenner, sind schlecht oder gar nicht gepflegt. Noch 20 Jahre, und es wird zwangsläufig zu dramatischen Veränderungen an den Streuobstwiesenhängen kommen. Dann werden alte Bäume reihenweise zusammenbrechen, und es wird sich niemand mehr finden, der das Gras mäht. Da helfen keine wissenschaftlichen Untersuchungen und keine guten Worte: Ohne sachgerechte Pflege der Bäume vergreisen diese, ohne Roden abgängiger Bäume und ohne Nachpflanzen und Pflege junger Bäume kann ein Baumbestand nicht erhalten werden. Sachgerechte Baumpflege ist aber halt ein ziemliches Gschäft, und zwar kein leichtes, das sich „so nebenher“ machen ließe!
Diese hochgelobten Streuobstwiesenhänge im Neckarland und am Albrand stehen also zwangsläufig vor einem grundlegenden Wandel. Nicht das erste Mal übrigens, denn ursprünglich waren die Hänge Wald, und dann vom frühen Mittelalter bis vor 150 Jahren überwiegend Weinberge, – Streuobstbau gibt es erst seit zwei, drei Baumgenerationen! Blenden wir einmal 150 Jahre zurück: Wer konnte sich damals wohl vorstellen, dass die weiten Weinberghänge einmal nicht mehr sein sollen, dass dort Obstbäume gedeihen und statt Wein Most erzeugt wird? Pilzkrankheiten, die Reblaus und Frostjahre haben das bewirkt. Man kannte keine Gegenmittel und musste den Weinbau aufgeben. Obstbau war ein reiner Notbehelf: Wie anders sollte man zu Alkohol kommen?
Nachdem die Hänge also schon einmal einen radikalen Wandel erlebt haben, wieso sollen wir uns über die neuerlichen Entwicklungen aufregen? Wenn der Wechsel von der Rebe zum Baum einst geklappt hat, wird ein neuerlicher Wechsel doch auch möglich sein! Warum sollen wir also an den alten Obstbäumen hängen?
Das kann nun nur jemand sagen, der nicht weiter gedacht hat. Wie soll denn die neue Nutzung nach dem neuerlichen Kulturwechsel aussehen? Erneut Reben anpflanzen, scheidet aus – von Ausnahmelagen abgesehen, kann man auf Streuobstwiesengelände nicht die Weinqualitäten erzeugen, die man heute gewohnt ist. Laub- oder Nadelwald? Wollen wir das? Wollen wir aus sonnigen Neckarlandgemeinden wie Marbach oder Albvorland-Gemeinden wie Weilheim/Teck – um nur zwei besonders charakteristische, rings von Streuobst umgebene Gemeinden zu nennen – Waldgemeinden machen? Nein – wirklich unvorstellbar! Was dann? Pappelforste oder Plantagen mit Chinaschilf (Miscanthus) zur Energieerzeugung im Hackschnitzelofen? Nein, auch das ist gewiss keine Alternative! Damit sind wir am entscheidenden Punkt: Nachdem auch niemand will, dass die Streuobstwiesen weiterhin als Baulandreserve fungieren, haben wir eigentlich gar keine Alternative, als sie zu pflegen und zu erhalten! Ob nun als Nutzfläche zur Obst- und Graserzeugung oder einfach so, um das Landschaftsbild, den Lebensraum zahlreicher Tierarten und den Erholungsraum von uns allen zu erhalten, ist eigentlich einerlei.
Wenn dies nur allgemein erkannt würde! Es gibt derzeit auf den 180.000 Hektar Streuobstfläche in Baden-Württemberg – zumindest auf dem allergrößten Teil – keine Alternative. 11,4 Millionen Bäume gibt es in Baden-Württemberg, und diese prägen unser Land mehr als manch andere Nutzungsart. Wir tun also gut daran, uns schleunigst Gedanken darüber zu machen, wie diese 180.000 Hektar im Jahr 2050 – weiter hinaus sollten wir mal vielleicht nicht denken – aussehen sollen. Und dann kommt man schnell zur Erkenntnis, dass nur zweierlei hilft: Erstens heimischen Apfelsaft trinken statt 08/15-Saft aus dem Ausland, und zweitens den Streuobstbau fördern, wo es geht. Zahlreiche Initiativen zur Vermarktung heimischen Apfelsaftes und zur Förderung des Streuobstbaus gibt es, – sie verdienen es, unterstützt zu werden, wie und wo immer es geht.
Und dann kann man nur appellieren: Statt ins Fitnesscenter zu gehen, kann man sich auch auf Streuobstwiesen austoben. Gut, man muss es lernen: Bäumeschneiden, die wichtigste Maßnahme zum Erhalt unserer Streuobstwiesen, bedarf einiger Grundkenntnisse. Und fürs Mähen braucht man eine Maschine. Und Obst ernten und Saft erzeugen kostet Zeit. Aber ist es nicht auch ein befriedigendes Gefühl, etwas für sich selbst, für seine Familie, für seine Nachkommen, für die Allgemeinheit, für die Tier- und Pflanzenwelt getan zu haben? Ein Tipp aus meiner Erfahrung: Auf der eigenen Obstwiese, im Wechsel der Jahreszeiten, kann man im Lauf der Jahre schönere Erlebnisse haben als in der Sporthalle! Also: Packen wir’s an – jeder, wie er kann!
Siehe auch die Resolution: „Apfelsafttrinker sind Naturschützer, – aber nur, wenn der Saft von Äpfeln der heimischen Streuobstwiesen stammt.“
(Reinhard Wolf, 2008)
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