Rose Hajdu, Dietrich Heißenbüttel: Theodor Fischer. Architektur der Stuttgarter Jahre

Titelblatt

Wasmuth Verlag Tübingen 2018. 200 Seiten mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen. Gebunden 45,– Euro. ISBN 978-3-8030-0795-7

Als Theodor Fischer im November 1901 im Alter von 39 Jahren eine Professur für Bauentwürfe an der Technischen Hochschule Stuttgart antrat, hatte er erste und erfolgreiche Stationen als Architekt und Stadtplaner in München bereits hinter sich. Doch die Stuttgarter Jahre, die bis 1908 andauerten, darf man getrost als seine intensivste Schaffensphase bezeichnen. Der Ruf umfasste nicht nur die Lehre, sondern brachte auch eine reiche Berater-Tätigkeit in Fragen der Stuttgarter Stadterweiterung und nicht zuletzt eine Reihe wichtiger Neubauten in der Stadt und Region mit sich, wie das Kunstgebäude, das Gustav-Siegle-Haus, die Erlöserkirche und die Heusteigschule, aber auch die Pfullinger Hallen, Reutlingen-Gmindersdorf oder den als Pfullinger Unterhose bekannten Schönbergturm. Genau dieser Zeit widmet sich das umfangreiche Buch. Es beleuchtet 21 Projekte unterschiedlicher Aufgabe und Größe – vom Denkmal bis zur Arbeitersiedlung, von der Kirche bis zur Schule und Universität, vom Wohnhaus bis zum Ausstellungsgebäude.

Vorangestellt ist zunächst aus der Feder des Kunst- und Architekturkritikers Dietrich Heißenbüttel eine vertiefende kunst- und baugeschichtliche Betrachtung der Person Fischers, der Zeit seines Wirkens, der Wirkungsgeschichte und – recht überzeugend – der Aktualität seiner Architektur aus heutiger Sicht. Heißenbüttels kritische Anmerkungen zur Kunst und Architektur und deren Rezeption sind hinlänglich bekannt – auch den Leserinnen und Lesern der Schwäbischen Heimat. Er zeigt auf, dass Fischers Aktualität weniger mit den Bauten selbst zu tun hat als vielmehr mit dessen Denkweise. Als Fischer mit Blick auf die historischen Raster-Quartiere ohne Bezug zur Topografie und Geschichte der Stadt den Ausspruch tat, angesichts dieses Bildes von Stuttgart [werde] überhaupt niemand von Stadtbaukunst sprechen, konnte er nicht ahnen, dass dies unter anderen Vorzeichen in weiten Teilen auch für heute gelten würde. Für Fischer war Baukultur die Symbiose aus Gestaltkraft des Architekten und des Künstlers, Geschichtlichkeit des Orts, Bezug zum Gelände und das genaue Eingehen auf die Aufgabe, gepaart mit dem ökonomisch Möglichen. Heißenbüttel nimmt Fischer, dessen schulbildende Wirkung und seine theoretischen Sichtweisen daher als Folie und Beispiel, um ein betont kritisches Urteil über Architektur und Städtebau und deren Protagonisten in Politik und Verwaltung abzugeben – nicht zuletzt in Stuttgart. Doch abgesehen davon ist es natürlich sein vorrangiges Ziel, den aus München nach Stuttgart Gerufenen vorzustellen und ihn und seine Bauten in den Zeitkontext zu stellen. Der fundierte und zugleich auch feuilletonistische Duktus des Beitrags unterstützt dieses nachhaltig.

Ein zweiter Beitrag durch den Kunstbeauftragten der Evangelischen Landeskirche Reinhard Lambert Auer widmet sich eingehend Theodor Fischers Kirchenbauten in Württemberg während jener Zeit, die man in Gaggstatt, Stuttgart (Erlöserkirche) und Ulm (Garnisonskirche) bis heute bewundern kann. Auer unterstreicht, dass sich Fischer weit über individuelle Lösungen hinaus als jemand verstand, der eine grundsätzliche, dem (evangelischen) Gottesdienst angemessene Form zu finden hatte. Nach Auer vermochte er [Fischer] es, Bauten für den Gottesdienst von höchster Überzeugungskraft und Eindrücklichkeit hervorzubringen. Hier trifft sich Fischer übrigens mit seinem Schüler Martin Elsaesser, dem der Wasmuth-Verlag vor wenigen Jahren die vergleichbar opulente Darstellung Kirchenbauten, Pfarr- und Gemeindehäuser gewidmet hat.

Den beiden Einführungen folgen auf 180 Seiten ausführliche Darstellungen der 21 zwischen 1902 und 1909 begonnenen Gebäude und Projekte: detailreiche monografische Beschreibungen mittleren Umfangs, ausreichend lang, um die Bedeutung hinreichend deutlich zu machen, und ausreichend knapp, um die Aufnahmefähigkeit des interessierten Laien nicht zu überstrapazieren. Der Clou dieser Beiträge sind allerdings – das kennen wir von vielen Publikationen des Wasmuth-Verlags zur Architektur – die Fotografien. Wie schon zuletzt bei den Büchern über Elsaesser, Bonatz oder den Stuttgarter Hauptbahnhof ist hier Rose Hajdus Hand – besser Objektiv – zu erkennen. Sie hat oft genug bewiesen, dass sie sowohl für die große Form wie für das kleinste Motiv eines Ornaments, einer Lampe oder einer Kachel ein unvergleichliches Auge besitzt. Ihre Fotografien sind nicht allein dazu geeignet, die Texte zu illustrieren. Nein, sie stehen gleichwertig neben diesen, erzählen ihre eigenen Geschichten und rufen ihre eigenen Assoziationen hervor.

Nun kann man Texte zitieren, Bilder aber nicht! Und um zu verstehen, was das Buch im Zweiklang von Text und Bild so besonders macht und warum der Rezensent auch nach Wochen noch die Doppelseite mit Rose Hajdus Blick von unten in den Turm der Ulmer Garnisonskirche aufgeschlagen liegen hat, muss man es erwerben. Dazu wird nachdrücklich geraten!

Bernd Langner

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