Blick auf eine Häuserkulisse

SHB-Regionalgruppe: Keine Stadtbahn für Tübingens Innenstadt!

Tübingen Neckarbrücke mit Blick in die Mühlstraße (Foto: qwesy qwesy – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)

Eine kritische Stellungnahme der Regionalgruppe Tübingen im Schwäbischen Heimatbund

Tübingen soll mit dem Umland durch eine Regionalstadtbahn verbunden werden. Das ist eine gute Sache! Denn es entspricht unseren grundlegenden Zielen, Natur und Umwelt zu schützen. Dafür halten wir eine Elektrifizierung, dichtere Taktung der Züge für sinnvolle Maßnahmen. Kurzum: ein attraktiveres Angebot und weniger CO2-Emmissionen sind selbstverständlich das Gebot der Stunde. Eine Innenstadtstrecke lehnen wir jedoch ab

Ein Ausbau ist u.E. nur auf den bestehende Strecken oder im Außenbereich sinnvoll. Bei der Innenstadtstrecke sehen wir große Probleme. Dabei geht es uns vor allem um den Denkmalschutz sowie den Natur- und Landschaftsschutz. Als Bürger*innen dieser Stadt werfen wir außerdem ein kritisches Auge auf die Stadtentwicklung.

Wollen wir wirklich eine Großstadt werden?

Unseres Erachtens müsste das erst einmal offen in der Stadtgesellschaft diskutiert werden. Denn es steht viel auf dem Spiel – nicht zuletzt der Charme und die Atmosphäre unserer Stadt mit ihrer ganz besonders reizvollen Lage, die sich über mehrere Täler und Hügel erstreckt. Die historische Altstadt ist jetzt schon „überfordert“ und verkommt mehr und mehr zur Event-Kulisse. Auch die erweiterte Innenstadt ist relativ klein. Können und wollen wir das wirklich noch draufpacken?

Grünanlagen Fehlanzeige

Dabei gibt es gegenwärtig keine Vorstellungen darüber, wie viel Grün in der Stadt sein soll. Bestehende Park- und Grünanlagen werden nicht systematisch gepflegt. Größere noch unbebaute Grünflächen im Stadtraum werden nur als potenzielle Baufläche wahrgenommen. Klima- Anpassungsstrategie ist ein Fremdwort. Sie kann sich doch nicht im Ausbau von Windkraft und PV-Anlagen erschöpfen. Asphaltierte Flächen, insbesondere Parkplätze, müssen mit Bäumen überstellt werden. Die Kaltluftschneisen und – Gebiete in der Stadt müssen systematisch geschützt und verbessert werden.

Die Schlagzahl ist jetzt schon hoch

Tübingen erlebt schon seit einigen Jahren einen gigantischen Stadtumbau. Die Durchfahrtsstraßen wurden optimiert, damit diese das gewachsene Verkehrsaufkommen aufnehmen können. In den umliegenden Vierteln hat der Lärm zugenommen. Die Wohngebiete wurden nachverdichtet für die stark ansteigende Bevölkerungszahl. Neue Stadtviertel und Gewerbegebiete mit tausenden von Arbeitsplätzen sind in Planung. Die Schlagzahl dieser Veränderungen ist hoch und würde durch eine Stadtbahn zunehmen. Dabei sind viele dieser Projekte städtebaulich problematisch, schlagen den Menschen aufs Gemüt oder gehen auf Kosten der Natur.

Das neue Güterbahnhofsviertel ist eine sinnvolle städtebauliche Entwicklung. Doch warum entstanden dort nur Straßenschluchten ohne Grünbereiche? Am Europaplatz wird gerade der Anlagensee teilweise zugeschüttet, Bäume gefällt und ein Baufenster für was auch immer eingerichtet. Auf dem Österberg wird das Areal des SWR nachverdichtet. Bäume werden abgeholzt. Wenn in ein paar Jahren auf dem Tübinger Hausberg alle noch bestehenden Baufenster geschlossen sind und der Rückstau in der Doblerstraße unerträglich wird, bauen wir dann die zweite Österbergauffahrt? Soll dann dafür der grüne Nordhang geopfert werden? Städtebauliche Projekte folgten in den letzten Jahren häufig einer vordergründigen Wirtschaftlichkeit. Die Planungen erfolgten vielfach unsensibel. Der Druck auf die bestehenden Stadtviertel wird sich durch die Stadtbahn erhöhen, der Wohnungsmarkt noch mehr überhitzen.

Unsere zukünftige Mobilität

Zu unserer zukünftigen Mobilität haben wir mehr Fragen als Antworten: Wird der Pendlerstrom weiterhin zunehmen? Wie ändert sich die Arbeitswelt? Wird Home-Office zum Standard werden? Und wie findet Mobilität in der Zukunft statt? Wird es mehr Car-Sharing geben? Oder wird das Fahrrad eine größere Rolle spielen als heute?

