Portrait einer Frau

Prof. Dr. Christel Köhle-Hezinger | Empirische Kulturwissenschaftlerin

Christel Köhle-Hezinger ist Empirische Kulturwissenschaftlerin. Sie promovierte in Tübingen, lehrte in Stanford, Tübingen und Stuttgart, war wissenschaftliche Angestellte am Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen und arbeitete freiberuflich unter anderem für Museums- und Ausstellungskonzeptionen. Im Anschluss an eine Professur für Europäische Ethnologie und Kulturforschung an der Philipps-Universität Marburg wurde sie 1998 zur Gründung des Lehrstuhls für Volkskunde (Empirische Kulturwissenschaft) an die Friedrich-Schiller-Universität in Jena berufen und hatte diesen bis 2011 inne. Seit dem 1. April 2011 ist sie emeritiert. Im Schwäbischen Heimatbund ist sie Vorsitzende des AK Ländlicher Raum. Christel Köhle-Hezinger lebt in Esslingen.

Frau Köhle-Hezinger, erinnern Sie sich noch, wie Sie auf den SHB gestoßen sind und wann Sie Mitglied wurden?

Das muss so um die Zeit meiner Promotion in Tübingen gewesen sein, ca. Mitte der 70er-Jahre. Ich wusste von einigen, die Mitglied waren, hatte sicher auch mal Hefte der Schwäbischen Heimat in der Hand und dachte einfach: »da muss man Mitglied sein«. Mir fällt ein, wie mir einmal ein Stuttgarter Ehepaar, heute beide über 90 Jahre alt, erzählte: »Früher hat man zur Hochzeit die Mitgliedschaft im SHB bekommen«. Das hat mich beeindruckt. Im Laufe meines Lebens habe ich inzwischen 40 Mitgliedschaften in den unterschiedlichsten Organisationen angesammelt. Sie sind für mich ein Zeichen der Solidarität.

Seit Jahren sind Sie im SHB Vorsitzende des Arbeitskreises Ländlicher Raum. Wie kann man sich die Arbeit dieses AK vorstellen?

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Prof. Dr. Christel Köhle-Hezinger | Foto: Roberto Bulgrin

Der AK hat immer vom Austausch gelebt, die Mitglieder kommen bzw. kamen vor Corona aus allen Ecken des Landes, von Maulbronn bis Leutkirch. Über lange Zeit haben wir die »Kulturlandschaft des Jahres« ausgewählt, eine Ausstellung und das Begleitprogramm gemacht, zuletzt war das die Obere Donau. Verschiedene Themenbeiträge erschienen dazu dann in der Schwäbischen Heimat. Das war immer ein enormer Aufwand an Zeit und Geld. Da sind viele Parteien und Akteure in der Region zu organisieren, koordinieren. Die Durchführung selbst muss dann in der Region operativ verankert sein – im Landratsamt etwa. Das ist etwas, was wir nicht leisten können, wir sind keine »task force«. Weitere Themen unseres AK sind die Veränderung der Kulturlandschaft durch Energie, Stichwort Windräder: Wie positionieren wir uns dazu? Stichwort Bebauung: Die Zubetonierung unserer Landschaft; was derzeit auf dem Land, in nur einer Generation an Bau- und Industriegebieten entsteht, ist erschreckend. Wir haben dazu, es war in der letzten Legislaturperiode, an Ministerpräsident Kretschmann einen sehr sachlichen, fachlich fundierten Brief geschrieben – und nicht einmal eine Antwort erhalten. Wie eine grüne Landesregierung sich bei diesen Themen nicht einbringt, ist skandalös und enttäuschend. Wie gesagt, es ist schade, dass wir keine operative Basis haben, aber wir versuchen, dranzubleiben. Die Themen und Probleme gehen uns nicht aus.

Sie kommen als Wissenschaftlerin aus der Tübinger Empirischen Kulturwissenschaft (EKW), haben an unterschiedlichen Universitäten gelehrt und zuletzt in Jena den Studiengang »Volkskunde/Kulturgeschichte« aufgebaut, in wenigen Semestern »von 0 auf 500 Studis«, wie Sie sagen. Wie beobachten Sie die Entwicklung des Fachs, was war bzw. ist Ihnen wichtig?

Zu beobachten ist, dass aus der EKW zunehmend die historischen Themen verschwinden. Regionalgeschichte und Kulturgeschichte sind im Abnehmen. In Jena habe ich die Regionalität immer betont, habe viele Exkursionen und regionale Projekte gemacht. Ich beobachte das auch in einzelnen Museen, wie Regionalgeschichte in die zweite oder dritte Reihe verschoben wird, wie ausgeräumt wird, was mit Kulturgeschichte zu tun hat – stattdessen wird das Museum zum Event Place. Auch in Jena habe ich solidarische Mitgliedschaften gepflegt, etwa im Jenaer und Thüringer Geschichtsverein, dem Museumsverband. Ich wollte damit zeigen: Ich teile mit Euch Eure Themen, ich bin an Eurer Heimat interessiert, die jetzt auch eine neue Heimat für mich geworden ist.

Der Plural »Heimaten« ist mir übrigens wichtig. So wie mir auch der Plural »Bräuche« wichtig ist – im Gegensatz zu diesem Singularwort »Brauchtum«. Das haben alle Studierenden bei mir gelernt: es hat sich ausgetümelt! Eine meiner Vorlesungen in Jena hatte den Titel »Orte, Zeiten, Rituale: Bräuche als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld«. Damit ist die Vielfalt, um die es mir geht, ausgedrückt. Der Singular hat immer Ausschließlichkeitscharakter. Zum Thema »Bräuche vs. Brauchtum« habe ich auch im AK Ländlicher Raum einmal eine Sitzung gemacht.

Wie könnte man junge Leute für die Themen des SHB gewinnen?

Es fängt ja schon im Elternhaus, in der Schule an. Wenn man den Kindern nichts beibringt, muss man sich nicht wundern, wenn sie sich für nichts interessieren. Da sollten schon mal der Begriff und die Notwendigkeit von »Enkulturation« genannt werden. In meiner Schulzeit gab es noch »Heimatkunde«, die genau das war, wie sie hieß. Man muss die Gegend, in der man lebt, erleben, riechen, erwandern, unter die Füße nehmen. Wer das nicht tut, versteht nicht, wo er lebt. Ich hatte einmal eine Klasse von Hauptschülern durch ein Freilichtmuseum zu führen, die übrig geblieben waren, weil sich sonst keiner um sie kümmern wollte. Wir setzten uns in der Stube auf den Boden, ich habe ihnen die Geschichte des Hauses erzählt und davon, wie die Menschen hier früher lebten. Die jungen Leute waren fasziniert. Eines meiner Lieblingszitate stammt von Bernard von Brentano »Sagen lassen sich die Menschen nichts, aber erzählen lassen sie sich alles.«

Sollten wir also für den SHB vielleicht noch einen AK Enkulturation ins Leben rufen?

Das wäre eine tolle Idee!

Interview: Hanne Knickmann im Oktober 2022

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