Titelbild eines Buches

Sven Jäger: Germanische Siedlungsspuren des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr. zwischen Rhein, Neckar und Enz.

(Forschungen und Berichte zur Archäologie in Baden-Württemberg, Band 14). Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden 2019. 926 Seiten mit 270 farbigen und 60 s/w Abbildungen, 82 Tafeln und 44 Plananhängen, 3 Beilagen. Gebunden € 120,–. ISBN 978-3-95490-444-0

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Die Grundlage dieses zweibändigen, imposanten Werkes, einer an der Universität Heidelberg entstandenen Dissertation, bildet das umfangreiche archäologische Material, Funde und Befunde, aus 32 Fundplätzen in der Region zwischen Rhein, Neckar und Enz aus der Epoche zwischen Römischem Imperium und neuen germanischen Königreichen. Die meisten Objekte stammen aus flächendeckenden Grabungen in den bekannten Siedlungsplätzen in Bad Rappenau-Babstadt, Gemmrigheim, Güglingen, Lauffen am Neckar, Oberderdingen-Flehingen und Wiesloch, aber auch aus Fundplätzen, die lediglich durch Lese- oder Einzelfunde nachgewiesen sind. Beigezogen wurden auch verschollene, nur noch in der Literatur auffindbare »Altfunde«. Zu den Funden insgesamt zählen Münzen, Schmuck- und Trachtbestandteile (Fibeln, Nadeln und Haarpfeile, Gürtel- und Riemenbeschläge, Arm-, Hals- und Fingerringe, Perlen und Anhänger), Gerätschaften und Ausrüstungsgegenstände (Kämme, Messer, Pinzetten, Feuerzeuge, Schildbuckel, Schlüssel, Glas) und vor allem Keramik (freigeformte, Drehscheibenware). Grabfunde bleiben allerdings weitgehend außen vor. Sie seien »im Hinblick auf ihre Aussagekraft zur Lebenswelt kritisch zu beurteilen«, zudem durch anderweitige Publikationen weitgehend ausgewertet.

Eine gewichtige Rolle spielen in der Untersuchung dagegen auch die bei den Grabungen zu Tage geförderten Siedlungsbefunde bzw. die Erkenntnisse zu den Bauaktivitäten im relevanten Zeitabschnitt. Dazu gehören »Gebäudestrukturen mit in den Boden eingetieften Nutzhorizonten«, wie Grubenhäuser, aber auch Pfostenbauten und technische Anlagen wie Feuerstellen, Töpferöfen, Brennkammern oder Brunnen und andere der Wasserversorgung dienende Bauten wie Schöpfvorrichtungen. Insgesamt untersucht und ausgewertet hat Sven Jäger in seinem Werk rund 3500 Keramikscherben, 100 akeramische Kleinfunde und über 100 Baubefunde.

Der erste Band des Werkes »Text« ist in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten beschreibt Jäger die Struktur der Arbeit, ihre räumliche und zeitliche Abgrenzung, den Status Quo der Forschung, ihre Methodik sowie ihre Ziele, Grenzen und Möglichkeiten im Spiegel der aktuellen Forschung. Zudem diskutiert er gängige Begriffe wie »Germanen« und »Völkerwanderung«. Im zweiten stellt er auf der »Objektebene« das Fundmaterial sowie die Bau- und Strukturbefunde vor. Im dritten, der »Fundplatzebene«, wendet er sich den 32 Siedlungsplätzen zu, erläutert deren Vorbesiedlung, Lage, Aufbau, Wirtschaftsfunktion und überregionale Verbindungen; zudem geht er auf die Fundumstände ein und datiert das Fund- und Befundmaterial.Im vierten und letzten Abschnitt »Regionalebene« analysiert und rekonstruiert er die Besiedlungsgeschichte. Skizziert werden dabei nicht nur der Verlauf und die Dynamik der sogenannten »alamannischen Landnahme«, sondern auch die damit verbundenen Konsequenzen. Im Detail geht es dem Autor dabei um Brüche und Wandlungen, um Transformation, Veränderungen und Kontinuitäten.

Gestützt auf das in den Siedlungsplätzen gefundene römische und alamannische Quellenmaterial zeigt er beispielweise auf, dass die Aufgabe des Limes nach den Vorstößen der Alamannen 259/60 keineswegs abrupt erfolgte, sondern sich bis in die Jahre 274/5 hinzog, und dass das danach offengelassene Limesgebiet noch über Jahrzehnte hinweg bis zumindest in die Mitte des 4. Jahrhunderts an Rom gebunden blieb. Dank des reichen Fundmaterials in Güglingen kann er erstmals eine Besiedlungskontinuität von Gruppen mit aprovinzialrömisch geprägter Sachkultur bis in die Nachlimeszeit hinein nachweisen. Überzeugend entwickelt er ein Modell zur Zusammensetzung der »nachlimeszeitlichen Bevölkerung« in seinem Arbeitsgebiet. Demzufolge setzte sie sich aus fünf verschiedenen Personengruppen zusammen: kontinuierlich siedelnde teilromanisierte Bewohner mit ursprünglich germanischer Prägung; kontinuierlich siedelnde Bewohner mit ursprünglich gallo-römischer bzw. provinzialrömischer Prägung; kontinuierlich siedelnde Bewohner germanischer Prägung, deren Zuwanderung anfänglich wohl gefördert wurde; neue Zuwanderung durch Personen germanischer Prägung; einfallende und landnehmende Kriegerbünde germanischer Prägung.

Im zweiten Band »Katalog« werden die 32 Fundplätze und die dortigen Funde vorgestellt. Die einzelnen Artikel enthalten, soweit für die einzelnen Orte möglich, Angaben zur Entdeckungsgeschichte und Bergungshistorie, zur Ausgrabungsmethode, zur Materialaufnahme und zur bereits vorliegenden Literatur. Dieser Beschreibung folgt eine Befundbesprechung und schließlich eine akribische, detaillierte Vorstellung des nach Materialgruppen geordneten Fundstoffes. 82 Tafeln mit Umzeichnungen der Funde, ein großer »Anhang« mit Befundplänen und -profilen sowie drei Beilagen mit Gesamtplänen der Ausgrabungen in Babstadt, Güglingen und Wiesloch runden den Band ab.

Insgesamt gelingt dem Autor in seinen »Germanischen Siedlungsspuren« eine erstmalige und grundlegende Aufzeichnung der spätantiken und »frühestmittelalterlichen« Besiedlungsgeschichte der Landschaft zwischen Rhein, Neckar und Enz: eine gewichtige Studie, die neue Erkenntnisse zu den Ereignissen jener Zeit weit über die regionalen Grenzen hinaus bietet.

Wilfried Setzler

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