Eines scheint uns gewiss: Der Bau einer Innenstadtstrecke in Tübingen wäre ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Wird die CO2-Belastung durch den Bau der neuen Stadtbahn tatsächlich entscheidend zurückgehen? Werden die engen Straßen Tübingens ausreichen und wird sich der reibungslose Betrieb nach Eröffnung der Bahn tatsächlich einstellen? Weder die Mühlstraße noch die Wilhelmstraße sind für dieses Verkehrsmittel konzipiert worden. Die Straßenbreite beim Museum entspricht dem Planungsstand des Jahres 1820! Nicht besser sieht es in der Mühlstraße aus. Ihr Bau begann 1885. Damals war Tübingen eine beschauliche Kleinstadt mit 13.000 Einwohner in der württembergischen Provinz. Für diese Größenordnung sind diese Straßen ausgelegt. Es ist schwer für den Laien, die widersprüchlichen Aussagen von Fachleuten zu diesem Themenkomplex zu bewerten. Werden die Fahrradfahrer reihenweise unter die Räder kommen? Wie gestaltet sich die Aufenthaltsqualität der Fußgänger in diesen Bereichen? Auch für sie wird es eng und hektisch werden in der Karlstraße, auf der Neckarbrücke, in der Mühl- und Wilhelmstraße. Dürfen wir darauf vertrauen, dass schon alles gut gehen wird? Denn eine Rückabwicklung wird es nicht geben.

Schauen wir uns ein paar Stellen näher an!

Durch die Aufwertung der Karlstraße wurde in den letzten Jahre urbane Qualität zurückgewonnen. Die letzten Reste der alten Stadthäuser sind jetzt geschützt und werden hoffentlich vor weiterer Dezimierung bewahrt. Durch die neue Stadtbahn wird jedoch die neue Aufenthaltsqualität wieder verlieren.

Die in den 1950er Jahren erweiterte Eberhardsbrücke besteht im Kern immer noch aus der Bogenbrücke von 1901. Diese war überaus stimmig zum empfindlichen Stadtbild der Neckarfront hinzukomponiert worden. Wie wird ein nochmal breiterer Neubau vor der Neckarfront aussehen? Wir befürchten das Schlimmste in diesem sensiblen Bereich.

Die immer schon schwierige Mühlstraßenpassage entsprach bei ihrer Anlage im ausgehenden 19. Jahrhundert den allerhöchsten städtebaulichen Ansprüchen. Durch eine geschickte Aufwertung der Straßenfläche und der Stützmauer sowie des gesamten Altstadtrandes (Palmertreppe) hat gerade diese problematische Engstelle in den letzten Jahren wieder gewonnen. Wir fürchten aber jetzt den Rückschritt nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen Oberleitungsdrähte. Problematisch wird auch die Plattform des neuen Stadtbahnhofs, der im Anschluss daran gebaut werden soll. Wer sich vorstellen mag, wie so ein Bahnsteig und der „Drahtverhau“ am Lustnauer Tor aussehen werden, der muss nur mal seinen Blick nach Stuttgart richten.

Zu den sensiblen Bereichen gehört auch der Geschwister-Scholl-Platz mit der Neuen Aula. Auch hier stehen die meisten Gebäude rund herum unter Denkmalschutz. Der Grund dafür ist schnell erklärt: Hier entstand seit den 1840er Jahren eine Campus-Universität – bis heute die einzige ihrer Art in ganz Deutschland aus dieser Zeit. Die Platzanlage im noblen klassizistische Stil ist ein städtebauliches Juwel. Seit der Aufgabe des Parkplatzes davor, seiner Neugestaltung mit den beiden Brunnen und dem Rückbau der Balustrade hat die Anlage wieder ein Optimum erreicht. Wir können nicht nachvollziehen, dass hier künftig eine abbiegende Stadtbahn den Platz schneidet und damit die symmetrische Anlage empfindlich stört. Da der Gleisradius zum Abbiegen eigentlich zu eng ist, muss der Gleisbogen bis vor das Clubhaus ausschwingen. Um der Neuen Aula die Haltstelle davor auf dem Platz zu ersparen, wollen die Planer den Hochbahnsteig in der schmalen Gmelinstraße, dicht an der Aulawand einrichten. Hier besteht Gefahr, dass die seitliche Gebäudefront bauliche Schäden nehmen wird.

Probleme ganz anderer Art dürfte unseres Erachtens die Schnarrenbergstraße mit sich bringen. Wenn die Erschütterungen der Stadtbahn tatsächlich zur Verlegung von Instituten mit empfindlichen Messgeräten führen, dann wird die Universität sehr viel stärker und früher als gedacht mit Neubauten in die umgebende Landschaft ausgreifen.

Eine gigantische Baustelle

Während der Bauzeit wird es erhebliche Auswirkungen auf die Stadt geben. Die Bauverwaltung wird sich sehr schwer tun bei der Umsetzung. Hier ist bereits jetzt alles auf Kante genäht.

Unser Fazit

Wir meinen, dass vor allem der sensible, denkmalgeschützte Innenstadtbereich für den Neubau einer Stadtbahn völlig ungeeignet ist. Das Stadtbild wäre nicht mehr wiederzuerkennen. Die Aufenthaltsqualität würde leiden sowie die Gefahren für Radfahrer und Fußgänger zunehmen.

Wir befürchten eine Übernutzung des vergleichsweise kleinen Zentrums. Die Tübinger Bevölkerung erfährt zudem einen gravierenden Nachteil, weil viele Buslinien aus den Stadtbezirken künftig schon an der Peripherie enden und zum Umsteigen zwingen. Die Tübinger Stadtteile könnten nach und nach vom bisherigen dichten und direkten Bustakt abgehängt werden.

Wir halten ein starres Schienensystem für ungeeignet, um damit die Innenstadt zu erschließen und wollen stattdessen das flexible, bisherige Bussystem beibehalten. Wir setzen darauf, dass auch diese Busse künftig CO2-frei fahren werden – entweder mit Batterie oder neuen Kraftstoffen.

Alles in allem: Wir haben Alternativen. Stimmen wir am 26. September 2021 darüber ab!

Tübingen im Juli 2021

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3 Kommentare

  1. Am 27.7.21 wurde im Schwäbischen Tagblatt endlich mal die negative Seite der geplanten Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn vorgestellt, daneben aus der Kreisecke Herr Strasdeit desgleichen. Das war höchste Zeit, denn schon länger habe ich den Eindruck, dass das Tagblatt parteiisch für die Innenstadttrasse eintritt, fast täglich ein Bild der schicken Bahn bringt und die Befürworter zu Wort kommen lässt. Mein Gesamteindruck: Es geht um´s Geld, das man sich nicht entgehen lassen will. Dabei geht es doch um das Stadtbild und, wie Triebold den Heimatbund zitiert, den “Charme und die Atmosphäre unserer Stadt”. Meine Frage: Wie positioniert sich eigentlich der Denkmalschutz, der zwar erwähnt wird, aber kann er sich nicht auch auf einer Seite äußern?

  2. Extreme Enge in Verbindung mit vergleichbaren Stadtbahnfahrzeugen kann man sich ohne großen Aufwand in Bad Wildbad anschauen.
    Die Tische der Gastronomiebetriebe am Ufer der Enz sind bei schönem Wetter gut besucht, aber unmittelbar neben den Gleisen platziert. Wer dort – in erstaunlicher Ruhe- seinen Cappuccino genießt, wird zugeben müssen, wie wenig lästig ein LANGSAM fahrender Tramtrain für seine Umgebung ist. Lärm? Zugluft? Erschütterungen? Störend ist das in der Wahrnehmung sehr vieler Menschen kaum.
    Auch die Fahrdrähte und ihre Stützen beeinträchtigen das Stadtbild Bad Wildbads eher marginal, von einer grundlegenden Zerstörung kann überhaupt nicht die Rede sein. Bad Wildbad lebt vom Tourismus, muss aber einen strukturellen Wandel durchstehen, die „Kur“ liegt als Wirtschaftsfaktor darnieder, ohne den erstarkenden „Eventtourismus“ könnten die noch vorhandenen Dienstleistungsbetriebe nicht überleben. Die S6 bringt mit ihren stark gestiegenen Fahrgastzahlen umsteigefrei Kunden aus einem großen Einzugsgebiet, deren dann fehlende Autos vor Ort gar niemand vermisst. Übrigens hat der SHB den Erhalt und die Erweiterung dieser Bahn durch den Ort bis zum Kurpark am Anfang des Jahrtausends gebührend positiv gewürdigt.
    Für den, der nicht mal hinfahren will oder kann, gibt es hier mal nur die Adresse eines Bildes:
    https://www.bahnbilder.de/bild/deutschland~s-bahnen-und-regionalstadtbahnen~stadtbahn-karlsruhe-hier-nur-die-s-bahnen/336223/eng-geht-es-zu—in.html

  3. Eine Gegenfrage zur Ihren Fragen oben (Zitat: “Wie gestaltet sich die Aufenthaltsqualität der Fußgänger in diesen Bereichen? Auch für sie wird es eng und hektisch werden in der Karlstraße, auf der Neckarbrücke, in der Mühl- und Wilhelmstraße.”)
    Was finden Sie weniger hektisch an den derzeit vielen PKWs und Bussen?!?

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